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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Korrespondenz München, [8]
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547

Korrespondenz aus Münchsn.

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die Kvmposition so wahr und iiberzeugend, so frei von
allen Prätensiouen, so natürlich und ungezwungen,
daß keine andere Empfindung im Beschauer anfkommt
als die: Ja, so muß es sein! So hat denn das Bild,
das in jeder Beziehung den Höhepunkt von Uhde's
bisheriger Thätigkeit bezeichnet, selbst in München wie
eine Bombe gezündet, und man versuchte sofort, durch
die Verleihung des Professortitels den bisher stief-
mütterlich behandelten Maler zu versöhnen, in dem
richtigen Gefühl, daß seine Übersiedelung nach Berlin
sür uns den Verlust eines unserer begabtesten und zu-
kunftsreichsten Künstler bedeuten würde.

Recht dürftig wirkte mit diesem Meisterwerk ver-
glichen Frank Kirchbachs „Vertreibung der Verkäufer
ans dem Tempel", eine umfangreiche Leinwand, die
ich wegen der darin niedergelegten Arbeit immerhin
erwähnen muß. Auch dieses Bild ist in gewiffem
Sinne modern, d. h. man hat den Eindruck, als ob
es etwa unter dem Einfluß von Munkacsy's „Christns
vor Pilatus" gemalt sei. Auch moderne Lichteffekte
sind darin angestrebt; da sie aber nicht mit dÄ nöti-
gen Energie durchgeführt wurden, so ist in der
Wirkung nur ein sonderbares Gemisch von plsin-air-
und Ateliereffekten erzielt. Jn der ursprünglichen
Absicht, ein realistisches Bild zu malen, ist Kirchbach
aus mangelndem Jndividualisirungsvermögen wie aus
Bkangel an Schneidigkeit in der Licht- und Schatten-
wirkung zu einem ganz unfreiwilligeu Jdealismus ge-
kommen. Dieser zeigt sich auch in der Art, wie er
sich sein Thema zurecht legte. Da es nun einmal auf
ein „großes" Bild abgesehen war, die „Vertreibung
der Wechsler" in lebensgroßen Figuren aber nicht ge-
schildert werden kann, ohne ans Groteske zu streifen,
wählte er den mehr salonmäßigen Moment, wie Christus
aus dem Tempel heraustritt und den im Vorhof
sitzenden Händlern Aontlsmanlilrs mitteilt: „Mein
Haus soll ein Bethaus sein". Auf diese Weise kam
er freilich aus der Scylla in die Charybdis. So viel
Juden und so wenig „Handlung"! Die Gruppen sind
dürftig ohne rechtes Zusammengehen der einzelnen
Figuren; episodenhafte Züge, die in kleinerem Format
ihre Bercchtigung gehabt hätten, mußten auch in Weg-
fall kommen; und so konzentrirt sich das Jnteresse
schließlich auf einige glücklich gewählte Farbenzusammen-
stellungen in den Kostümen, auf einige täuschend ge-

die den jungen netten Rabbi mit nicht gerade reli-
giöser Jnbrunst betrachten. — Hier wäre dann vielleicht
noch Prof. Herterichs „Abendstimmung" anzureihen

— ein lebensgroßer Engel, der mit seinem Violinspiel
ein auf Wolkcu lagerndes Amorettenpaar einschläfert,

— da auch dieses Bild durch seinen zart elegischen
Hnuch manchen gefesselt hat, der sich nicht verleiten

ließ, darüber nachzugrübeln, warum die Beine des
arnien Engels so sonderbar verzeichnet sind.

Ebenso Erfreuliches wurde diesmal auf dem Ge-
biete des Porträts geleistet. Fräulein Marie von
Kalkreuth, die sich schon längst als eine hervorragendc
Porträtmalerin erwiesen, stellte das Kniestück ihres
Baters, des Landschaftsmalers Grasen Leop. von Kalk-
reuth aus, das eine Kraft der Charakteristik aufweist,
wie wir sie seit Lenbachs Austreten nicht wieder gesehen
haben. Mit wenigen mächtigen Strichen ist der Cha-
rakter gezeichuet, und auch die Farbe und Lichtführung
wie die fast skizzenhafte Ausführung des Beiwerkcs
dient nur diesem Zweck. Dazu kommt ein merkwürdig
männlicher, beinahe herber, ungemein breiter und
markiger Vortrag, welcher dem Bilde den Reiz der
Frische und des pulsirenden Lebens verleiht. Eine
starke Anlehnung an Lenbach, sowohl in der sensi-
tiven Farbenempfindung wie in der Schärfe der Cha-
rakteristik, machte sich auch in einer Reihe von fünf
Bildnissen bemerkbar, mit welchen Leo Samberger
zum erstenmal vor die Öffentlichkeit trat. Namentlich
das Prosilbild des Vaters des Künstlers machte in
seiner schlichten Einfachheit einen grvßen Eindruck,
während das Porträt eines jungen Backfisches in
heller Sommertoilette auf lichtblauem Hintergrunde
zeigte, wie reizend Samberger auch das Liebliche
und knospenhast Mädchenhafte darzustellen vermag.
Die übrigen Bilder verrieten zwar ebenfalls ein her-
vorragendes koloristisches Geschick, litten aber einiger-
maßen daran, daß sich der Maler verleiten ließ, neben
den guten Eigenschasten auch einige geniale Nachlässig-
keiten Lenbachs zu kopiren. Ein intereffantes Gegenstück
zu diesen Arbeiten bildete das Kniestück einer sitzenden
jungen Dame von H. Schlittgen, dem geistvollen
Zeichner der Fliegenden Blätter, der seit einiger Zeit
bei Lefsbvre in Paris arbeitet. Was er darin giebt,
ist nichts neues; auch erkenne ich gerne an, daß
xlsin-uir-Beleuchtung bei Bildnissen ungehörig ist und
das Spielen mit dem schwierigen Farbenkontrast emes
lila Kleides auf grellrotem Hiutergrund nicht gerade als
empfehlenswertes Experiment gelten kann. Lehrreich
aber war es fllr die Münchener immerhin, daß sie ein-
mal ein Porträt nicht wie gewöhnlich in altmeister-
licher brauner Sauce servirt bekamen und gleichzeitig
einmal sahen, wie schneidig und elegant sich doch
eigentlich unsere „unmalerische" moderne Damentoilette
vou einem geschmackvollen Künstler behaudeln läßt.

Wie viel wir aus einem geschickt angewendeten
Studium der Franzosen lernen können, haben auch
einige Arbeiten Albert Kellers von neuem gezeigt,
„Studien und Skizzen", wie er selbst sie nennt. Jm
Grunde sollte jedoch in dieser Bezeichnung wohl nur
eine Konvenienz sür das Publikum liegen, das Bilber
 
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