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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Das Altarwerk des Hans Memling im Dom zu Lübeck
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Das Altarwerk des Hans Memling im Dom zu LübeL

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Lnxtistus, klisronz'rlli, LIusü s.t<ill6 lÜKiilii, ninrtyrulli
st oovtössoruill ill äieta, llostru soolssis,, wie es in
der Urkunde heißt, ins Leben gerufen, welcher auch,
wie das Bildwerk unmittelbar vor Augen stellt, der
Titel des schon vvn den Testamentarien in dieselbe
Kapelle gesetzten Altars ist, ohne daß dies noch be-
sonders bezeugt zu sein brauchte. Wer sieht nicht in
diesem Zusammenhange von Vikarie und Altar in einer
und derselben Kapelle einen auf den gleichen Ursprung
und Urheber zurückgehenden, lange vorher bedachten
Plan? Freilich braucht nicht Adolf Greveradc der
alleinige Stifter gewesen zn sein, es kann auch der
Bruder desselben, der mit der Stadt Brügge vielfach
in Geschästsverbindung stehendereiche Kaufherr Heinrich
Greverade, welcher aus einer Reise nach Rom im
Jahre 1500 zu Viterbo sich besand, an diesem Plan seinen
Anteil gehabt haben. Äa, es ist dies sogar im höchsten
Grade wahrscheinlich, wenn auch bis jctzt kein schrift-
liches Zeugnis darüber gefunden ist. Aber gleichviel,
wenn hierüber auch niemals etwas Gewisies zum Vor-
schein kommen sollte, die Herkunft des herrlichen Mem-
lingschen Tafelwerks vom Jahre 1491 ist jetzt hin-
länglich klargestellt, und darin liegt das Hauptverdienst
der vorliegenden Schrist von Gaedertz, deren Lektüre wir
hiermit aufs Beste empfohlen haben wollen. Was die
sich anschließende Würdigung des künstlerischen Wertes
betrifft, so meinen wir, daß es nnter unseren Kunst-
forschern'' und Kennern der altflandrischen Malerei
niemand dem Lübecker Verfasser verargt habcn würde,
wenn er gegen die Art und Weise, wie Crowe nnd
Cavalcaselle die inneren Tafeln der Krenzigung be-
sprechen, scharf zu Felde gezogen wäre. Es muß ihn
die Widmung der kleinen Schrift an Crowe davon
abgehalten haben. Hier ist nicht der Ort dazu, auf
die arg übertreibende Darstellung, welche einzelne
geringsügige Unterschiede von andern Gemälden Mem-
lings und kleiue wirklich vorhandene Schwächen des
Werkes in sehr empfindsamer Weise hervorhebt, aus-
führlicher einzugehen, es möge vielmehr nur bemerkt
sein, daß wir, bei mehrfacher Vergleichuug des Lllbecker
Altars mit den Werken Memlings, besouders mit denen
in München und in Brügge, nicht im entferntesten
solche Abstände wahrgenommen haben, wie sie von
Crowe und Cavalcaselle behauptet werden, sondern
vielmehr der festen Überzeugung geworden sind, daß
alles, was die Mitteltafeln zeigen, mit den sonstigen
Werken Memlings im besten Einklange steht, und daß,
wenn hier und da wirklich von einer etwas breiteren
und sich in einigen Stücken mehr als sonst gehen
lassenden Technik mit Fug und Recht die Rede sein
darf, dies mit ganz anderen Gründen als mit der
Annahme von Gesellenhänden erklärt werden muß.
Am auffälligsten aber ist es uns, daß sich der Tadel

über kleine Dinge ergießt, welche mit den Augen förm-
lich erst gesucht werden mllssen, wie z. B. über das
Bologneser Hündchen, das einen am Wege sitzenden
Frosch mit großer Unruhe betrachtet, und feruer über
den Affen auf dem RUckeu eines Rvsies der Reiter
beim Kreuzesstamm. Wie mag man einem mit kind-
licher Naivetät schaffenden Maler wie Memling, dessen
große Freude an der Natnr und allem, was darin
fleucht und kreucht, uns auf Schritt und Tritt in seinen
reichen Gemälden begegnet, dergleichen Züge übel-
nehmen? Wer möchte diese und andere Wahr-
nehmungen ähnlicher Art fllr Störungen halteu, welche
die religiöse Weihe beeinträchtigen, mit der alles andere
im Gemäldc behandelt ist? Was uns betrifft, sv
empfinden wir in der Freude, mit welcher der Maler
dergleichen Nebendinge behandelt, nichts als eine Ver-
vollständigung jenes Zuges kindlicher Harmlosigkeit,
Unschuld und Arglosigkeit, womit er uns in allen seinen
Werken erfrent. Und es vermag uns dies und anderes
keinen Augcnblick davon abzuhalten, den Lübecker Altar
für das Höchste und Vollendetste zu halten, was Mcm-
ling geschaffen hat. Gestalten von solcher Schönheit,
Feinheit und kirchlicher Großartigkeit wie die vier
Heiligen, welche auch Gaedertz richtig als das Vor-
züglichste im Dombilde bezeichnet hat, begegnen nns
in keinem einzigen der andereu bekannten Werke Mem-
liugs, und wir wüßten serner auch nicht, in welchem
Punkte die Jnnenbilder der Pasiion den in der Auf-
fasiung und Behandlung sehr verwandtcn „Sieben
Freuden Mariae" in München nachstehen möchten.
Ja, wir wollten wohl darauf wetten, daß, weun beide
Werke nnmittelbarnebeneinander gestellt werden könnten,
sich niemand mehr finden würde, der cinen solchen
Vergleich als für den Domaltar irgendwie nachteilig
hinzustellen nnternähme. Wcnn irgend eins der dem
Memling mehr oder wcniger richtig zugcschriebenen Werke
dem Wcrte nach als ein geringeres hingestellt werden
sollte, dann wäre es — man verzeihe die Kctzerei —
Ler Ursula-Schrein in Brügge, gewiß aber nicht der
Lübecker Domaltar. Doch würde es zu weit führen,
dies hier des Näheren zu begründen. Wir wollen am
Schluß alle diejenigen, welche sich durchaus an einem
unschnldigen Affen ärgern wollen, noch auf zwei
solche Geschöpfe aufmerksam machen, erstens auf den
Affen, welcher rechts unten auf der Mauer uumittel-
bar neben der knieenden Stifterin des Mllnchener
Bildes der „Sieben FreudenMariae" sitzt, und zweitens
auf den, welcher in dem köstlichen Schnitzwerk des
Jan Bormann in der Pfarrkirche zu Güstrow ganz
ebenso wie im Memlingschen Bilde zu Lübeck auf dem
Rücken eines der Rosie der Reiter am Kreuzesstamm
sichtbar wird; endlich aber auch unsere Freude darllber
aussprechen, daß in der letzten Ausgabe des Bädeker
 
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