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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Wolf, U.: Die nationale Kunstausstellung in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0279

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Die nationale Kunstausstellung in Venedig,

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svnderbaren Skulpturen steheu, und leicht ereignet es
sich, daß von den 1844 Bildern gerade das Feinere
Und Edlere übersehen wird, obgleich es ziemlich reich-
lich vertreten ist. Unter den 170 Skulpturwerken ist
es viel schwerer, etwas wirklich Ansprechendes, Herz
und Gcist Berührendes zu finden. Die erste aller
Ktinste, die Architektur, ist so gut wie gar nicht vorhanden.
Bon den Gemälden sind begreislicher Weise die meisten
dcnetianischen Ursprungs, aber die Venezianer verdienen
nicht nur der Massc sondern auch der Qualität nach
den Vorzug. Sei es, daß Favretto durch seine
heitere, farbenfreudige, sprudelnde Palette erfreut, oder
Nono in fast pathetischer Weise das Bauernleben in
wunderbar krästiger Farbe schildert, Giardi die La-
gune oder die üppigen Felder und Fluren des vene-
Zianischen Festlandes uns vor Augen sührt, vder
Wieder andere, wie Barison, Tito, Bordignon,
Dalocabianca das venezianische Kleinbürgerleben,
wie es sich auf dem Fischmarkte, am Rialto, in den
Gaßchen derStadt sowohl als auch in der armen dumpfen
Stube cntivickelt, darstellen: immer wirkt ihr Schaffen
erfrenlich und frisch. Unter allen Veneziancrn ist nicht
ein Jmpressionist; Berrücktheiten der abgeschmacktcsten
Art, dcncn wir da und dort auf der Ausstellung be-
gegnen, sind bei ihnen undenkbar.

Silvio Rotta hat mit ungemeinem Geschick und
Prachtvollster Farbe einen Gegenstand behandelt, der
unter der Hand eines südländischen Jmpreffionisten oder
Malers von sozialdemokratischer Tendcnz leicht entsetzlich
hätte werden können. Er zeigt uns eine lange Reihe
bon Galeerensträflingen, welche am späten Abend von
ber Zwangsarbeit durch die römische Campagna nach
lhrem Gefängnisse zurückkehren. Sie sind aneinander-
geschmiedet, werden von Soldaten bewacht und bieten
in ihren tiefroten Jacken und Mützen ein höchst eigen-
tümliches nnd koloristisch wirkungsvolles Bild. Die
Charaktere sind meisterhast wiedergegeben. Das Bild ist
eines der hervorragendsten, sowohl deni Gegenstande
als auch der gewählten Darstellungsweise nach. —
Favretto bringt einen eleganten Spaziergang aus
ber Rococozeit vor der Loggietta der Piazetta in kleineren
Figuren. Alles blitzt und leuchtet in Sammet und
Seide. Jn einem großen Bilde schildert er cin so-
genanntes Traghetto mit seinen stillliegenden Gondeln.
l§in Gondoliere setzt eben ein Mädchen über. Das
weislerlich gemalte Waffer des großen Kanals nimmt
zwei Drittel des ganzen Bildes ein. Obgleich das Bild
eigentlich nur eine große Studie ist, erfreut es doch
Ungemein durch die meisterhaste Behandlung. Ein Weih-
nachtsmarkt am Rialto, resp. ein Ausschnitt in langem
hohen Formate, zeigt uns einige nette junge Vene-
Panerinnen in überbunten Anzügen, welche Einkäufe
wachen. JnnVordcrgrunde eine Menge Krautköpfe. —

Viel edler und höher faßt Luigi Nono seine Kunst
auf. Er hat nur zwei Bilder gebracht, doch von
Uberaus mächtiger Farbenwirkung und echter Poesie. Jn
dem ersten Bilde schmückt cine alte Bäuerin noch schnell
vor deni Kirchgange ihre Tochter oder Enkelin mit neuen
Ohrringen. Jn ruhiger, fast majestätischer Haltung
läßt die junge Bäuerin sich dies gefallen. Die herzige
Freude der Alten, das Üppige der umgebenden frischen
Natur, die Ruhe des Sonntags, die dahinziehenden
Kirchgänger, welche sich in der fernen Dorfkirche ver-
lieren, alles ist bezaubernd und von wahrhaft edler
Empfindung durchweht. — Jn seinem zweiten Bilde
haben Schnitterinnen die heiße Tagesarbeit beendet
und es erlaubt der Vcrwalter des nahen Gutes armen
Ährenleserinnen, das Jhre zu thun. Eben ist die Sonne
feurig hinabgesunken nnd sendet nur noch gtühende
Reflexe überall hin. Der Künstler hat das Bild „Ruth"
genannt. Auch hier sind die Figuren halblebensgroß.
Nono hat hier die Größe der Natur in Verbindung
mit den mit ihr in nächstem Kontakt stehenden Menschen,
den Bauern, in meisterhafter Weise geschildert. Es
kommt ihm darin keiner gleich. Offiziell sind freilich
die Bildchen Michetti's für die Perlcn der Ausstellung
erklärt worden. Meine deutschen Landsleute jedoch
werden Nono die Palme zusprechen. — Aleff. Zezzos
hat in einer Volksscene unter den Säulen auf der
Piazzetta in gewohnter Weise Vortreffliches geleistet;
Laurenti stellt einige betende Franen in der Kirche
dar. Bordignon schildert in mehreren Bildern
teils Benezianer, teils Bauern, die als Auswanderer
die Heimat verlasscn. Barison bringt eine Waffer-
trägerin und einen sehr lebendigen Fischmarkt; ebensv
Tito einen solchen in lebensgroßen Figuren. Von
Ch. Kirchmeier (einem geborenen Venezianer) ist das
feinste Porträt der Ausstellung, eine Dame aus der
Gesellschast mit ihren beiden halberwachsenen Töchtern.
Mion stellt das Jnnere der Marknskirche zweimal
dar, und wiederholt in einer Ophelia seine etwas über-
reiche Manier. Gianetti führt uns in eine Kapelle
von S. Giovanni e Paolo, wo einige Frauen beten.
Ein junges Mädchen küßt einem Dominikaner, wie
llblich, die Hand. Der unermüdliche, vft etwas gar
zu kecke Lancerotto sllhrt uns zum Hochzeitsschmause
einer venezianischen Familie der geringeren Volksklaffe,
wo zum Klange der Harmonika getanzt wird.
E. Blaas bringt eine feine, lebensgroße, etwas zu glatt
gemalte Mädchengestalt, auf den Stufen stehend, welche
zum Wasser hinabsühren, die er eine Wäscherin nennt.
Jn einem zweiten Bilde stellt er Kinder Venedigs
dar, welche dem Kloster zur Erzichung llbergeben sind
und sich am Puppenspiele ergötzen (im Kostüme des
vorigen Jahrhunderts). Jn diesem seinen kleineren
Bilde zeigt sich der Künstler von seiner liebenswürdigsten
 
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