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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Fendler, E.: Die Konkurrenz um das Lübecker Geibeldenkmal
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https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0237

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469

Die Konkurrenz um das Lübecker Geibeldenkmal.

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Posi: hinaus, und auch Eberleiu, der durch die freie
"ud schwungvolle Schönheit der am Fuß des Sockels
^uhenden, begeistert ausschaucnden Btusengestalt fessclt,
trifft in der schlicht und kraftvoll anfgerichteten Figur
^vch nicht die für Geibel charakteristischen Züge. Diese
oder jeue andere Arbeit endlich, wie etwa die von
Beer in Paris mit der im eleganten Sommeranzug
stch sinnend an einen Baumstamm lehnenden Figur
dos Dichters auf einer müchtigen, von aufgeschichteten
Steinen getragenen Sockelpyramide und einer vor ihr
sitzenden zierlich koketten Mädchengestalt, verrüt zwar
oin unbestreitbares Talent, jedoch zugleich auch ein
dölliges Verkennen jeder Anforderung an erustc mouu-
u>entale Kunst. Höchst bemerkenswert hebt sich da-
gogen der Entwurf vvn Bergmeier hervor. An
Stelle der Statue begegnen wir zwar auch hier nur
oiner sehr gefällig bewegten, mit der Hand in der
Hosentasche frei und zwanglos dastehcnden Statuette
von genrehafter Auffassung. Die Figuren aber, die
in völlig malcrischer, durch keinerlei üußere Symmetrie,
sondern nnr durch den Rhythmus der Linien zusammen-
gehaltener Anordnung sich um den Sockel gruppiren,
die vorn sitzende Germania mit dem Lorbeerzweig, die
soitwärts gegen das Postament gelehnte Muse und die
siugenden Kinder an der Rückseite desselben, gehen an
gedanklichem, in künstlerisch anschauliche Form über-
sotztem Jnhalt weit über die allgemeine Andeutung
dichterischeu Schaffens hinaus, auf die sich die Mehr-
Zahl der übrigen Entwürfe beschränkt. Es ist die
Sphüre gerade der Geibelschen Poesie, an die sich hier
der Beschauer sofort lebendig erinnert fühlt, und um
^ieses selben Vorzuges willen ist denn auch neben dem
Bergmeicrschen Entwurf der von Janensch zu nenneu,
dor in zwei uns grazivs anmutendenSvckclgruppen, einem
Knaben, der den Adler tränkt, uud zwei Pntten, die
Zn dem sich schnäbelnden Taubenpaar ausschauen, in
uhnlicher, vielleicht nicht eben monumeutaler, jedenfalls
uber geistreicher Weise die gleiche innige Beziehung des
schmllckendeu Beiwerks zu der Figur des gefeiertcu
Dichters erstrebt.

Jst in den letzteren Skizzen die Ausgabe des nicht
"uf die blvße Statue beschrünktcn, sondern auch durch
den Sockelschmuck zu uns sprechenden Denkmals in
'hrem Kcrn erfaßt, so zeigt cin Blick auf die über-
dsiegendc Mchrzahl der Entwürfe, die als Erzeugnisse
^oirklichen Talents am lebhastesten interessircn, daß
"nsere Plastik immer entschiedcner darauf ausgeht, sich
dvn dem überlieferten Schema der Denkmalskoniposition
^ollständig zu befreien und damit auch auf dcm Ge-
d'etc der Monumentalbildnerei dem Znge zu folgen,
der unsere gesanite heutige Kunstentwickelung beherrscht.
^ach tzer einen wie nach der anderen Seite aber darf
der ebenso originell angelegte wie in Erfindung und

Ausführung reif durchdachte Entwurf von Kaffsack
besondere Beachtung fordern. Bei feinstcr Bewegtheit
der Kompositivn bietet er dvch cin fest in sich ge-
schlossenes, in den Linien wie in dem Gedanken durch-
aus einheitliches Ganzes. Das gewohnte Schema so
wenig respektirend, daß er sogar die strenge Trennnng der
Statue und des Sockels aufhebt, bringt er doch die
Gestalt des Dichters zu unbedingt dominirender Gel-
tung. Jn der gesamten Erschcinung auf reiche deko-
rative Wirkung im besten Sinne des Wortes berechnet,
entbehrt er doch nicht im mindesten der echt monu-
mentalen Wucht und Größe des Eindrucks. Vor allem
aber stellt er sich dabei zugleich als eine nach Form
und Jnhalt svlgerichtig aus dem individuellen Cha-
rakter der Ausgabe heraus entwickelte Lösung derselben
dar. Bei der Beschränktheit der zur Verfügung stehen-
den Mittel läßt sich für den gegebenen Platz kaum
eine glücklichere Disposition des Gesamtaufbaues denken,
als sic hier in dcr Anlage des Sockels erzielt ist, der
ini Grundriß an das Dreieck anklingt, ohne ihm doch
schematisch zu folgen, und damit die Möglichkeit ge-
winnt, eiue reichere Vvrderfront der Straße zuzukehren,
der wieder dreiseitig ausladenden Nückscite abcr sowohl
durch die clastisch schwellendcn Prosilirungen als auch
durch ein graziöses und beziehungsvolles Ornament
eine nicht miuder angemessene Belebung zu geben. So
erwächst das Denkmal in seiuem eigenartigen Aufbau
dirckt aus den vorhandeneu üußeren Bedingungen und
gründet iu echt künstlerischer Weisc gerade auf sie seinen
besouderen stteiz; dic Sprache aber, die es redet, ist die
des Dichters, von dessen begeistert aufgerichteter Gestalt
es bekröut wird. Die Putten, die über der rvsen-
bekränzten Jnschrifttafel der Nückseite sich küsscnd um-
armcn, gemahneu an Geibels Liebeslied; die mädchen-
haft kcusche Jdealgestalt, die vorn zu den Fllßen des
Dichters, auf den Stufen des Sockels ruhend, in
ahnungsvollem Entzücken aufschaut, erscheint wic aus
dem Geist seiner Poesie gebvren, und wie sie in Typus
und Ausdruck das Bild seiner Muse verkörpcrt, so
wird sie zugleich die Verkünderin der von dem Dichtcr
gesungenen neuen deutschen Macht und Größe, von
deren leuchtendem Symbol der dcm patriotischen Sünger
zugesellte Adler den verhüllenden Vorhang hinwegzieht.
Man mag den Entwurf im einzelncn als von diesem
oder jenem audercn übertroffen crachlcn und sür die
Statue selber vielleicht eine intimere Porträtühnlichkeit
uud eincn äußerlich ruhigcren Ausdruck des sie er-
süllenden Pathos wünschcn, — als Ganzes blcibt die
Arbeit nichtsdestoweniger ein ungewöhnlich glücklicher
Griff und ein im hohen Grade bemerkenswerter Ver-
such, für die Gestaltung des moderucn Denkmals eine
dem ganzen Zuge unserer heutigen Kunst entsprechende
srei bewegte und doch monumental ausdrucksvollc
 
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