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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Vom Christmarkt
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99

Vom Christmarkt.

100

Abglanz innerer Empfindungen, und unter ihnen nicht
zum mindesten das erwachende Verlangen, andere zu
erfreuen und zu beglücken. Wir aber wollen versuchen,
so weit es unser Gebiet berührt, es wach zu erhalten
und bethätigen zu helfen. Auch auf dem Büchermarkte
streute Ler Herbst nicht nur leichte, welkende Blätter
aus, auch schwellende Früchte reichte er dar, wenn sie
auch nicht alle von ihm selbst gezeitigt wurden. Und
die Wahl ist nicht leicht:

„Durcheinander gleiten sie her, die Schüler und Meister,

Und das gewöhnlichs Volk, das in der Mitte sich hält."
Der besten einige sind dem Leser der Kunstchronik schvn
genannt: wir erinnern an Menzels Jllustrationen zu
den Werken Friedrichs
des Großen, an Hilde-
brandts Aquarelle, an
Schadows Handzeich-
nungen und Schwinds
deutsche Märchen, an die
Meisterwerke der Kasseler
Galerie mitRadirungen
von Ungers Hand, so-
wie an die in Wien er-
scheinende Vervielfälti-
gende Kunst der Gegen-
wart und die deutsche
Malerei auf derBerliner
Jubiläumsausstellung.

Wir beginnen heute
mit einer neuen Schö-
pfung P. Thumanns, dem „Vater unser in Bil-
d ern" i), welches im wahren Sinne des Wortes als ein
Weihnachtsgeschenk für die christliche Familie erscheint.
Was die innere Anordnung anbetrifft, so sind jeder der
sieben Bitten drei Blätter gewidmet: das erste trägt in
schlichter Federzeichnung eine monumental gehaltene
biblische Gruppe, welche sich über dem Wortlaut der
Bitte selbst erhebt; auf dem zweiten tritt uns eine
sorgsam durchgefllhrte Kohlezeichnung entgegen, die eine
den Jnhalt der Bitte erläuternde Begebenheit aus
Christi Leben darstellt; auf dem dritten endlich lesen
wir in großem und geschmeidigem Druck die ent-
sprechende Strophe der von Luther im Jahre 1530
gedichteten Auslegung des Gebetes. Jn den Feder-
zeichnungen, von denen wir eine der schönsten dem Leser
vorführen, erkennen wir wieder die Vorzüge früherer
Jllustrationen des schaffensfreudigen Künstlers, ja,
neben dem rhythmischen Fluß der Linien, der edlen
Bildung der Körpergestalten und dem maßvollen und
doch treffenden seelischen Ausdruck in den Gesichts-
zügen macht fich hie und da eine gewisse markige Kraft

der Konturen geltend, von der wir sonst nur wenig
bei ihm bemerkten, welche aber dem Typus der bibli-
schen Gestalten vollkommen entspricht: man betrachte
beispielsweise die Figuren des Moses und Jesaias,
sowie Esau's und Jakobs; in den letzteren ist auch die
Berschiedenheit der Charaktere zur vollen Geltung g^
bracht, während die im Eingang befindliche Gestalt
des betenden Jesus allzu weiche, ja, — man denke sich
den zierlich modernen Bart hinweg — fast knabenhafte
Züge besitzt. Einige der die volle Seite einnehmenden
Kreidezeichnungen erinnern uns lebhaft an H. Hof-
manns „Gedenke mein!" und das meiste, was wir im
Borjahre über dessen Behandlung der biblischen Stofst

und insbesondere über
seine Christusgestalt
sagten, gilt auch von
P. Thumanns Bildern,
in denen eine neue, von
der „akademischen" we-"
sentlich abweichendeAusi
fassung nicht zu finden
ist. Daß der Künstler
in diesen Bildern, welche
als Ornamente eines
Gebetes dienen sollen,
in der Gestalt Christt
mehr die hoheMilde des
Weltheilands als die
tiefe Demut des Men--
schensohnes znm Aus-
mit einem Worte,

druck gebracht hat, daß er
idealisirte, darf uns nicht Wunder nehmen, znnra

I) Leipzig, Titze. Lederprachtbd. 20 Mk., Kalikobd. 12 Mk.

die Eigenart des Künstlers eine Auffassung, wie sto
etwa Uhde zur Darstellung bringt, geradezu aus-
schließt: manche der Thumannschen Gestalten drohen
vor lauter Harmonie in eitel Wohlgefallen zu zer^
fließen; und dies ist es auch, was viele von ihn>
hinweg und „Menzel - Goethe" zutreibt, dessen reale
Kost auch größere Vielseitigkeit aufweist. Vergessen
wir aber darüber nicht, daß P. Thumann uns Christus
vor Augen stellt, wie ihn viele von Jngend auf
sehen gewohnt sind; und davon abzuweichen, war nichl
geraten, wenn er ihnen ein Buck in die Hand legeN
wollte, an dem sie sich erbauen sollen. Daß Christus
zu einer idealen Gestalt werden mußte, hat er n>ll
allen Religionsstiftern gemein; selbst wenn sie wirklich
gelebt haben, wird ihrer Lebensgeschichte so viel zuge-°
setzt und hinweggenommen, „bis der Gott, des Jrdi^
schen entkleidet, slammend sich vom Menschen scheidet,
und des Äthers reine Lüfte trinkt". Die Borteile dev
Kreidemanier hat sich auch P. Thumann nicht ent^
gehen lasien: die zartere Abtönung und die VerweN"
dung stärkerer Schatten lasien mannigfaltigere Al'"
 
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