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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Der Restaurator
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Eine Kunstausstellung in Genua
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https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0188

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371

Eine Kunstausstellung in Genua, Z72

heilig! Pandolph ist ein anderer Mann. Bei ihm
sindet sich nichts von Flecken, Fragmenten, Scharten
und Malen; alles komplett, rein, geputzt, geschnörkelt
nnd frisirt; die Einbände in Schachteln, Malereien
und Emaillen aufgefirnißt, die Waffen neu ciselirt und
damascinirt, die Holz- und Elfenbeingegenstände nach-
geschnitten, die Stiche gesäubert, die Statuen ergänzt
und neu die Faiencen bemalt. Wahrhaft erstaunlich
aber ist dieser Mann in der Kunst, Bruchstücke, Neste
zu verwerten: aus einem Fuß macht er eiuen Tisch,
aus einem Visir eine ganze Rllstung, aus einem Henkel
eine Kanne, aus einem Griff ein Schwert und aus
einem Kopf eine Statue. Da ist es mir, als sähe ich
einen jener alten Krieger, der stolz mit gläsernem Auge,
mit unsichtbarem Toupet, mit wohlartikulirtem Gebiß^
mit kiinstlichem Arm und mechanischem Bein einher-
wandelt, llberzeugt davon, daß er komplett sei.

Eine Aunstaussteilung in Genua.

rr. Die Genueser Kllnstler haben gelegentlich des
Karnevals eine kleine Kunstausstellung in der Torrsta
ssrra an der sola. veranstaltet, welche bis zum

15. März gevffnet bleiben soll. Daselbst haben sich
in dichtgedrängten Reihen 316 meist kleinere Kunst-
werke zusammengefunden. Jn zwei nicht einmal sehr
geräumigen Zimmern, die mit orientalischen Geweben,
Teppichen, Waffen und sonstigen Dekorationsstücken
passend verziert sind, hat man diese Kunstschätze, welche
meist aus den oberitalienischen Städten stammen, auf-
gespeichert. Mau kanu nicht sagen, daß der hier auf-
gebotenen Kunstsumme eine besondere Bedeutung zu-
käme, denn es ist kaum ein Meisterwerk und vieles
Geringfügige dabei; allein man erhält aus diesem
bunten Kranze italienischer Kunstblüten wieder ein-
mal einen lebhaften Eindruck von der bedeutenden
kllnstlerischen Begabung des italienischen Volkes. Jn
allen diesen Kleinigkeiten drückt sich bie muntere Sorg-
losigkeit, die Formenfreude des Südländers aus. Denn
alles was hier erscheint ist wie im Vorllbergehen auf-
getaucht, erfaßt, entworfen und in glücklicher Stunde
ausgeführt. Das Meiste ist schnell skizzirt, anderes
sorgfältiger ausgearbeitet, nirgends aber drückt sich
Mühseligkeit oder Schwerfälligkeit aus. Und was die
Hauptsache ist: diese ganze Kunst wurzelt im Volke.
Aus seiner Umgebung nimmt der italienische Künstler
seine Jdeen, seine Modelle, mit ihrer Hilfe sichert er
sich seine Wirkung. Nur selten macht er einen kllhnen
Griff ins Altertum oder verliert sich in gedankenreiche
rätselvolle Allegorien. Auf dem festen Erdboben, dem
sie entsprossen ist, steht diese Kleinkunst, aus ihm saugt
sie ihre nührenden Stoffe. Selbst die besten Leistuugen

der italienischen Kunst, welche mit den Wipfeln hoch
in die Lllste ragen, wurzeln auf demselbeu Boden und
empfangen von dorther ihre Lebenskraft.

Keine Andromache, keine Jphigenie, keine Penelope
und wie die beliebten archäologischen Damen alle
heißen, höchstens eine falsche Kleopatra, ein italienisches
Mädchen, zu deren Lagerstätte ein Schlänglein heran-
kriecht (Terrakotta von L. Melchiorre), oder allen-
falls eine Lukretia, die sich bei genauer Betrachtung als
schlechte Schauspielerin erweist und es mit dem töd-
lichen Dolchstiche nicht so ernst nehmen wird. (Holz-
schnitzerei von Gaetano Gioda).

Wo der Jtaliener das Volksleben in seinen ver-
schiedenen Gestaltungen darstellt, ist er meist sehr glück-
lich, äußerst wahr und unnachahmlich reizvoll. Eine
Fischerin, welche den soeben gefangenen, zappelnden
Fisch von sich abhält, Thonmodell von Santo Ber-
telli, ein ragarao der sich bemllht aus einem aller-
letzten Cigarrenrestchen noch einige ohne Zweifel sehr
genußreiche ZUge zu saugen, ein anderer der sich mit
sichtlichem Behagen reckt, ein Guitarrespieler, der sich
in drolligster Weise Mühe giebt seiner angesungenen
Schönen zu gefallen (Bronze von F. de Matteis),
ein realistisch volkstllmlicher Umberto (Bronze von
G. Mazzola), alle diese so sein und sorgfältig beob-
achtet, und bei aller Leichtigkeit so charakteristisch
wiedergegeben, daß man nicht miide wird sie zu sehen,
wenn auch die zu Grunde liegende Jdee just keine er-
hebende oder irgendwie bedeutende wäre.

Daß der Jtaliener aber auch cinen bedeutenden
Gedanken zu treffendem Ausdruck bringen kann, beweist
das vortreffliche Gipsmodell von G. B. Villa, dein
Präsidenten des Ausstellungsausschusies, welches den
Titel „Wollen und Können" sührt. Ein Matrose,
welcher einem oder einer Anzahl auf Lem Meere Ver-
unglllckender hat zu Hilfe eilen wollen, ist trotz aller
Anstrengung zu spät am Platze gewesen und kehrt nun
mit tief ernstem feierlichem Gesicht zurück. Die ganze
ausregende Scene ist aus seiner Haltung, aus den zui»
Himmel halberhobenen Augen, aus dem resignirten Aus-
druck des Gesichtes zu lesen.

Wir haben bisher nur bei den Skulpturen ver-
weilt. Aus gutem Grunde, denn in diesen liegt der
Schwerpunkt der Ausstellung, wenn sie auch in der
Minderzahl sind. Von den Ölstudien, Bildern und
Aquarellen wäre auch noch mancherlei zu sagen. Vor
allem das eine, nnd dies ist auch ein lebendiges Zeug-
nis der hohen Kunstbegabung des vom Himniel be-
gnadeten Volkes, daß dieses im Gegensatz zu den Völ-
keru des Nordens mehr Figürliches als Landschaftliches
darzustellen Pflegt. Jtaliener und Spanier, die ewig
beweglichen, lieben auch das Wechselnde, Lebhaft-
Lebendige. 2n deutschen Ausstellungen sieht man Land-
 
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