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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Korrespondenz München, [7]
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485

Korrespondenz aus München

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Was weiter die Ausstellungen des Kunstv ereins
anlangt, so haben auch diese in den letzten Wochen
wieder an einer Eintönigkeit gelitten, die zuweilen cine
ganz bedenklicheAusdehnung annimmt und wohl in erster
Linie auf die vollständige Abgeschloffenheit der Müuche-
ner Kunst zurückzufiihren ist. Der Münchener Maler
hört und sieht nichts vvn alledem, was sonst in der Welt
vorgeht. Von den epochemachenden Schöpsungen der
sranzösischen oder der spanischen Malerei ist im guten
Münchcn fast nie etwas zu sehen, ja selbst ein Ber-
liner, Düffeldorfer oder Karlsruher Bild verirrt sich
nur seltcn hierher. Die MUuchener Kunst zehrt lcdig-
lich von sich selbst. Hat ein zwanzigjähriger junger
Mann einmal mit einem holländischen Motive Erfolg
gehabt, dann stellt er bis ins Greisenalter nichts als
Schlapphüte und Thonpfeifen aus. Ein zweiter nimrnt
die schillernden Röcke der Nococvherren, ein dritter die
bunten Hosenträger der Tiroler, ein vierter die braunen
Mönchskutten in Pacht — und so hat jeder sofort
seine Manier am Schnürchen, gilt bald auf seinem
Gebict als anerkannter Meister und spürt so wenig'
Sehnsucht nach Neuem, daß er selbstzufrieden zeitlebens
nur Variationen eines und desselben Thema's malt,
das er womöglich als Akademieprofeffor noch einer
jüngeren Generation als Bermächtnis hintcrläßt. Der
Berichterstatter beschreibt pflichtschuldigst jede neue
Leistung, kann aber zur Charakteristik nichts anderes
sagcn, als was vor Jahren einmal über das Erstlings-
bild gesagt wurde. Kray's ewige Nymphe ist noch
so lieblich und so schön wie vor zehn Jahren, während
Grützners Mönche mit zunehmendem Alter natur-
gemäß immer trivialer werden. Durch sciuen kürzlich
vollendeten „Rasirtag im Kloster" ist das nach jeder
Nichtung hin durchgearbeitcte und einer Erweiternng
kanm mehr fähig erscheinende Klostergenre abermals
nm cine „originelle Jdee" bereichert worden. Jm
Refcktorium haben sich zehn feiste Mönche versammelt,
um die srischen Bartkeime los zu werdcn; ein dienen-
der Bruder seift die Dominikaner ein, während der
Barbier aus dem nahen Dorf eifrig sein Handwerk
übt und dabei die noble Kundschast durch Erzählung
einer witzigen Anekdote zu unterhalten sucht. Die
Farbenwirkung ist im ganzen eine ansprechende; von
der braunen gotischen Vertäfelung heben sich die gelb-
weißen Kutten vorteilhaft ab, deren Monotonie durch
klcine Nüancen der Farbe glücklich vermieden ist; an
den Wänden sind „echte" holzgeschnitzte Möbel und
Geräte aufgestellt, an denen man, wenn man Lust hat,
kunstgeschichlliche Studien machen kann — ein Nück-
schritt oder ein Fortschritt des Künstlers ist nicht zu
konstatiren. Jns 17. Jahrhundert sührt uns Prof.
Otto Seitz in einem schön komponirten „Bauern-
tanz vor der Schenke". Auch hier ist eine jede Figur !

gewiffenhast studirt; Tracht, Haltung und Ausdruck
aller Gestalten, selbst das bunte Kolvrit sind zcitgerecht
im Slile des 17. Jahrhunderts durchgeführt, so daß
man wahrhaftig glaubt, die muntere Schilderung cines
tüchtigen Niederländers vor sich zu sehen. Abcr, du
lieber Gott, ist denn dies virtuose Jmitiren die Auf-
gabe der Kunst des 19. Jahrhunderts? Muß der
Ton, den Diez mit Recht einmal vor vielen Jahren
angeschlagen, jahrzehntelang nachklingen? Soll immer
nur nach berühmten Mustern gearbeitet werden? Selbst
Burmeister, dessen „Pistolenschießen" sicher koloristisch
reizvoll, in der Charakteristik lebendig und pikant ar-
rangirt ist, wird sich bald ausgeschrieben haben, wenn
er fortfährt, alle seine Bilder in die Rococozeit zu ver-
legen. Warum sollen wir nicht allmählich wieder an-
fangen auch unserer Zeit ihr Recht zu geben? Karl
Hvsfs in herbstlichem Park melancholisch wandelnde
junge Danie ist sicher ein Bild, welches vornehme Auf-
fassuug mit eleganter Zeichnung und vollendeter malc-
rischer Technik verbindet, und ist dabei doch durchaus
modern! G- Peske zeigt sich in seincn lebensgroßen
Banernjungen, die, am Kachelofen sitzend, gebratene
Kartoffeln verzehren, gewiß ebenfalls als feinfühliger
Kolorist und hat dabei doch nicht, was so nahe ge-
legen hätte, Murillo's Melonenesser kopirt. Und auch
L. Bang verdankt den Erfolg seines „Verkommenen
Genie's" in erster Linie deni Umstande, daß er eine
originelle, aus dem hcutigen Leben geschöpfte Jdee mit
energischer Auffaffung verkörpcrtc. Wie treffend ist
der herabgekommene Schauspieler geschildert, dcr nieder-
geschlagen in der Ecke einer obskuren Kneipe sitzt, wo
er sür die übrigcn Gäste die Zielscheibe trivialer Witze
bildet! Eiue freche Dirne, die sich an einen jungen
Zuchthauskandidaten anlehnt, lacht höhnisch auf, uur
die Kellnerin betrachtet mit einem Reste menschlicher
Teilnahme den melanchvlischen Menschen. Alle diese
Personen, die sämtlich der Sippc dcr sittlich Verlorenen
angchören, sind mit psychologischer Schärfe in diesem
Bilde geschildert, das gleichzeitig den Beweis für eine
ungewöhnliche koloristische Begabnng liefert.

Untcr dcn Landschaften bildeten den Hauptan-
ziehungspunkt noch imnier die Arbeiten SchönleberS,
die sich nicht nur dem Hervorragendsten anreihen, was
seit Jahren im Kunstverein zn sehen war, sondern
überhaupt zu den köstlichsten inkimss gehören,

die wohl jemals gemalt sind. Sie alle sind seitdem
in Privatbesitz übergegangen; das besonders hervor-
ragende Bild „Bogliasko an der Riviera" wurde für
die Sammlung des Prinzregenten angekauft. Schön-
lebers talentvoller Schüler Völlmy brachte ein duftig
behandeltes „Gestade bei Genua", B. v. Spanyi ein
eigentümlich zart empfundenes Stiinmungsbild „Mor-
gen in der Heide", das ebenfalls vom Prinzregenten
 
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