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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Gensel, Walther: Die Menzel-Ausstellung in der Berliner National-Galerie
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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0171

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325

Pariser Brief

326

sich gehen lassen können, um sich wiederzufinden.
War er überhaupt Fleisch von unserem Fleische, Blut
von unserem Blute?

Daß ihm die Phantasie gefehlt habe, daß er sich
nie aus dem Reich des Realen zu Visionen erhoben
hat, ist oft betont worden. Darin war er ein echter
kühler Preuße. Aber auf dem Gebiete des Realen
besaß er dafür einen Erfindungsreichtum, einen Geist
und Witz, wie sie auf dem Gebiete der bildenden
Kunst beinahe beispiellos sind. In manchen seiner
großen Lithographien steckt mehr Erfindung als in
ganzen Mappen anderer, und auf Bildern wie der
Piazza d'Erbe oder dem Ballsouper ist eine solche
Fülle von Motiven vereinigt, daß manche Genremaler
ein halbes Leben lang davon zehren würden. Durch
diese Gaben wurde er allein befähigt, zum größten
deutschen Illustrator zu werden. Und darin liegt
denn doch sein höchster Ruhm. Wenn er auf anderen
Gebieten primus inter pares ist, so ist er hier völlig
»hors Hgne«. Seine Vignetten zu den Werken
Friedrichs des Großen sind ihm nicht nachgemacht
worden, und werden es auch niemals werden.

Und darum ist auch das Menzelmuseum nicht
nötig, von dem jetzt so viel gesprochen wird und zu
dem auch an dieser Stelle ein Vorschlag gemacht
worden ist. Die Erfahrungen, die bei uns und im Aus-
lande mit ähnlichen Museen gemacht worden sind,
sollten uns überdies zur Warnung dienen1). Gewiß
müßten noch einige Bilder für die Nationalgalerie
erworben werden, so der Blick aus dem Schlafzimmer,
das Theätre du Gymnase, das Ballsouper, mehrere
Landschaften, und demzufolge dann dem Meister ein
größerer Saal eingeräumt werden. Zusammen mit
dem wundervollen Besitz an Zeichnungen und gra-
phischen Arbeiten aber würde dies dann genügen,
um ein volles Verständnis für Menzel auch künftigen
Geschlechtern zu sichern. WALT HER GENSEL.

PARISER BRIEF

In dem kleinen Räume, der dem Luxembourg-
Museum als Ausstellungssaal dient, und worin nach-
einander Gustave Moreau, Bracquemond, Legros,
Toulouse-Lautrec zu Worte gekommen sind, werden
gegenwärtig die letzten Arbeiten Rodins gezeigt. Es
sind das drei Reliefdarstellungen, welche bestimmt
sind, die Giebelfelder über ebensoviel Türen zu füllen,
und zwei große viereckige Schalen oder Becken, die
fast kleinen Sarkophagen ähneln und als Pflanzen-
behälter gedacht sind. Die gedrückten Korbbogen
der Tympanen sind mit liegenden weiblichen Ge-
stalten ausgefüllt, denen sich in zweien einige Kinder
zugesellen, die Blumenbecken sind ringsum von Kinder-
gruppen umgeben. Der Künstler hat dabei offenbar
keine besonderen Anstrengungen gemacht, und viel-
leicht hat er sich hier noch mehr als in anderen
Arbeiten auf den Steinhauer verlassen, der das Modell
in Kalkstein auszuführen hatte. Wenigstens die

1) Die Redaktion bedauert, diesmal nicht eines Sinnes
mit dem Herrn Referenten zu sein.

schweren Massen von Früchten und Blumen, welche
den großen Raum zwischen den menschlichen Figuren
und den Bogenrändern füllen, scheint Rodin nur
durch ganz flüchtige Skizzen angedeutet zu haben,
woraus dann der ausführende Arbeiter machen mußte,
was er konnte und wußte. Bekanntlich ist heute der
Bildhauer selten, der selbst in Stein arbeitet. Pradier
und Canova taten das noch, Rodin aber, dem mit-
unter gerade die Behandlung des Marmors nachge-
rühmt wird, verdient dieses Lob weniger als die
meisten seiner Kollegen, denn er hat vielleicht in
seinem ganzen Leben keinen Hammer und keinen
Meißel in der Hand gehabt, und viele seiner in Stein
ausgeführten großen Arbeiten sind von dem Stein-
hauer nach ganz kleinen Modellen ausgeführt worden,
wobei dann mitunter arge Mißgriffe, die im kleinen
nicht so sehr auffielen, zutage traten. In den
gegenwärtigen Giebelfüllungen verschwinden die
liegenden weiblichen Figuren unter den Blumen und
Früchten dergestalt, daß man im ersten Augenblick
badende Frauen und Wasserwogen zu sehen glaubt.
Die Arbeiten gehören wohl nicht zu den besten
Rodins, denn der Beschauer spürt nichts von dem,
was er vor den Bürgern von Calais, vor dem Balzac,
vor den kleinen erotischen Figürchen und vor den
Büsten Rodins fühlt. Er freut sich weder über die
technische Meisterschaft des Modelleurs, wie sie in
den Büsten und in den Einzelheiten der Leute von
Calais offenbart wird, noch fühlt er die intimen Reize
der kleinen Figürchen, noch zuckt er die Achseln
über ihm unverständliche und deshalb verfehlt
scheinende Versuche, unfaßliche Gefühle in festem
Stein auszusprechen. Man könnte diese Giebelfelder
mit dem bekannten Tympanum von Benvenuto Cellini
aus Fontainebleau vergleichen, aber der Vergleich
würde nicht zugunsten des modernen Bildhauers aus-
fallen. Und wenn man so respektlos von einem
Künstler reden dürfte, der jedenfalls als einer der
größten Bildhauer unserer Zeit auf die Nachwelt
übergehen wird, so hätte ich fast Lust zu sagen, daß
mir seine Giebelfelder langweilig vorkommen. Seine
die Blumensarkophage umspielenden Kinder sind auch
nicht sehr interessant, und hier könnte man gar noch
ein Wort des Tadels aussprechen: kein anderer Bild-
hauer versteht und beherrscht den weiblichen Körper
wie Rodin, keiner hat bessere männliche Akte mo-
delliert als Rodin mit seinem Johannes der Täufer
und mit seinem den sonderbaren Titel »das eherne
Zeitalter« führenden Jüngling. Aber das Kind und
seine Formenwelt scheint ihm fremd zu sein, fremd
und unverständlich, und die Kinder an diesen Blumen-
becken sind nicht nur langweilig, sondern sogar
schlecht modelliert. Ich halte diese Reliefs für die
schwächsten Arbeiten, die Rodin bisher geschaffen hat.

Diese neuen Arbeiten Rodins werden nach ihrer
Ausstellung im Luxembourg wohl nicht mehr vor die
Öffentlichkeit kommen, denn sie gehören dem reichen
Baron von Vitta, der seinen Landsitz von einigen
der ausgezeichnetsten lebenden Künstler ausschmücken
und einrichten läßt. Cheret hat da einen Saal in
entzückender Weise ausgemalt, und Alexander Char-
 
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