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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Portheim, Friedrich: Zur frühmittelalterlichen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0348

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091

Zur frühmittelalterlichen Kunst.

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des heil. Caesarius von Arles *), Brüssel, Nr. 9850—
9852, geschrieben in St. Msdard von Soissons. Der
Schmuck der Handschrist besteht in Jnitialen und
einem reichen Titelblatt mit einer großen Arkade in
rot, rosa und grün ausgeführt. Jn einer kleinen Ab-
handlnng (Über dcn dckorativen Stil in der altchrist-
lichen Knnst, Stuttgart, Spemann 1886) habe ich auf
den in Zeichnung und Farbe sehr ähnlichen Codex 847
der Wiener Hofbibliothek anfmerksam gemacht und
versncht, die Stellung der merowingischen Handschriften
als Vorläufer der karolingischen Kunst zu erörtern,
wie sie die ravennatische Ornamentik im 6. und
7. Jahrhundert auf französischen Boden verpflanzen und
sie fortsetzen. Der Brüsseler Codex stellt dieses Ver-
hältnis klar vor Augen. Auf stusensörmig aufgetürmten
Sockeln erheben sich die beiden Pfeiler der Arkade mit
ganz antik gedachtcm Laubornament zwischen Zickzack-
linien, oben abgeschlossen vvn cinem Kapitäl, welches
Entrelacs zeigt so einfach wie viele andere altchristliche
Monnmcnte. Darüber setzt dcr Bogen an zuin Drei-
viertclkreis ausgeweitet als ein Vorläufer des Hufeisen-
bogens in den westgotischen und karolingischen Hand-
schriften. Dasselbe ornamentale Spiel mit Zirkel-
linien tritt uns in der dem Bogen eingeschriebenen
Rvsette entgegen, wclche mit denen der Kanzel von S-
Pietro in Ferentillo identisch ist. (Roimnlt äs Rlsnr^, Ra
Ne886, Taf. 58.) Jn den beiden Zwickeln der Ar-
kaden steht in der Brüffeler Handschrift je ein Pfau
kindisch und ungeschickt gebildet; der Schweif ist von
einer breiten Linie umrahmt und mit kreissörmigem
Ornament ausgefüllt wieder wie anf den gleichzeitigcn
oberitalischen Skulpturen. Die Füllung der Jnitialen
besteht aus Laubwerk, Vogelgestalten, einfachen Entrelacs
und eimnal (Dclisle Taf. 3) aus jcnem aufsteigenden,
gereihten Herzblattornament wie an dem Theoderichs-
grabnial, cin Motiv, das der ganzen altchristlichen
Kunst gemein ist.

Eine zweite, gleichfalls franzvsische Handschrist
derselben Gruppe (Vatikan Nr. 316 ans dem Besitz
der Königin Vvn Schweden. Abbildung: Delisle, Laora.-
msntairss, Taf. 1—4) weist drei Titelblätter anf, reich
verzierte Arkaden mit Vögeln wie üblich in den Zwickeln,
und unter dem Bogen ein Kreuz, deffen Schenkel in
Voluten anslaufen wie auf den altchristlichen Skulp-
turen der llmgebung von Ravenna (Rohault de Fleury
a. a. O. Tnf. 31, 42, 62, 99, 158 rc.). Von den
Kreuzesschenkeln hängen das « und das m herab, ein
altchristliches Motiv, das sich besonders in den west-
gotischen Handschriften noch lange hält (vgl. Cahier
blouv. UsIaiiA68 1877 p. 226, 253.). Gerade in

t) Vgl. dis Nachträge von S. Löwenfeld und Harnnck
in der Zeitschrift für Kirchengeschichte.

Spanien ersreute sich dieses Symbvl grvßer Beliebtheit
(vgl. Le Blant im äonrnal äss Lavnnts 1873, S. 360
gegen F. H. Kraus, Realencyklopädie, S. 61).

Auch sonst finden sich in dem vatikanischen Codcx
lauter bekannte Motive: das Lamm, welches vor dem
Kreuze steht (Ravenna), das Vorwiegcn der Farben
rot und grün, das Auslaufen der Jnitialen in die be-
liebten Voluten, Spiralen oder ein krautiges Blatt,
welches auch in der Schrift als Abkürzungszeichen
dient, endlich die Titelüberschriften, deren Bnchstaben
bloß aus Fisch- und Vogelgestalten bestehen (vgl. die
Abbildung zweier Handschriften in Oxford bei West-
wood, knIasoAraxiliia saora piotoria) — durchaus
bezeichnende Elemente der merowingischcn Handschristen.

Von eineni dritten ähnlichen Manuskript giebt
Dclisle Nachricht uüd Abbildnng in dcr bilotios snr
plnsisnrs mannsorits äs la llibliotliögnö ä'Orlsans
(Notioss st Rxtraits äss Nannsorits Bd. 31, 1. Teil
1883). Unter Nr. 11 wird dort vvn einer Homilien-
sammlung des 7. bis 8. Jahrhunderts gchandett
(Orloans Nr. 131, ^.sllbnrnliain Ronäs Inbri 9 und
11) ausgezeichnet dnrch große, gemalte Fischinitialen
und wichtig als Muster der großcn Gruppe von Uncial-
handschriften die in der Benediktinerabtei von Fleuri
entstanden sind. Durch den Hinweis auf das nvrd-
lichere Frankreich — Soissons und Flcuri — gewinncn
wir jetzt cinen Anhaltspunkt für die ganze merowingische
Handschriftenfamilie. Den großen Hintergrund bilden
überall deutlich die kulturgeschichtlichen Zustände, das
Verhältnis des nördlichen Frankreich zum romnnisirten
Gallien, analog dem Gegensatze zwischen Ravenna
nnd Rom.

Nicht minder wichtig sind Delisle's Untersuchungen,
soweit sie die karolingische Zeit betreffen; hicr werdcn
zwei bestimmte Handschriftengruppen herausgehoben
und örtlich sixirt. Bci Beschreibung der Sakramen-
tare löst sich eine Reihe von Manuskripten aus der
Maffe los, nachweislich in der Uingebung von Reims
und Sens geschriebcn, Handschriften, welche zuin Tcile
schon Bastard nach dem künstlerischen Schmucke allein
als Nrrnnsoribs UrunLo-Laxons grnppirt hattc. Znr
Charakteristik genügt es auf die Abbildungen zu ver-
weisen: Delisle, Laorainentaires Taf. 5—11; Bastard,
Taf. 182—188, 224, 225, Dnricux, Rss Liniatnrss
äss Nnnnsorits än la bidliotliögns äs Oaindrai
Taf. 1 n. s. w. Delisle bringt die Zahl dieser Hand-
schriften auf 13. Jn einer zweitcn Arbcit, Aüinoirs
snr I'sools oglliArapliigns äs Illours an IX ms zltzols
(Noinoirss äs 1'Xoaäsmis äss insorixtions st dsllss-
Isttrss Bd. 32, 1. Teil 1885) stcllt er 25 Manuskriptc
zusammen, ausgezeichnet dnrch die Verwcndnng ciner
cigentümlichen kalligraphischen Schriftart, der karo-
lingischen Halbunciale. Dieselbe dient fast ausschließ-
 
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