Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

DOI article:
Stiassny, Robert: Handzeichnungen von Hans Baldung Grien
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0255

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
506

505 Handzeichnungen von Hans Baldung Grien

(hvch 29,5 oin, breit 10,5 vm) zeigt den in Drei-
biertelprofil nach links gewendeten, bloß mit einem
Tchamsäckchen bekleideten bösen Schächer und atmet
I'esonders in dem Überfall des strähnigen Haares wie
>n der Weise, in der der rechte Fuß mit der knolligen
großen Zehe sich krampfhast anf den linken stemmt,
eine naturalistische Frische, die spätere Blätter Baldungs
nur zu hänfig vermissen lasscn. Zeitlich diirften
dieser Studie zwei Skizzen zu einem Judas Thaddäus
nicht allzufern stehen, gleichfalls Federzeichnungen auf
leicht gerötetem Papier (Portef. I, F. 11 u. 12): das
Zweite Blatt, im Detail verbessert und von derberer
Strichmanier, stellt eine Überarbeitung des ersten dar,
dessen feine Linienführung nach einer Beobachtuug Herrn
Oberbibliothekars vr. Zucker an dcn Holzschnitt B. 6
des Meisters (Der segnende Christus in einer Engel-
glorie) gemahnt. Jch vermute in ihnen Entwürfe zu ^
dem derselben Folge wie B. 6 angehörigen Jndas
Thaddäus B. 17, und gerade der Umstand, daß der
Holzschnitt unter Wahrung der Orientirung nach
rechts, des Buches in der Linken, der Keule in der
Rechten, ja unbedeutender Züge wie der sünf Buckeln
des Buches, des kleinknitterigen Gesälts am rechten
Armel wieder Beränderungen im Verhältnis von
Stand- und Spielbein und dem Mantelwnrf ausweist,
schcint diese Annahme zu bestärkeu. Zudeni dürfte
dieser seltener auftretende Apostel, der als Einzelsigur
auf keinem crhaltenen Bilde Baldnngs und sonst nur
noch auf dem Holzschnitte Eisenmann Nr. 47 vor-
kommt, kaum ohnc besonderen Anlaß den Künstler zur
Darstellung gereizt haben.

Jn Beziehung zu anderen stofflich ebenso inter-
essanten wie dunklen Holzschnitten Baldungs stehen
zwei weitere Blätter der Erlanger Sammlung, die
allerdings nicht von Baldung herrühren. Eine stark
italisirende Federzeichnung (Portef. II, F. 19) bei der
man—das Monogramm Grünewalds und die Jahres-
Zahl 1529 ist später aufgesetzt, — an Chr. Maurer
denken kann, giebt den Vorwurf der sog. „Kinderaue"
(B. 46; Abbildung in Weigels Holzschnitten berllhmter
Meistcr Nr. 33, Lief. VII und Bucher, Geschichte der
technischen Künste I, 406) wieder: jenes seltsamen
„Kindergartens" voll unternehmungslustiger Rangen,
die von zwei nackten, sängenden Müttern behlltet wer-
den. Das andere Blatt bringt auf blauem Papier
wit Tusche und aufgesetzten Lichtern ausgeführt die
klobige Figur des von vorne gesehenen, mit ausge-
spreizten Beinen auf dem Boden schlafenden Stall-
knechts aus dem Holzschnitt, Eisenmann Nr. 147, frei-
lich ohne die Hexe, die bei Bnldung im Grunde mit der
Fackel erscheint. Eine Jnschrift am oberen Rande des
Blattes in lnteinischen Kapitalbuchstaben lautet: guem
tueiunt ulisnu ^srieula oautuin. 1549. ZNit dem

ausgesprochen plastischen Charakter der Zeichnung
reimt nun trefflich der auf der Rückseite des Blattes
von alter Hand angebrachte Vermcrk, daß diese „Bosse"
über der Thür eines Augsburger Hauses sich befände:
Jch stehe nicht an, in dem vielleicht noch ins 15. Jahr-
hundert hinabreichenden Augsburger Relicf die Vor-
lage der merkwllrdigen Holzschnittfigur zu erblicken, da
auf die Wahrscheinlichkeit eines Besuchs der Reichs-
stadt durch Baldung — anch wenn man ihn mit
Eisenmann nicht mit Bestimmtheit ins Jahr 1518
setzen will — schon die Lehrzcit bei Dürer in Nürn-
berg zu schließen berechtigt.

Die Autorschaft Baldungs bei einer in Erlangen
als Dürer angesprochenen Federzeichnung, Halbfignr
eines Bischofs vvr einer Nische (Portef. II, F. 4) hat
bereits Ephrussi in einer Randnote erkannt und anf
ein Pendant im Berliner Kupferstichkabinett (Mser.
Katalog Nr. 48) hingewiesen. Jn der That verrät
das schöne, Dürer sehr nahe stehende Blatt (Photo-
graphie von Heintz in Erlangen) seine wahre Abkunft
in der stellenweisc „ruppigen" Energie und Breite des
Vortrags, der Vorliebe für kurze Hakenstriche, der sett-
polsterartigen Ablagerung an der rechten Mittelhand.
Sehr bemerkenswert sind die auf die Bauchsäulen zu
Seiteu der kreuzgewvlbten Nische gestellten Figürchen
eines nackten Geigenspielers und eines den Dudelsack
blasenden Satyrs: sie erinnern lebhaft an die Adam-,
Apollo- und Satyrgestalten, die Dürer im „Wcttstreit
mit Jacopo dei Barbari" in den.Jahren 1504 und 1505
so viel zu schaffen gaben. Allein nach der ruhigen
Haltung und der Reife der freilich nicht ganz sehler-
freien Zeichnung dürfte das zuversichtlich ein Bildnis
darstellende Blatt schvn in die spätere Straßburger
Zeit des Meisters, in die dreißiger Jahre fallen, wo
Baldung höchstwahrscheinlich Beziehungen zum bischös-
lichen Hofe pflegte.

Eine schr frühe Handprvbe des Künstlers, nvch
ganz im Dürerschen Schulkanon befangen, liegt hin-
gegen in einer bisher namenlosen Federskizze zu einer
heil. Familie der gleichcn Sammlung vvr, die sich aber
durch frappante Ähnlichkeit mit der von Urlichs „Bei-
träge zur Kunstgeschichte", Leipzig 1885 auf Taf. 20
aus der Würzburger Universitätssammlung als Dürer
publizirten Madvnnenzeichnung Baldungs hinlänglich
als deren Geschwister legitimirt. Die Verwandtschaft
spricht sich im Gesamtcharakter der beiden Blätter, be-
sonders überzeugend aber in der Wiederkehr desselben
säuerlich - morosen Marienkopfes aus, der wohl eher
auf das wenig intelligente Mvdell als die „von Schwer-
mut nicht freien Gedanken" der Gottesmutter, wie
Urlichs meint, zurückgeht. AlS Merkmale Baldung-
schen Stils seien auf der Würzburger Zeichnung —
deren Bekanntschaft ich einem Hinweise Herrn vr. Fr.
 
Annotationen