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Über die Gemälde von Geertgen van Sint Jans.
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etwas zu scharf geputzt worden, wobei stellenweise
die Lasur vder auch die Schärfe der Zeichnung zum
Opfer gefallen ist, welche letztere Eigenschaft gerade
diese Künstlerhand wesentlich charakterisirt.
Nun kann ich meine Erfahrung nicht zurückhalten
um zu sagen, daß es öfters vorkommt, daß selbst ge-
wiegte Kenncr durch cinen gelben Firnis, eine schmutzige
Oberfläche oder eine teilweise Verputzung irregeführt
werden und ihr Urteil gleich zum Nachteile der Ori-
ginalität des Bildes abgeben. Und nun erst die
ästhetisirenden, philosophischen Herren, welche sich
immer mehr mit dem Geiste als mit der Materie be-
schäftigen!
Scheibler geht meines Erachtens in der Borsicht
etwas zu weit, wenn er das Prager und das römische
Exemplar des Tvdes Mariä nur auf „ein unbekanntes
Vorbild eines ausgezeichneten, bisher nur ungenügend
erforschten vlämischen Meisters, des Hugo van der
Goes" zurückführt. Jm Londoner Exemplar hoffte
er das Goessche Vorbild zu finden, war jedoch über-
rascht darin „nichts von Goesscher Kunstweise sehen
zu können", sondern überzeugte sich, daß hier „ein
enger Zusammenhang mit Jan van Eyck vorliege".
(Repertorium VH, S. 43.)
Jch würde aus diesem Urteile schließen, daß
Scheibler wegen der minder guten Erhaltung wenig-
stcns das Prager Exemplar unterschätzt, welches Bild
dvch — schvn im Vergleich mit dem Wiener Bilde,
dessen Originalität und Vorzüglichkeit noch nicht be-
zweifelt wurde — durchaus dcn Eindruck einer Original-
arbeit macht.
Gegenüber dem Urteile Scheiblers wird eine an-
dere Ansicht interessant, welche Henrp Hpmans (van
Mander I, S. 104) über die Wiener Beweinung
Christi äußert: iöions inolinons ä äonnsr an mallrs
(Uogisr van äsr Ws^äsn) la msrvsillsnss x>stit.s
Osxosition äs oroix äs In (lalsris (Uslvsäsrs, Z.stngs,
oliLmbrs II, Hr. 12) ^) s.ttril>us ü äan van lü/olr.
Hier glaube ich wieder annehmen zu müssen, daß
Henrp Hpnians durch die Verwandtschaft der Be-
weinung Christi (Kreuzabnahme) mit dem allgemein
als R. van der Wepden anerkannten Altarbild mit
zwei Flügeln im Belvedere, Nr. 1386 des neuen Kata-
lvgs, zu seiner Ansicht gebracht wurde, welches Bild
gleich im Saale nebenan hängt und zu einem Vergleiche
gcradezu herausfordert.
Jn den meisten wesentlichen Punkten stimmt die
Art beider Bilder allerdings überein, nur ist das Ge-
mälde van der Wepdens in einem viel größeren Maß-
stabe gehalten und ist der „Tod Mariä" in Prag noch
1) Dies ist die Signatur desselben Bildes im alten
Katalog.
mehr gebrochen, kühl und wie ausgeblichen in den
Farben, gerade so, wie die oft gcnannte Beweinung
Christi im Belvedere.
Bemerkenswert ist noch, daß die Figur des Jo-
hannes auf dem Wiener Bilde von van der Weyden
(bis auf die Kopsbewegung) ganz in das Bild der
Beweinung Christi, wo Johannes den Leichnam Christi,
wie dort die sinkende Madonna, stützt, übertragen er-
scheint. Dieser Umstand würde mich jedoch nicht be-
stimmen, das Bild deswegen van der Wepden zuzuschrei-
ben. Van der Goes hat überhaupt auch sonst ganze
Figuren van der Wepdens benutzt. So besteht von
ihm das einzige vollständig beglaubigte Bild in Florenz,
von welchem Hpmans (van Mander I, S. 55) sehr
bezeichnend sagt:
„Ostls nsltslö äs traits, oonllnant mSms ü 1a
sSolisrssss, sst xartionliörsmsnt Iraxxants äans
l'nnic^us xsintnrs, ä'nns autlisntioitS irröonsalils,
gus 1'on possöäs snoors äs L. van äsr Ooss. II
s'agit än lamsnx trixt^gns äs Is. Hativitä aotnslls-
msnt äöposs an rnnsss äs I'Iiöx>itg.I äs 8anta Nuria.
Hnova ü Olorsnos.^
Bei diesem etwa 1470 bis 1475, sonach sechs
bis neun Jahre nach dem Tode R. van der Weydens,
gemalten Altarbilde schwebte dem Meister nicht nur
das Arrangement der Komposition der für Bladolin
gemalten Geburt Christi van der Wepdens (dermalen in
Berlin Nr. 535) vor, sondern er hat in sein Bild auch
die Gestalt der Madonna des letzteren mit unwesent-
lichen Änderungen aufgenommen, aus welchem Um-
stande ein ähnliches Verhältnis beider Meister ersichtlich
ist, wie es bei den zwei Wiener Bildern stattge-
funden hat.
Die beiden Bildchen, sowohl das der Beweinung
Christi in Wien, als auch jenes des Todes Mariä in
Prag, scheinen mir auch wegen der freieren Bewegung
der Figuren einer jüngeren Generation als Roger van
der Wepden anzugehören.
Auch sinden sich bei diesen schvn einige an Manier
erinnernde Gewandmotive, so die nach zwei Seiten
auseinandergehenden Gewandzipfel, welche im Mantel
des Johannes bei dem obenerwähnten Bilde von
Roger in natürlicher Entwickelung, in dem Mantel
desselben Johannes auf der Beweinung Christi aber
bereits manicristisch und scharf betont erscheinen, wie
dasselbe Motiv später verschiedentlich bei Schongauer
und Memling ebenfalls schon manieristisch verwertet wird.
Wenn man nun die für van der Goes charakte-
ristisch kühle Färbung auf die Wagschale legt, so dürfte
das ZUnglein sich auf die Seite diescs Meisters als
Urhebers der beiden fraglichen Bildchen neigen.
Ein Umstand möchte auch noch für diese Ansicht
sprechen. Wenn man nämlich auf dem Prager Bildchen
Über die Gemälde von Geertgen van Sint Jans.
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etwas zu scharf geputzt worden, wobei stellenweise
die Lasur vder auch die Schärfe der Zeichnung zum
Opfer gefallen ist, welche letztere Eigenschaft gerade
diese Künstlerhand wesentlich charakterisirt.
Nun kann ich meine Erfahrung nicht zurückhalten
um zu sagen, daß es öfters vorkommt, daß selbst ge-
wiegte Kenncr durch cinen gelben Firnis, eine schmutzige
Oberfläche oder eine teilweise Verputzung irregeführt
werden und ihr Urteil gleich zum Nachteile der Ori-
ginalität des Bildes abgeben. Und nun erst die
ästhetisirenden, philosophischen Herren, welche sich
immer mehr mit dem Geiste als mit der Materie be-
schäftigen!
Scheibler geht meines Erachtens in der Borsicht
etwas zu weit, wenn er das Prager und das römische
Exemplar des Tvdes Mariä nur auf „ein unbekanntes
Vorbild eines ausgezeichneten, bisher nur ungenügend
erforschten vlämischen Meisters, des Hugo van der
Goes" zurückführt. Jm Londoner Exemplar hoffte
er das Goessche Vorbild zu finden, war jedoch über-
rascht darin „nichts von Goesscher Kunstweise sehen
zu können", sondern überzeugte sich, daß hier „ein
enger Zusammenhang mit Jan van Eyck vorliege".
(Repertorium VH, S. 43.)
Jch würde aus diesem Urteile schließen, daß
Scheibler wegen der minder guten Erhaltung wenig-
stcns das Prager Exemplar unterschätzt, welches Bild
dvch — schvn im Vergleich mit dem Wiener Bilde,
dessen Originalität und Vorzüglichkeit noch nicht be-
zweifelt wurde — durchaus dcn Eindruck einer Original-
arbeit macht.
Gegenüber dem Urteile Scheiblers wird eine an-
dere Ansicht interessant, welche Henrp Hpmans (van
Mander I, S. 104) über die Wiener Beweinung
Christi äußert: iöions inolinons ä äonnsr an mallrs
(Uogisr van äsr Ws^äsn) la msrvsillsnss x>stit.s
Osxosition äs oroix äs In (lalsris (Uslvsäsrs, Z.stngs,
oliLmbrs II, Hr. 12) ^) s.ttril>us ü äan van lü/olr.
Hier glaube ich wieder annehmen zu müssen, daß
Henrp Hpnians durch die Verwandtschaft der Be-
weinung Christi (Kreuzabnahme) mit dem allgemein
als R. van der Wepden anerkannten Altarbild mit
zwei Flügeln im Belvedere, Nr. 1386 des neuen Kata-
lvgs, zu seiner Ansicht gebracht wurde, welches Bild
gleich im Saale nebenan hängt und zu einem Vergleiche
gcradezu herausfordert.
Jn den meisten wesentlichen Punkten stimmt die
Art beider Bilder allerdings überein, nur ist das Ge-
mälde van der Wepdens in einem viel größeren Maß-
stabe gehalten und ist der „Tod Mariä" in Prag noch
1) Dies ist die Signatur desselben Bildes im alten
Katalog.
mehr gebrochen, kühl und wie ausgeblichen in den
Farben, gerade so, wie die oft gcnannte Beweinung
Christi im Belvedere.
Bemerkenswert ist noch, daß die Figur des Jo-
hannes auf dem Wiener Bilde von van der Weyden
(bis auf die Kopsbewegung) ganz in das Bild der
Beweinung Christi, wo Johannes den Leichnam Christi,
wie dort die sinkende Madonna, stützt, übertragen er-
scheint. Dieser Umstand würde mich jedoch nicht be-
stimmen, das Bild deswegen van der Wepden zuzuschrei-
ben. Van der Goes hat überhaupt auch sonst ganze
Figuren van der Wepdens benutzt. So besteht von
ihm das einzige vollständig beglaubigte Bild in Florenz,
von welchem Hpmans (van Mander I, S. 55) sehr
bezeichnend sagt:
„Ostls nsltslö äs traits, oonllnant mSms ü 1a
sSolisrssss, sst xartionliörsmsnt Iraxxants äans
l'nnic^us xsintnrs, ä'nns autlisntioitS irröonsalils,
gus 1'on possöäs snoors äs L. van äsr Ooss. II
s'agit än lamsnx trixt^gns äs Is. Hativitä aotnslls-
msnt äöposs an rnnsss äs I'Iiöx>itg.I äs 8anta Nuria.
Hnova ü Olorsnos.^
Bei diesem etwa 1470 bis 1475, sonach sechs
bis neun Jahre nach dem Tode R. van der Weydens,
gemalten Altarbilde schwebte dem Meister nicht nur
das Arrangement der Komposition der für Bladolin
gemalten Geburt Christi van der Wepdens (dermalen in
Berlin Nr. 535) vor, sondern er hat in sein Bild auch
die Gestalt der Madonna des letzteren mit unwesent-
lichen Änderungen aufgenommen, aus welchem Um-
stande ein ähnliches Verhältnis beider Meister ersichtlich
ist, wie es bei den zwei Wiener Bildern stattge-
funden hat.
Die beiden Bildchen, sowohl das der Beweinung
Christi in Wien, als auch jenes des Todes Mariä in
Prag, scheinen mir auch wegen der freieren Bewegung
der Figuren einer jüngeren Generation als Roger van
der Wepden anzugehören.
Auch sinden sich bei diesen schvn einige an Manier
erinnernde Gewandmotive, so die nach zwei Seiten
auseinandergehenden Gewandzipfel, welche im Mantel
des Johannes bei dem obenerwähnten Bilde von
Roger in natürlicher Entwickelung, in dem Mantel
desselben Johannes auf der Beweinung Christi aber
bereits manicristisch und scharf betont erscheinen, wie
dasselbe Motiv später verschiedentlich bei Schongauer
und Memling ebenfalls schon manieristisch verwertet wird.
Wenn man nun die für van der Goes charakte-
ristisch kühle Färbung auf die Wagschale legt, so dürfte
das ZUnglein sich auf die Seite diescs Meisters als
Urhebers der beiden fraglichen Bildchen neigen.
Ein Umstand möchte auch noch für diese Ansicht
sprechen. Wenn man nämlich auf dem Prager Bildchen