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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 4.1869

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Semper, H.: Moderne Skulpturwerke und Restaurationsarbeiten in Siena, [1]
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.4914#0059

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Brminens ist gothisch. Außen ist er mit schwach rortre-
tenden Pilastern, Sockel nnd Sims gegliedert und mit
schwerfälligen nnd tollphantastischen Ornamenten ge-
schmückt. (Ein Adler reitet auf einem Fisch und hat
Akanthusflügel rc.). Den außeren Pilastern entsprechen
ebenso viele an den Jnnenwänden, wo sie sieben Figuren
in Hochrelief an der Langseite und je drei an den Schmal-
seiten einrahmen. Die zwei vordersten Reliefs der letz-
teren haben Adam's Erschaffung und seine Verstoßung
mit Evaaus dem Paradies zmn Gegenstand, in achtReliefs
sind die sitzenden Figuren christlicher Tugenden dargestellt.
Die Mitte der inneren Rückwand nimmt die Madonnamit
dem (noch bekleideten) Kinde ein, umgeben von zwei an-
beteuden Eugeln, die außer von Pilasteru auch von be-
sonderen Tabernakeln eingeschlossen sind, aufderen Giebeln
Putten mit Laubgewinden stehen. Außerdem sind unter-
halb der Reliefs der Rückwand zwei Wölfinnen auf Kon-
solen, an den Seitenwänden je eine auf Postamenten
angebracht, welche Wasser speien. Endlich werden auf
den Eckpilastern der Fronte noch zwei fast lebensgroße
Statuen der Caritas aufgestellt werden, die bis jetzt noch
in der Arbeit bei Sarocchi sind, in dessen Werkstätte auch
noch die Originale dazu stehen, während'die übrigen
Bruchstücke des alten Brunnens in der aufgehobenen Kirche
S. Francesco verschlossen und unzugänglich sind. Mit
Hülfe der zwei genannten Statnen und des Taufbruunens
von Quercia mit Reliefs im Dom ist man glücklicherweise
im Stande, Sarocchi's Arbeit zu prüfen.

Und da muß ihm das Lob gespendet werden, daß er
sich gewissenhafter, als sonst italienische Nestauratoren
mögen oder können, an das Original gehalten hat, von
dessen Fragmenten er auch Gypsabgüsse nahm und danach
seine Arbeit so weit als möglich punktirte. Das Gewalt-
same, Erregte in der Haltung der sitzenden Figuren des
Ouercia (wozu er wahrscheinlich von Giovanni Pisano's
sitzenden Tugenden an einer Säulenbasis der Kanzel des
Niccolo Pisano im Dom die Anregung schöpfte) ist auch
in den Nachbilduugen zum vollen Ausdruck gelangt. Ebenso
ist die dem Quercia eigene Gewandung getreu wiederge-
geben, die in der alterthümlichen Jsolirtheit der Falten-
rücken, verbunden mit einer kühnen phantastischenSchwin-
gung derselhen besteht, welche wohl zu unterscheiden ist
von den ruhigen Kurven der ghibertischen Gewandung;
dagegen fehlt den Köpsen der modernen Figuren die
schroffe, spröde Schönheit derjenigenQuercia'sund isteiner
leeren Glätte gewichen. Ferner hat es Sarocchi nicht
über's Herz bringen können, sich an die so höchst bestimmte
und der Antike abgelauschte Anatomie des Quercia ganz
getren zu halten, sondern er hat sie in seiuen Reproduk-
tionen mit einem Schleier der modernen verschwommenen
Modellnachahmung überzogen. Sehr hübsch gelungen
ist ihm dagegen die Komposition zweier säugender Kinder
an eiuem Relief der Caritas (diese kehrt dreimal wieder

am Brunnen), desssn Original zn zwei Dritteln zu Grunde
gegangen ist.

Jn diesem Jahre noch wird der Brunnen, an dsm
man fleißig arbeitet, vollendet sein und enthüllt werden,
und mit dem vermeintlichen Vorzug seiner schneeigen un-
gedämpften Weiße die Augen der Beschauer und der
wasserhclenden Mädchen blenden.

Derselbe Bildhauer ist gleickzeitig mit einem Auftrag
der Dombanhütte beschäftigt, indem er nach den ver-
stümmelten Originalen eine Anzahl figürlicher und orna-
mentaler Skülpturen der Fayade zu reproduciren hat,
welchejetztin Ausbesserung begriffen und mit Strohmatten
und Gerüsten verpanzert ist. Tito Sarocchi ist der ein-
zige, einigermaßen bedeutende Bildhauer Siena's, der
auch sein Atelier dort hat und bildet deshalb den Stolz
der Stadt. Er geht aus Duprs's Schule hervor und
seine Werke tragen auch mit wenigen Abweichungen den
Stil des Meisters an sich. Seine Figuren besitzeu die-
selbe mürrische, vornehme Starrheit oder Sentimentalität
des Ausdrucks und der Haltung, die Anatomie ist auf die-
selbe Weise, ohne Ausprägung der höheren Gesetze, welche
den Zusammenhang der Glieder uud ihrer Linicu beherr-
schen, eine weichliche, unbestimmte und kalte Nackuno-
dellirung der Natur. An den Portraitbüsten ist auch er
bemüht, wie fast alle toskanischen Bildhauer, den Stil des
Quattrocento nackzuahmen, d. h. die scharfe, geistrciche
Auffassung des individuellen Charakters. Aber da die
Züge eines Gesichtes nicht der Charakter selbst, sondern
nur das Symbol desselben sind, so wird auch nie die
nüchterne und blinde Nachahmung der Malerei in das
poetische Geheimniß der Jndividnalität dringen, durch
dessen Erfassen allein der Künstler dem Portrait wirkliches
Leben einzuhauchen vermag. Der einzige, leider verstor-
bene Bastianini warin dieserBeziehungeinächtcrNach-
komme der Donatello's, Mino's, Majano's und Rosse-
lino's. Sarocchi bemüht sich zwar die Züge eines Gesichtes
genau nachzubilden, stellt sie aber ohne höheren Znsammen-
hang und hart nebeneinander.

(Schluß folgt.)

Korrespondenzen.

St. Petcrslmrg, Ende 1868.

Die diesjährige Ausstellung in den ueuerdings ge-
schmackvoll restaurirten, zum Theil ganz umgebauten
Sälen der Akademie der Künste erfreute sich eines außer-
ordentlich lebhaften Besuches. Sie zählte über 450
Nummern, von denen 27 der Skulptur, gegen 30 der
Architektur, der Rest der Malerei angehörten.

Unter den Gemalden wog das Portrait stark vor,
während die Historienmalerei nur durch sehr wenige Werke
vertreten war. Trotzdem, daß alljährlich unter den Schülern
der Akademie Konknrrenzen auf letzerem Gebietc veran-
 
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