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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Der Louvre und die großen europäischen Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0222

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439

Der Louvre und die großsn europäischen Museen.

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ein schier unbesiegbares Mißtraucn in bie Nechtschoffen-
bcit der Menschen diktirt zn haben scheint, und welche
ganz sv aussehen, als wären sie in der Absicht erlassen
ivorden, die Beamten ja vor jeder Versuchung zu
schützen, dahin gelangt, zwar eine Administration vou
untadelhafter Ehrlichkeit zu besitzeu, aber einer Ehrlich-
kcit, die sehr leuer zu stehen kommt.

Jn England und Deutschland findet mau es ganz
natllrlich, die Jnitiative bei den Erwerbuugen sllr eiu
Museum dessen Direktion zu überlassen. Jn Frank-
reich sträubt sich der administrative Geist gegen die
Übertragung einer so weitgehenden Vollmacht an einen
einzigen Menschen. Man bedenke doch, wenn er sie
mißbrauchte! Es wird eiue Kommission bestellt; man
setzt in Frankreich seiu Vertrauen nur in Kommissionen.
Die Kommission ist zusammeugesetzt aus deu Konser-
vatoren des Louvre, des Luxembourg, von Versailles
und Vvn Saint-Germain. Erste Unzukömmlichkeit!
Ein einzelner Mensch kann verreisen, eine Kommission
kann nicht verreisen. Sie kann nur in Paris kaufen,
durch Zwischenhändler, Kausleute oder Sammler, die
sich zu dem Ankaufspreis einen Nutzen ausbedingen
und selten einen bescheidenen.

Solidarische Veranwortlichkeit der Konservatoren,
gemeinsames Budget. Zweite Unzukvmnilichkeit! Wenn
der Vorsteher des einen Departements cine etwas außer-
gewöhnliche Summe verlangt, so findet er Widerstand
bei denen aller übrigen. Der Konservator der Antiken
beantragt, gesetzt den Fall, es würde ein solcher ge-
funden, den Ankauf eines Phidias. Aber da ist der
Admiral, der das Marinemuseum verwaltet; der hat
soeben ein besonders merkwürdiges Schiffsmodell im
Auge; da spekulirt zufällig der gelehrte Vorstand des
Museums von Saint-Germain auf eine besvnders inter-
cssante Erwerbung, da ist der Direktvr der ägyptischen
Abteilung gerade einem außerordentlich wichtigen Stück-
chen Papyrus auf der Spur: sie alle glauben sich be-
rechtigt, sich seinem Antrage zu widersetzen. Die Folge
der ingeniösen Erfindung dieser Kommission ist, daß
jeder Abteilungschef, um Kollisionen mit seinen Kolle-
geu zu vermeiden, nur kleine Ankäufe vorschlägt. Über
ein keineswegs ausgezeichnetes Stück läßt sich eine
Einigung zur Not noch erzielen.

Teuer kaufen und nur Mittelmäßiges kaufen: das
ist die Folge dieser vortrefflichen sranzösischen Organi-
sativn. Aber nicht genug damit; der Louvre ist uicht
eiumal mehr in der Lage, mit den auswärtigen Mu-
seen erfolgreich zu wetteiferu. Das Berliner Museum
hat jährlich um 205000 Frs. mehr als jener sür An-
käufe zur Versügung; das Britische Museuni, archäo-
logische Abteilung, allein mehr als OI OOO Francs. Jnter-
essante Stücke werden dem Louvre oft angeboten. Aber
er muß sie ablehnen — der unzureichenden Mittel wcgen!

Allerdings stehen gelegentlich dcm Louvre außer-
ordentliche Kredite zur Verfügung, und die Gerechtigkeit
erfordert zuzugestehen, daß die französischen gesetzgebendcn
Körperschaften, wenn es galt, solche für außergewöhn-
liche Erwerbungen zu bewilligcn, mit den Ministern nie
gefeilscht haben. Aber auch die Nachbarn Frankreichs
uehmen gelegentlich das gewöhnliche Budget über-
steigende Summen in Anspruch und zwar mit eiucr
Kühuheit, die mit der französischen Zaghaftigkeit gar
sehr kontrastirt. Das Berliner Museum erhielt eineu
Kredit von 1250000 Frs. sür den Ankauf der Me-
dailleusammlung des Freiherrn von Prokesch-Osten;
einen fast eben so hohen fllr die Erwerbung der Galerie
Suermondt; einen ersten Kredit von 800000 Frs. sür
die Ausgrabungcu von Olympia und dann nach ein-
ander zwei andere Kredite von je 125000 Frs. für
denselben Zweck; einen Kredit von 375000 Frs. für
die Ausgrabungen von Pergamon, welche das Mu-
seum mit einem griechischen Meisterwerke ersten Ranges,
dem ungeheuren Fries der Gigantomachie bereicherl.
Durch außerordcntliche Kredite deckte das Britische Mu-
seum die großen Ausgrabungeu des Mr. Newtvn zu
Knidos, zu Halikarnassos und zu Didymoi, sowie
jene des Mr. Wood zu Ephesos. Letztere allein haben
mehr denn eine Million gckvstet. Noch niemals hat
in unserem Jahrhundert die Liberalität sür kunstwisten-
schaftliche Zwecke eine solche Höhe erreicht.

Allgemach fängt es den Franzosen zu grauen an.
Beweis dessen ist das Aktenstück, welches Herr Antonin
Proust seinem Berichte über das Budget für Kunst-
zwecke beigegeben hat, worin Profestor M. O. Rayet
den Besitz und die Organisation des Louvre mit den
Museen von Berlin, dcm Britischen Museum und der
Eremitage vergleicht. Er beschästigte sich vor allem
mit den archäologischen Abteilungeu, aber seine Beob-
achtungen beziehen sich auf die Sammlungen des Louvre
insgesamt. Das traurige Ergebnis Lerselben ist: der
Louvre, lauge ohne Rivalen, wird bald überholt sein.
Die Galerien von London und Berlin siillen sich zweimal
so schnell wie die französischen; schon Petersburg
schreitet rascher vorwärts als Paris. Bleibt der Zu--
stand, wie er jetzt ist, bestehen, so erhält Frankreich
bald nur noch den dritten, wo nicht gar den vierten
Rang.

Als Mittel, dem zu begegnen, beantragt Rayet, dic
Dvtation der Museen zu vermehren, jeder Abteilung
ihr besonderes Budget anzuweisen, das Konservatoren-
konsilium aufzuheben und jedem Mitglied desselben
die Freiheit zu geben, nach seinem Ermessen zu kaufeu
unter der Berpflichtung, daß er zuvor dem General-
direktor Bericht erstatte, dem das Vetorecht zusteht.
Bei der Sparsamkeitstendenz, die sich der französischen
Kamnier bemächtigt hnt, ist für eine Erhöhung der
 
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