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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Brun, Carl: Die schweizerische Kunstausstellung von 1887
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https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0365

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725

Die schweizerische Kunstausstellung von 1887.

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Mädchen, nnscheinend im Backfischcilter, beschaut sich
lächelnd in einem Spiegel, den es in der Hand hält.
Was mir schon oft bei Stückelberg auffiel, die völlige
Farblosigkeit seiner Gestaltcn, stört uns auch hier. An
und für sich eiu anmutig komponirtes Bildnis, ver-
liert dasselbe durch seine kalten Fleischtöne und das
stellenweis sehr schwache Relief ungcmein an Wirkung.
Ähnlich weiß Frau Orthaus-Christofari ihre
Modelle wiederzugeben, auf den ersten Blick erkennt
man die von ihr gemalten Herren von der medizini-
schen und theologischen Fakultät Zürichs. Gustav
Vollenweider in Bern hat sein Selbstporträt, Frl.
Bindschädler, bei der wir mit Freude Fortschritte
konstatiren, verschiedene Kinderporträts ausgestellt; be-
sonders verrät der blondgelockte Knabe mit dem Schiff
feines Gefühl und poetische Auffassung. Von Ritter
ist ein Studienkopf „Jngeborg" lobend zu erwähnen,
cine sorgfältig ausgeführte weibliche Porträtfigur als
überaus steif in der Stellung dagegen zu tadeln.
Taleutvoll und gut gemalt sind die kleinen Porträts
von R. Piguet, eine „Dame im Mantel" w.; leider
mit Hilfe einer Photographie fixirte Schlatter die
Züge des Professor Mommsen iu Berlin. Wir halten
es für unsere Pflicht, den Künstler darauf aufmerksam
zu machcn, daß et sich auf falscher Fährte befindet.
Wie kann man ein Porträt nach einer Photographie
malcn! Daß man es thut, wenn die darzustellende
Persönlichkeit nicht mehr unter den Lebenden weilt,
ist am Ende begreiflich, aber wo sie, wie hier, noch
erreichbar, sollte der Künstler, entweder um sich des
geistigen Ausdrucks zu vcrsichern, sie zu Sitzungen be-
wegen, oder, wenn diese ihm nicht bewilligt werden,
sich ein anderes Modell suchen. Die Photographie
ist der Todfeind der Malerei. Diese kann in der
Schnelligkeit der Produktion nicht mit ihr wetteifern,
wohl aber sie aus dem Felde schlagen, sobald es sich
darum handelt, in den Gesichtszügen eines Menschen
sein inneres Leben sich spiegeln zu lassen. Wenn die
Malerei sich des großen Vorteils, der für sie in dem
sorgfältigcn Studium der Natur liegt, freiwillig be-
giebt und statt an selbst Geschautes, an Augenblicks-
ausnahmen anknüpft, wenn sie sich mehr an photogra-
phirte Akte nnd Studien als an gestellte Modelle hält,
dann hat sie schließlich anch nicht über Siechtnm zu
klagen und zu jammern über dic zunehmcnde Tcil-
nahmlosigkeit dcr Welt.

Wie gewöhulich sind auch diesmnl das eigentliche
Genre und die Landschaft am zahlreichsten vertreten.
Jnteressant ist Hermesdvrffs „Klosterschule". Ein
Pater sitzt am Harmonium und leitet den Gesang der
weiblichcn Schuljngend; rechts in die Thür drängt sich
eine Schar von Knaben, welche hinter dcm Rücken des
Lehrers versuchen, die Mädchen zum Lachen zu reizen.

Man sieht, der Maler hat sich die Aufgabe gestellt, eine
Antithese zu schaffen, und hier den Ernst, dort den Scherz
betont. Sein Gemälde ist gut komponirt nnd tüchtig in
der Zeichnung, würde nber entschieden noch gewinnen,
wenn der Eindruck einheitlicher konzentrirt wärc.
„Jm Fischerhafen" von Nordenberg hat, abgesehen
von eiuigen Mängeln — die Figuren kleben stark
aneinander — manches Gute, der Mann im Schisfe
z. B-, welcher dem am Ufer stchenden Publikum seine
Fische zum Verkauf anbietet, ist eine lebendig wieder-
gegebene Gestalt. Sehr schwach mutetc uns das
Bild von Grob an. Wollte er eine Neapolitanerin
mit ihrem Kinde malen, wie es den Anschein hat, so
ist es ihm nicht gelungen, charakteristische Typen anf-
zufinden; auch trägt der uuglücklich ausgefallene
Hintergrund mit dem plumpen, einem Zigeunerkessel
ähnelnden Schiffe am Strande nicht geradc dazu bei,
uns die Scene näher zu bringen. Was soll ich zu
den anf keiner Ausstellung fehlenden Römerinnen und
Tuneserinnen, zu den Odalisken und Spinncrinnen,
was über die Bauernmädchen und Wirtinnen bnyri-
scher Herkunft mit ihrem langwciligen Micnenspiel
sagen? Am besten deckt man über derartigc Gemüldc,
die zuni Zanrs ennu/eux gehören, den Mantel der
christlichen Nächstenliebe. Traurig geuug, daß oft
talentvolle Männer ihr Können an derartige Gegen-
stände verschwenden! „Der betende Mönch" von Ritter
verrät ein ernstes Streben, ausfällig ist aber die
völlig nnmotivirte Beleuchtung der Gestalt; Müllers
Bild „Verschlafen" schlägt cinen liebenswiirdig
humoristischeu Ton an. Viel besprochen und leb-
haft umstrittcn wurden die beiden in gewaltigen
Dimensionen ausgeführten Kompositivncu von Jean-
neret. Wir bckämpfen die Jmpressivnisten, aber
können Werkc, wie „die arbeitende Winzerin"
und „die Weintrotte" unmöglich totschweigcn. Zu-
nächst die Bemcrkung, daß die vom Künstlcr gewähl-
ten Stoffe nicht interessant genng sind, nm dem Ange
in Lebensgröße aufgedrungen zu wcrden. Für die
Wiedergabe der nacktesten Prosa, wie sie hier vor uns
stcht, und wenn es sich lediglich um die Lösung eines
technischen Problems handelt, gcnügt cin kleines For-
mat. Arbeiter, welche im Schweiße ihres Angesichtes
die Weinpresse in Bewegung setzen, und Mädchen,
die in dem an nnd für sich schon nnschönen Wein-
berge die Rebschvsscn an die Stöcke binden, sind für
die Malerei nur dann brauchbar, wenn sie in den
Dicnst einer höhercn, durch Poesie und Licht verklär-
ten Jdee treten. Die Zeichnung der Figuren mag
noch so korrekt sein, der iu dunkeln Tönen gehaltene
Kopf der Winzerin sich noch so gut vom Blau des
Himmels abheben, die rcin stosflich materielle Fixiruug
des Momentes läßt uns den guten Eigenschaften der
 
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