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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Toman, H.: Über die Gemälde von Geertgen van Sint Jans, des Meisters vom Tode Mariä und des Hugo van der Goes in der Galerie des Rudolfinums in Prag, [2]
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647

Kunstlitteratur,

648

die einzelnen Typen der zwölf Münnergestalten betrachtet,
welche dazu nvch teilweise in Kutten und Kapuzen
stecken, würde man in ihnen, wenn man den dargestellten
Vorgang nicht veranschlagt, gewiß nicht die Apostel, son-
dern eine Gesellschast von Mönchen vermuten, sv ganz ist
es ihre Art, selbst bis zu den Posen und Bewegungen.
Wie erwtthnt, kehren zwei dieser Gestalten auf dem
Wiener Bilde wieder. Wie nahe ist nun die An-
nahme, daß van der Goes, welcher mindestens sechs
Jahre bis zu seinem infolge einer Geisteskrankheit im
Jahre 1482 erfolgten Tode im Rooden Clooster bei
Brüssel zubrachte, seine Mitkonventualen als leicht zu
benutzendc Modelle verwendete?

Schließlich bleibt noch die Charakteristik in Er-
wügung zu ziehen, welche Waagen (Handbnch I, S. 111)
von dem Florentiner Gemälde dieses Meisters giebt,
und wo es heißt:

„Jn den Charakteren der porträtartigen Köpfe
spricht sich Ernst und Strenge, aber zugleich ein
Mangel an Schönheitsgefühl aus; so sind auch die
Falten der Gewünder nicht allein von scharfen Brü-
chen, sondern auch in den Hauptmotiven besonders steif
und hart. Die Farbenstimmung ist zwar sehr klar,
aber von allen Schülern der van Eyck am lichtesten.
Der Lokalton des Fleisches ist tcils blaß, teils rötlich
kühl, die Schatten sind grau. Übrigens steht van der
Goes auf der votten Höhe der Schule, er ist ein tüch-
tiger Zeichner, welcher sich in allen Stücken genaue
Rcchenschaft ablegt; in der Ausführung endlich ist er
sehr gediegen und sorgsttltig."

Man glaubt Waagen vor unseren bciden Bild-
chen demonstriren zu hören, so zutreffend ist diese Cha-
rakteristik, welche noch durch seine gleichfalls auf beide
passende Bemerkung von „der Stillosigkeit der Kompo-
sition" ergttnzt wird und die Waagen (Kunstdenkmttler
in Wien I, S. 182) vor unserer Beweinung Christi aus-
gesprochen hat. Dies gilt nun wieder sowohl von
dem Goesschen Florentiner Bilde, als auch Vvn dem
Tod Mariü in Prag. Auf allen diesen Gemülden sind
die Figuren kreisförmig um einen Mittelpunkt gruppirt;
diesen bildet auf dem Florentiner das Christkind,
auf dem Wiener der Leichnam Christi, auf dem Prager
Maria auf dem Totenbette.

Jch halte deshalb meine bescheidene Ansicht fest,
daß sowohl der Prager Tod Mariä, als auch die Be-
weinung Christi im Wiener Belvedere Originale von
Hugo van der Goes sind. H. Toman.

Aunstlitteratur.

(Zdeen über Zeichenunterricht und künstlerische Be-
rufsbildung. Bon Georg Hirth. München und
Leipzig. 1887. 8°.

Wie in der Kunstchronik bereits mitgeteilt wurde,

ist dieses Schriftchen binncnMvnatssrist schv» in zweiter
Auflage erschienen. Ein verdienter Erfvlg, da wohl
selten ein Autor sich so klar und bündig über Krebs-
schäden unserer heutigen Schul- und Künstlerbildung
ausgesprochen hat, über Dinge, die wir vielleicht alle
schon gefühlt haben, ohne daß wir durchführbare Re-
formvorschlüge zu machen wußten. So wissen wir
alle aus eigeuer Erfahrung, daß der Zeichenunterricht
noch jetzt in ber Schulc als ein untergevrdnetes tech-
nisches Lehrfach betrachtet und in einer Weise gehand-
habt wird, die natnrgemäß nur zu unglücklicheu Re-
sultaten führen kann. Gleich beim crsten Unterricht
wird der Schwerpunkt aus die Schöuheit der Aus-
sührung, auf die Glätte der Linien und auf die Rein-
heit der Schattirungen gelegt; man läßt den Schüler
irgend eine geistlose gezeichnete oder gedruckte „Vor-
lage" kopiren oder einen Gipskopf abzeichnen, führt ihn
in eine fremde, unverstandene, farblose Welt und zwingt
ihn zu einer Arbeit, bei der die Geduld alles, die
Phantasie, das Gemüt und das Fassungsvermögen
aber nichts zu thun haben. Und die natürliche Folge
davon ist, daß der begabte Knabe gerade den Unter-
richt, der ihm das größte Vergnügen htttte bereitcn
können, bald als eine widerliche Last betrachtet und
sast nichts davon ins Leben herüberrettet. Zeugnis sind
wir Kunsthistoriker, die ost in die größte Bcrlegenheit
kommen, wenn wir einmal irgend ein Ding aus dem
Bereiche unserer Wisienschaft bildlich darstellen sollen!
Damit das Zeichnen einen wirklichen praktischen Wert
für das Leben habe, müßte der Schlller vielmehr von
Anfang an dahin gesührt werden, daß er mit eincr
gewisien Leichtigkeit die Gegenstünde der Natur richtig
skizziren lerne. Wie er in der Muttersprache seine
Gedanken ausdrückt, müßte er auch seiue bildlichen
Eindrllcke wiedergebcn lernen, das Zeichnen müßte ihm
zur mühelosen Formenschrift werden. Jn den ersten
Jahren darf es gar nicht darauf ankommen, wie das
Kind zeichnet, sondern daß es gern und viel zeichnet.
Der Lehrer darf also noch nicht die befriedigende
Lösung einer strengen Schulausgabe, sondern nur die
Fortsetzung der heiteren Übung der Kinderstube ver-
langen. Damit dann im weiteren Entwickelungs-
stadium das Jnteresie wach gehalten werde, ist in erster
Linie das jetzt gebräuchliche Rüstzeug an Gipsvorlagen
beiseite zu werfen, die nicht nur den Schüler lang-
weilen, sondern ihn auch zum Falschsehen anleiten.
Dafür soll er um sv mehr aus dcn farbigen Gegen-
stünden der Natnr die Formen herausstudiren und
dabei angehalten werden, lieber die farbigen Eindrllcke
richtig zu übersetzen, als akademische Konturen auszu-
klügeln. Aber auch an Vorlagen, die zur Bildung des
guten Geschmackes beitragen, darf es nicht fehlen, und
als solche bieten sich von selbst die Originalzeichnungen
 
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