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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Dülberg, Franz: Münchener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0049

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XVI. Jahrgang

1904/1905

Nr. 6. 25. November

monat ^.u"?tchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum >Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
Kunst.e" J" 'bls September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der .Zeitschrift für bildende
laeshandl, /" . Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
die dreistUf pt- Q™'ähr- Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
a tige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

MÜNCHENER BRIEF

von Franz Dolberg

Die Vereinigten Werkstätten in der Sezession Vom
Glaspalast Ein Grabdenkmal von Hermann Obrist
Lenbachs Atelier

In der Sezession erfuhren die Besucher der letzten
Ausstellungswochen, daß »oben auch noch Sachen«
seien. Mutige Leute kletterten also ein Schiffstau —
doch ich will nicht übertreiben — eine zum Ver-
zweifeln enge Wendeltreppe hinan zum Oberstock,
wo die »Vereinigten Werkstätten« ein paar Zimmer
ausgestellt hatten. Am anspruchslosesten wirkte ein
Palysanderraum von F. A. O. Krüger. Zu Fenster-
vorhängen, die wie ein gerafftes weißes Ballkleid
aussahen, zu Biedermeiersofas und -Sesseln mit Klee-
blattmuster auf violett, einer gewürfelten, doch etwas
unruhigen Tapete stimmte nicht sehr ein Kronleuchter,
der, aus schweren eisernen Scheiben und Ringen zu-
sammengesetzt, an langobardischen Waffenschmuck
erinnerte.

In einem Gang war dann ein Bild von Th. Th. Heine.
Ein Dichter, der von einem recht unwahrscheinlichen
weißen Pegasus abgestürzt ist und den dafür zwei
schlanke Musen von frischester Nacktheit anlachen.
Prachtvoll reimen sich die hellen Temperafarben: der
braun violette Bratenrock des Sonntagsreiters, die blonde
Farbe der Körper, der gelb und blaue Ufersand, die
grün- und graublauen Alpen. Ebendort ein paar flott
geworfene Studien Habermanns, immer nach demselben
merkwürdig modernen Frauenmodell, das der Künstler
■n seinen Gemälden einen schon viele Jahre währenden
Serpentintanz ausführen läßt.

Ein etwas arg geometrischer Festraum von Bruno
Paul, von hellstem poliertem Eschenholz, war das Haupt-
stück. Sofa und Stühle haben ein so starkes Streben
■n die Senkrechte, daß man unwillkürlich apart und
geziert werden muß, wenn man darauf sitzt. Auch
an dem blendend hellen Konzertflügel wirkt das un-
endlich oft wiederholte quadratische Muster steif und
unruhig. Dazu eine breite kassettierte Tür, hellbraune
Intarsia mit rötlicher Mitte, schwarze Umrahmung.
Viel stärker zeigte sich Bruno Paul als Maler in
einem ebendort an der Wand hängenden dekorativen
Bild in Breitoval, drei spielende Kinder am Rand
eines Kanals in der Vorstadt. Wie gut steht das

Blond der Locken gegen das fette Grün der Wiesen
und Bäume! Reifende Sehnsucht kündet sich an
in dem breiten Lächeln der Ältesten, in dem träumeri-
schen Rückwenden ihrer Augen. Ungemein lockend
warder Vergleich mit einem denselben Raum schmücken-
den Kinderbild von Heine, das viel weniger süße
Schwere, aber manch tollen Rokokoreiz hatte. Ganz
scharfe Linien, Stimmung auf rosa und blau. Ein
Mädchen bekränzt ein Lamm mit Rosen, das das
jüngere Schwesterchen hält. Wie flatterte das satte
Kaffeebraunviolett ihres Kleidchens in die Augen des
Beschauers hinein!

Der am schönsten gelungene und in der Wirkung
ruhigste Raum war aber unstreitig das Arbeitszimmer,
das Pankok für Hermann Obrist in künstlerischem
Einvernehmen mit seinem Auftraggeber ausgeführt
hat. Eigentlich nur zwei Farbtöne: braunes Holz,
weiße Mauertünche. Aber wie prachtvoll ist der
schmale Raum eingeteilt, wie freundlich wölben und
schmiegen sich die unregelmäßigen Wände! Da ist
der ganze Zauber einer alten Klosterbücherei erreicht.
Hier könnte der Ersinner der neuesten Münchener
Riesenkonditorware, des recht ungeratenen Rathauses,
lernen, wie man Stimmungen der Gotik heraufführt:
nämlich indem man nicht im gotischen Stile baut.
Fast überall, wo das Auge sich hinwendet, trifft es
Edelgeformtes. Am reinsten wirkt vielleicht die Flächen-
teilung des Fensters, das weiß aufgerauht wohl das
Licht, nicht aber störende Bilder in den Arbeitsraum
hinein läßt. Dann der durchbrochen eiförmige Kron-
leuchter, der Kaminmantel, der das Bild eines großen
Nachtschmetterlings mit geschlossenen Flügeln hervor-
ruft. Der schön ausgekehlte freistehende Arbeitstisch.
Die Sitzbank an der Wand, die mit braunem Krokodil-
leder bezogen, den Zug der Bücherschränke und
Mappenfächer in der Farbe nicht unterbricht. Ein-
wendungen könnte man erheben gegen das etwas
kleinliche altmodisch geschwungene Ornament, das
in mehrfarbiger Perlmuttereinlage an einem Schränk-
ten angebracht ist, auch gegen die Bekrönung des
Bücherschrankes, die etwa einer Tatarenmütze gleich-
sieht. Wie echt aus dem Holz herausgearbeitet ist
aber dafür die wie kriechendes Moos anmutende
Verzierung an demselben Bücherschrank, wie ernst
und kräftig das Türschloß, das nur etwas sehr einem
alten Wappenschild ähnelt.
 
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