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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Bode, Wilhelm von: Gustav Ludwig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0113

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 14. 3. Februar

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatti monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

GUSTAV LUDWIG f

Am 16. Januar ist zu Venedig Dr. Gustav Ludwig
gestorben, der die Forschung im Gebiete der Kunst
und Kultur Venedigs auf ganz neuer Grundlage auf-
gebaut hat. Wir alle kannten Ludwig seit Jahren
als einen schwerkranken Mann, und doch ist sein
Tod fast allen überraschend gekommen. Der Trost,
daß er eine Erlösung von großen Schmerzen war, kann
uns mit dem Verlust nicht versöhnen, denn die
Schmerzen trug er ohne Murren und hätte sie gern
weitergetragen, nur um seine große Arbeit noch zu
fördern; und wir Nachlebenden beklagen einen un-
ersetzlichen Verlust, da er die Veröffentlichung seiner
Forschungen nicht über die Anfänge hinausgebracht
hat. Obgleich selbst Arzt und sein eigener Arzt, hat
Ludwig seine Krankheit noch bis vor wenigen
Monaten stets optimistisch, ja selbst mit einem gewissen
Humor beurteilt; erst als seit dem letzten Sommer
die Gicht auch das Herz ergriff, war ihm die Gefahr
jedes neuen Anfalles völlig klar, und als in den ersten
Tagen dieses Jahres ein Influenzaanfall hinzukam,
wußte er, daß es zum Ende ging. Um die Aus-
nutzung seiner Forschungen jüngeren Nachfolgern
zu ermöglichen, traf er unter den größten Schmerzen
alle nötigen Bestimmungen, welche von derselben
großen Gesinnung Zeugnis ablegen, die sein ganzes
Leben auszeichnete.

Dr. Ludwig hat nur ein Alter von 52 Jahren er-
reicht. Er war nur in den letzten zehn Jahren seines
Lebens als Kunstforscher tätig; in Bad Nauheim als Sohn
eines Arztes geboren, studierte er Medizin, war eine
zeitlang Assistent von Gerhardt und wandte sich
dann nach England. In London, wo er eine Stel-
lung am deutschen Hospital erhielt, ist er fast zwei
Jahrzehnte lang als praktischer Arzt tätig gewesen.
Diese Tätigkeit war eine sehr mühsame, aufreibende;
er behandelte namentlich zahlreiche kleine jüdische
Kaufleute der City. Gern erzählte er von den strengen
altjüdischen Gebräuchen und Sitten, die er dort an-
getroffen habe und die ihm später bei seinen Studien
über die alte orientalische und jüdische Kolonie in
Venedig manches verdeutlicht hätten. Dadurch, daß
er unter seinen Patienten einzelne Bildersammler fand,
begann er sich für alte Kunst zu interessieren und
seine seltenen freien Stunden den öffentlichen Samm-
lungen zu widmen. Namentlich an den bekannten

Kupferspekulanten Henry Doetsch schloß er sich näher
an und half ihm ein Zusammenbringen seiner um-
fangreichen Gemäldegalerie, die 1895 in London ver-
steigert wurde. Als sich Dr. Ludwig etwa gleich-
zeitig mit dem Tode von Doetsch von der Praxis
zurückzog und nach Venedig übersiedelte, hieß es
daher, das sei ihm durch ein großes Legat dieses
Herrn ermöglicht worden. Ich erinnere mich, wie
Ludwig, als gelegentlich darauf angespielt wurde,
lachend erwiderte, von dem Legat würde er noch
keinen Kaffee bezahlen können; Mr. Doetsch habe zwar
ihm, als seinem Hausarzt, nach guter englischer Sitte
eine kleine Summe im Testament ausgesetzt, aber da
Doetsch fast mittellos gestorben sei, habe er nie etwas
davon ausgezahlt erhalten. In Wahrheit war es ein
ganz anderer Grund, der ihn zur Aufgabe seiner
Praxis zwang: eine rasch zunehmende Gicht, deren
Anfälle lange und besonders heftige waren, und deren
gefährliche Form ihm von vornherein klar war. »Alle
meine Geschwister sind an der Schwindsucht gestor-
ben«, so sagte er noch im letzten Frühjahr, »bei mir
sind die schlechten Säfte in der Gicht zutage getreten.«
Die feuchte Luft von Venedig hatte ihm wiederholt gut
getan; er entschloß sich daher, im Laufe des Jahres 1895,
ganz nach Venedig überzusiedeln, dessen Kunst ihm
den Aufenthalt besonders lieb machte. Um aber un-
gebunden zu sein, um in Zeiten, wo ihn die Gicht
nicht hinderte, jederzeit reisen zu können und seine
ersparten Mittel möglichst auf seine Kunststudien zu
verwenden, machte er sich nie ganz seßhaft: in dem
bescheidenen italienischen Gasthof des Cappello Nero,
hinter dem Uhrturm der Piazza, hatte er ein ein-
zelnes Zimmer, das den Ausblick über einen engen
Seitenkanal hatte. Wenn er hier von der Arbeit auf-
blickte und das Stückchen blauen Himmel oben zwi-
schen den Häusern erhaschen konnte, wenn er die
geschäftigen Venezianer die Brücke hinauf- und hin-
untereilen sah, dann fühlte er sich glücklich zwischen
allen seinen Dokumenten, Büchern und Photographien,
die ringsumher lagen und in Kisten und Kasten um
ihn herum standen.

Zur Benutzung der Archive Venedigs ist Ludwig
wohl zufällig gekommen, in der Absicht über irgend
eine ihn interessierende Frage der venezianischen
Kunstgeschichte sich genauer zu informieren. Die Arbeit
gefiel ihm, er wurde ständiger Gast des Staatsarchivs
und orientierte sich bald so sehr, daß er nach kurzer
 
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