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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0017

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13^

Nr. 2. 21. Oktober

Neue Folge. XVI. Jahrgang igo4/i9°5

Die Kunstc^klrschetat^ls^elblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum *KunstBewe^^
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 N»™"™; Gesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. - Für Zeichnungen, Manuskripte etc. d.e unverlangt e™f£™ä*™™^e Anzeigel
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann ^Leipzig, v Mosse
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein^vog^j^^^^

u. s. w. an.

PARISER BRIEF

Im Luxembourg hat man einen Saal mit Zeich-
nungen und Aquarellen des Karikaturisten Henry
Monnier zur vorübergehenden Ausstellung angefüllt.
Monnier steht beträchtlich hinter seinen Zeitgenossen
Daumier und Gavarni zurück, er kann sich aber
rühmen, einen Typus geschaffen zu haben, der heute
noch lebendig unter uns weilt und beständig zitiert
wird. Joseph Prudhomme ist eine Figur geworden,
ohne die man gar nicht mehr auskommen kann.
Monnier war nicht nur Zeichner, sondern auch Schrift-
steller und obendrein Schauspieler, und diese Viel-
seitigkeit ist daran schuld, daß es bisher zu keiner
Kollektivausstellung seiner Arbeiten gekommen ist.
Nach seinem Tode hatte sich im Jahre 1876 ein Aus-
schuß gebildet, der eine solche Ausstellung ins Werk
setzen sollte, und wie es sich gehörte, waren darin
Künstler, Schauspieler und Schriftsteller vereinigt. Und
nun konnten sich diese Leute nicht einigen, wie man
Monnier am besten ehren könnte. Die Schauspieler
erkannten dem Schriftsteller und Zeichner Monnier
den Lorbeer zu, die Künstler lobten ihn als Schau-
spieler und Schriftsteller, die Schriftsteller erklärten
ihn für einen ausgezeichneten Künstler und Schau-
spieler. Kurz, ein jeder schien den armen Monnier
in seinem speziellen Fache für minderwertig zu halten,
und so wurde ihm seine Vielseitigkeit verhängnisvoll.

Jetzt ehrt ihn der Leiter des Luxembourg, indem
er eine Anzahl Zeichnungen und Illustrationen von
ihm ausstellt. Monsieur Prudhomme ist dabei zahl-
reich vertreten, und dabei stellt sich die sonderbare
Tatsache heraus, daß Monnier in diesem verspotteten
Spießbürger sich selbst zum Vorbilde genommen hat.
Da hängt neben seinen Zeichnungen ein Porträt, das
Daumier von seinem Kollegen gemalt hat, und eine
Photographie von Monnier. Beide zeigen, daß Mon-
niers Prudhomme das genaue Selbstbildnis Monniers
ist. Innerlich aber wird er ihm wohl nicht allzu
ähnlich gewesen sein, denn sonst hätte ihn Monnier
wohl kaum so gut gekannt und so unbarmherzig ver-
spottet. Alles in allem ist der Karikaturist Monnier
gegen Gavarni und mehr noch gegen Daumier ein
etwas harmloser Spötter und ein spießbürgerlicher
Künstler. Seine Zeichnung ist vorsichtig und ängst-
lich, seine Ideen bewegen sich in dem Pariser Atelier-
witze, der sich in pompösen Absurditäten gefällt.

Seine Scherze hat er immer selbst gefunden, und
diese Seite seines Talentes bewog ihn dazu, seinen
Monsieur Prudhomme in mehreren erfolgreichen
Stücken auf die Bühne zu bringen.

Welcher Art sein Humor war, geht aus folgenden
Unterschriften seiner Zeichnungen hervor:

»Nehmt den Menschen aus der Gesellschaft, und
ihr werdet ihn isolieren.«

»Der Staatskarren segelt über einen Vulkan.«
»Ich kann den Spinat nicht ausstehen, und das
freut mich sehr, denn wenn ich ihn ausstehen könnte,
würde ich davon essen, und ich mag ihn absolut

nicht leiden.«

»Wenn Bonaparte Artillerieleutnant geblieben wäre,
so säße er heute noch auf seinem Throne.«

»Meine Herren, dieser Ehrensäbel ist der schönste
Tag meines Lebens. Wenn immer Sie mich an die
Spitze Ihrer Phalanx berufen, bin ich bereit, mich
seiner zu bedienen, um unsere Einrichtungen zu ver-
teidigen und im Falle der Not sie anzugreifen!«

So harmlos wie diese Scherze sind auch die sie
begleitenden Zeichnungen, sehr amüsant und erheiternd,
aber wirklich nicht bedeutend genug, um Monnier
als großen Künstler auszuweisen. Trotzdem ist die
kleine Ausstellung im Luxembourg ganz interessant,
wenn sie auch weiter nichts tut, als den Besuchern
ein angenehmes Viertelstündchen zu verschaffen und
im übrigen Monnier an den Platz zu stellen, der
seiner immerhin schätzenswerten Begabung zukommt.
Freilich soll man ihn nicht mit Gavarni oder gar mit
Daumier vergleichen, der ein wahrer Himmelsstürmer
gegen diesen friedlichen Erdenbürger ist.

Die Pariser Künstlerschaft zankt sich wieder ein-
mal, und die Ursache des Streites macht den Herren
vom Pinsel gerade nicht viel Ehre. Der sehr zu
Unrecht immer noch als der Hort der jungen und
unabhängigen Bestrebungen angesehene Champ de
Mars hat die Kriegsaxt gegen den neuen Herbstsalon
ausgegraben. Einst fanden sich in der Societe natio-
nale die unabhängigen Elemente des alten Salons
zusammen, und seine Gründung war ein Protest gegen
die Monopolisierung der Kunst durch die alten Herren
von der Akademie und ihre Schüler und Jünger. Der
neue Herbstsalon ist zwar nicht aus den nämlichen
Gründen entstanden, wie einst der Champ de Mars,
aber in einem gewissen Grade haben doch auch Un-
zufriedenheit und Unwillen mit den beiden älteren
 
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