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Fünfter Tag für Denkmalpflege
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Leider werden die Aufgaben der Konservatoren in
den verschiedenen Ländern, auch in den deutschen
Ländern, recht verschieden aufgefaßt. Aber in zwei
Hinsichten ist man wohl einig: Es gilt, weiteren Ver-
fall durch rechtzeitige Sicherheitsmaßregeln zu ver-
hüten, und es gilt, die Kunstwerke vor ungeeigneten
Veränderungen, Umbauten, Erneuerungen usw. zu
schützen. Für die erste Aufgabe sei der Konservator-
Architekt wesentlich im Vorteil, da er sie auch selbst
ausführen kann, für die zweite sei er dem Kunst-
historiker ebenbürtig. Für Fälle wie das Heidelberger
Schloß oder den Meißner Dom komme der Konser-
vator gar nicht in betracht, dafür werden bekanntlich
besondere Architekten bestellt. Es komme beim Konser-
vator alles auf die Persönlichkeit an, eine allgemeine
Einigung zwischen Kunsthistorikern und Künstlern sei
niemals zu erreichen. Der Wettstreit zwischen beiden
aber könne nur förderlich sein, nur müsse die persön-
liche Befehdung und Verdächtigung, das Arbeiten mit
Vorurteilen und Schlagworten aufhören. Aufhören
aber müsse auch in Deutschland, daß Denkmalpflege
und Inventarisierung im Nebenamt betrieben werde.
Berufsstudium und Berufsstellung seien die ersten und
wichtigsten Grundlagen für eine gedeihliche Denkmal-
pflege. (Lebhafter Beifall.)
Eine lange Ansprache beschäftigte sich mit der
Kennzeichnung restaurierter Bauteile, wofür Architekt
Bodo Ebhardt-Berlin eine Reihe von Leitsätzen auf-
gestellt hatte. Am Ende der lang andauernden De-
batte wurde einstimmig ein Antrag des Oberbürger-
meisters Struckmann-Hildesheim angenommen:
Die Wiederherstellung an einem Denkmal (Bau-
werk usw.) ist durch Anbringung der Jahreszahl und
durch Zeichen, welche die Unterscheidung der alten
von den neuen Teilen ermöglichen, kenntlich zu
machen. Die Art der Kennzeichen bleibt dem leiten-
den Künstler überlassen.
Damit ist diese Frage, die den Denkmalpflege-
tag nun schon dreimal beschäftigt hat, hoffentlich
endgültig von seiner Tagesordnung verschwunden.
Sehr erfreulich war die Mitteilung, daß das Er-
scheinen eines Handbuchs der Deutschen Kunstdenk-
mäler nunmehr gesichert ist. Auf eine Immediat-
eingabe hat der Kaiser das Geld dazu aus seinem
Dispositionsfonds bewilligt. Professor Dehio wird
das Handbuch verfassen. Es wird fünf Bände zu je
25 Bogen stark im Bädekerformat im Verlag von
Wasmuth binnen sechs Jahren vollständig erscheinen.
Der Preis soll möglichst billig angesetzt werden. Der
erste Band wird im Frühjahr 1905 erscheinen. Der
Ausschuß (Lörsch, Öchelhäuser, Gurlitt) wird nur
das Fortschreiten des Werkes überwachen und die
geschäftliche Seite wahren, im übrigen wird das Buch
ein durchaus selbständiges Werk des Professors Dehio
sein, dessen bekannte Sachkenntnis und Arbeitskraft
das volle Gelingen des Werkes verbürgt.
Von der Gesetzgebung für Denkmalpflege konnte
nicht viel neues beigebracht werden. Der hessische
Regierungsrat von Biegeleben berichtete, daß für die
Denkmalpflege in Hessen eine umfängliche Organi-
sation geschaffen worden ist, wobei Kunsthistoriker,
Beamte, Künstler und Laien in gleicher Weise, zum
Teil als freiwillige Mitarbeiter herangezogen worden
sind. Sieben Ausschüsse wurden gebildet. Eine
Anzahl Gebäude in Hessen, auch Privathäuser, sind
unter Denkmalschutz gestellt worden, damit schöne
Plätze- und Straßenbilder erhalten werden können.
Einige Privatleute haben darüber Klage geführt, andere
haben die Eintragung ihrer Häuser freiwillig beantragt.
Durch solche Maßregeln ist eine lebhafte Teilnahme
für Denkmalpflege im Volke erweckt worden. Viel-
fach sei auf Privatleute eingewirkt worden, manchen
übelen Absichten auf Beseitigung von Kunstdenkmälern
habe man wirksam entgegengearbeitet. Trotzdem
wisse man wohl, daß man erst im Anfange der ganzen
Bewegung stehe. Trotz mancher Mißhelligkeiten sehe
er einer gesunden Weiterentwickelung des Denkmal-
schutzgedankens mit froher Hoffnung entgegen. Die
Denkmalpflege berühre die Volksseele; warme Be-
geisterung müsse Hand in Hand gehen mit besonnener
Würdigung der praktischen Möglichkeit; man müsse
sorgfältig abwägen, was man von Privatleuten fordern
dürfe und behördlichen Zwang müsse man nach Mög-
lichkeit vermeiden.
Ein sehr erfreuliches Ergebnis hatte der nun
folgende Vortrag des Herrn Stadtbauinspektor Stiehl-
Steglitz über die alten Kleinbürgerhäuser. Stiehl
führte etwa folgendes aus:
Infolge ihrer unauffälligen schlichten Form und
infolge der mangelhaften literarischen Überlieferung
haben Kunstgelehrte und Inventarisatoren den bürger-
lichen Wohngebäuden bisher geringe Aufmerksamkeit
geschenkt. Ein zusammenfassendes großes Werk über
das bürgerliche Wohnhaus, wie ein solches über das
Bauernhaus jetzt vorliegt, fehlt noch, und über kleine
Häuser ist bisher so gut wie nichts veröffentlicht
worden. Nach der bisher geltenden Ansicht hat sich
nun das norddeutsche Haus aus dem sächsischen
Haustypus entwickelt, während das süddeutsche einen
ganz anderen Ursprung und eine ganz andere Ent-
wickelung genommen habe. Demgegenüber wies Herr
Stiehl daraufhin, daß er in überraschender Weise
durch das gesamte Deutschland einen gleichmäßigen
Typus für das kleine einfache Bürgerhaus gefunden
habe. Das Hauptkennzeichen sei eine ganz schmale
Front bei starker Tiefe (in Lübeck z. B. 4 m Breite
bei 10 m Tiefe). Der Grundtypus sei derselbe, nur
wechsele je nach der Landschaft die Ausgestaltung.
Gemeinsam sei allen die feine künstlerische Wirkung
trotz ihrer Schlichtheit. Keineswegs sei das Klein-
bürgerhaus ein verkleinertes Patrizierhaus, sondern die
Weiterbildung eines noch älteren schlichteren Typus.
Nicht minder weise anderseits auch das Patriziernaus
in Nord- wie in Süddeutschland den gleichen Typus
auf: eine große Diele im Erdgeschoß mit einem ab-
geteilten Zimmer für den Hausherrn. Beispiele hier-
für bieten Lüneburg, Nürnberg, Straßburg und die
Übereinstimmung reicht bis ins 14. Jahrhundert: es
ist im wesentlichen das Einraumhaus, das auf die alte
Hütte zurückgeht. Bei der weiteren Entwicklung
trennen sich Nord- und Süddeutschland voneinander.
In Norddeutschland wirkt die Diele bis zum Dach-
Fünfter Tag für Denkmalpflege
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Leider werden die Aufgaben der Konservatoren in
den verschiedenen Ländern, auch in den deutschen
Ländern, recht verschieden aufgefaßt. Aber in zwei
Hinsichten ist man wohl einig: Es gilt, weiteren Ver-
fall durch rechtzeitige Sicherheitsmaßregeln zu ver-
hüten, und es gilt, die Kunstwerke vor ungeeigneten
Veränderungen, Umbauten, Erneuerungen usw. zu
schützen. Für die erste Aufgabe sei der Konservator-
Architekt wesentlich im Vorteil, da er sie auch selbst
ausführen kann, für die zweite sei er dem Kunst-
historiker ebenbürtig. Für Fälle wie das Heidelberger
Schloß oder den Meißner Dom komme der Konser-
vator gar nicht in betracht, dafür werden bekanntlich
besondere Architekten bestellt. Es komme beim Konser-
vator alles auf die Persönlichkeit an, eine allgemeine
Einigung zwischen Kunsthistorikern und Künstlern sei
niemals zu erreichen. Der Wettstreit zwischen beiden
aber könne nur förderlich sein, nur müsse die persön-
liche Befehdung und Verdächtigung, das Arbeiten mit
Vorurteilen und Schlagworten aufhören. Aufhören
aber müsse auch in Deutschland, daß Denkmalpflege
und Inventarisierung im Nebenamt betrieben werde.
Berufsstudium und Berufsstellung seien die ersten und
wichtigsten Grundlagen für eine gedeihliche Denkmal-
pflege. (Lebhafter Beifall.)
Eine lange Ansprache beschäftigte sich mit der
Kennzeichnung restaurierter Bauteile, wofür Architekt
Bodo Ebhardt-Berlin eine Reihe von Leitsätzen auf-
gestellt hatte. Am Ende der lang andauernden De-
batte wurde einstimmig ein Antrag des Oberbürger-
meisters Struckmann-Hildesheim angenommen:
Die Wiederherstellung an einem Denkmal (Bau-
werk usw.) ist durch Anbringung der Jahreszahl und
durch Zeichen, welche die Unterscheidung der alten
von den neuen Teilen ermöglichen, kenntlich zu
machen. Die Art der Kennzeichen bleibt dem leiten-
den Künstler überlassen.
Damit ist diese Frage, die den Denkmalpflege-
tag nun schon dreimal beschäftigt hat, hoffentlich
endgültig von seiner Tagesordnung verschwunden.
Sehr erfreulich war die Mitteilung, daß das Er-
scheinen eines Handbuchs der Deutschen Kunstdenk-
mäler nunmehr gesichert ist. Auf eine Immediat-
eingabe hat der Kaiser das Geld dazu aus seinem
Dispositionsfonds bewilligt. Professor Dehio wird
das Handbuch verfassen. Es wird fünf Bände zu je
25 Bogen stark im Bädekerformat im Verlag von
Wasmuth binnen sechs Jahren vollständig erscheinen.
Der Preis soll möglichst billig angesetzt werden. Der
erste Band wird im Frühjahr 1905 erscheinen. Der
Ausschuß (Lörsch, Öchelhäuser, Gurlitt) wird nur
das Fortschreiten des Werkes überwachen und die
geschäftliche Seite wahren, im übrigen wird das Buch
ein durchaus selbständiges Werk des Professors Dehio
sein, dessen bekannte Sachkenntnis und Arbeitskraft
das volle Gelingen des Werkes verbürgt.
Von der Gesetzgebung für Denkmalpflege konnte
nicht viel neues beigebracht werden. Der hessische
Regierungsrat von Biegeleben berichtete, daß für die
Denkmalpflege in Hessen eine umfängliche Organi-
sation geschaffen worden ist, wobei Kunsthistoriker,
Beamte, Künstler und Laien in gleicher Weise, zum
Teil als freiwillige Mitarbeiter herangezogen worden
sind. Sieben Ausschüsse wurden gebildet. Eine
Anzahl Gebäude in Hessen, auch Privathäuser, sind
unter Denkmalschutz gestellt worden, damit schöne
Plätze- und Straßenbilder erhalten werden können.
Einige Privatleute haben darüber Klage geführt, andere
haben die Eintragung ihrer Häuser freiwillig beantragt.
Durch solche Maßregeln ist eine lebhafte Teilnahme
für Denkmalpflege im Volke erweckt worden. Viel-
fach sei auf Privatleute eingewirkt worden, manchen
übelen Absichten auf Beseitigung von Kunstdenkmälern
habe man wirksam entgegengearbeitet. Trotzdem
wisse man wohl, daß man erst im Anfange der ganzen
Bewegung stehe. Trotz mancher Mißhelligkeiten sehe
er einer gesunden Weiterentwickelung des Denkmal-
schutzgedankens mit froher Hoffnung entgegen. Die
Denkmalpflege berühre die Volksseele; warme Be-
geisterung müsse Hand in Hand gehen mit besonnener
Würdigung der praktischen Möglichkeit; man müsse
sorgfältig abwägen, was man von Privatleuten fordern
dürfe und behördlichen Zwang müsse man nach Mög-
lichkeit vermeiden.
Ein sehr erfreuliches Ergebnis hatte der nun
folgende Vortrag des Herrn Stadtbauinspektor Stiehl-
Steglitz über die alten Kleinbürgerhäuser. Stiehl
führte etwa folgendes aus:
Infolge ihrer unauffälligen schlichten Form und
infolge der mangelhaften literarischen Überlieferung
haben Kunstgelehrte und Inventarisatoren den bürger-
lichen Wohngebäuden bisher geringe Aufmerksamkeit
geschenkt. Ein zusammenfassendes großes Werk über
das bürgerliche Wohnhaus, wie ein solches über das
Bauernhaus jetzt vorliegt, fehlt noch, und über kleine
Häuser ist bisher so gut wie nichts veröffentlicht
worden. Nach der bisher geltenden Ansicht hat sich
nun das norddeutsche Haus aus dem sächsischen
Haustypus entwickelt, während das süddeutsche einen
ganz anderen Ursprung und eine ganz andere Ent-
wickelung genommen habe. Demgegenüber wies Herr
Stiehl daraufhin, daß er in überraschender Weise
durch das gesamte Deutschland einen gleichmäßigen
Typus für das kleine einfache Bürgerhaus gefunden
habe. Das Hauptkennzeichen sei eine ganz schmale
Front bei starker Tiefe (in Lübeck z. B. 4 m Breite
bei 10 m Tiefe). Der Grundtypus sei derselbe, nur
wechsele je nach der Landschaft die Ausgestaltung.
Gemeinsam sei allen die feine künstlerische Wirkung
trotz ihrer Schlichtheit. Keineswegs sei das Klein-
bürgerhaus ein verkleinertes Patrizierhaus, sondern die
Weiterbildung eines noch älteren schlichteren Typus.
Nicht minder weise anderseits auch das Patriziernaus
in Nord- wie in Süddeutschland den gleichen Typus
auf: eine große Diele im Erdgeschoß mit einem ab-
geteilten Zimmer für den Hausherrn. Beispiele hier-
für bieten Lüneburg, Nürnberg, Straßburg und die
Übereinstimmung reicht bis ins 14. Jahrhundert: es
ist im wesentlichen das Einraumhaus, das auf die alte
Hütte zurückgeht. Bei der weiteren Entwicklung
trennen sich Nord- und Süddeutschland voneinander.
In Norddeutschland wirkt die Diele bis zum Dach-