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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Bode, Wilhelm von: Gustav Ludwig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0114

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211

Gustav Ludwig f

212

Zeit die Durchforschung der Archive auf das, was
sie für Kunst und Künstler Interessantes enthalten, in
systematischer Weise begann. Ludwig hat dabei von
vornherein sein Ziel sehr weit gesteckt, wie er dies
in dem Vorwort zu der großen Publikation,, mit der
er gerade in dem neuen Jahrbuch des deutschen kunst-
historischen Instituts in Florenz beginnen wollte, selbst
dargelegt hat. Nicht bloß für die hohe Kunst, auch für
das weite Gebiet des Kunsthandwerkes und manche
die Kunst nahe berührende kulturhistorische Fragen
sammelte er alles, was irgend in Betracht kommen
konnte, ging er vom Staatsarchiv zu dem Notariatsarchiv
und den Urkundensammlungen der zahlreichen kleinen
Genossenschaften der Stadt, und von diesen zu den
Archiven der Provinz Venedig, die der Lagunenstadt
eine Fülle von Künstlern und Handwerkern zugeführt
hatte. Je mehr er sich hineinarbeitete, um so um-
fangreicher wurde der Kreis, den er in seinen Be-
reich zog; nichts schien ihm zu unbedeutend, was
irgend in Beziehung zur Kunst stand. Um die reiche
Ausbeute zu bewältigen, bediente er sich der Hilfs-
kräfte, die ihm die Archive in ihren jüngeren Be-
amten darboten und die es ihm möglich machten, in
der kurzen Zeit von sieben oder acht Jahren, die
außerordentliche Fülle aller dieser Urkunden von An-
fang des 15. bis in die zweite Hälfte des 16. Jahr-
hunderts nahezu ganz durchzuarbeiten.

Zur praktischen Verwertung seiner Funde suchte
Ludwig, so lange es seine Gesundheit irgend erlaubte,
wieder und wieder alle Sammlungen Europas zu durch-
forschen, die Bilder der älteren venezianischen Schule
enthielten. Auch die terra ferma von Venedig kannte
er wie wenige, und von ihren verborgenen Schätzen
machte er selbst Aufnahmen. Die ersten Früchte
dieser Durchforschung des venezianischen Bilder-
schatzes auf Grund seiner Funde in den Archiven
waren Ludwigs Aufsätze im Repertorium und in den
Jahrbüchern der Königlich Preußischen Kunstsamm-
lungen; so über Bonifazio de' Pitati und seine Werkstatt,
worin er das von Morelli erfundene Künstlergeschlecht
wieder auf einen einzelnen Künstler zurückführte,
über Antonello in Venedig und über Bellinis Auf-
erstehungsbild von der stillen Toteninsel S. Michele,
wo eben die sterblichen Reste des verewigten Forschers
zur Ruhe bestattet sind, vor allem seine Publikation
über den Ursula-Zyklus des Carpaccio. Eine fast ab-
geschlossene große Arbeit über Carpaccio, die er, wie
jene Studie, mit Molmenti zusammen geschrieben hat,
wird binnen kurzen bei Hoepli erscheinen. Auch
die »Archivalischen Beiträge zur Geschichte der vene-
zianischen Malerei«, die anfangs im »Repertorium«
und seit drei Jahren, sehr viel umfangreicher, im Bei-
heft des »Jahrbuches« erschienen, hat Ludwig durch
die Fülle von Bezügen auf Bilder der betreffenden
Meister, die bisher übersehen oder falsch benannt
waren, zu lebendiger Forschung ausgestaltet.

Zur Deutung der Darstellungen mancher schwer ver-
ständlicher venezianischer Bilder ging Ludwig auf die
italienischen und französischen Schriftsteller des späten
Mittelalters und der Renaissance zurück. Den ver-
gleichenden Studien nach dieser Richtung verdanken

wir so maßgebende Aufsätze, wie den über die so-
genannte Madonna am See von Giov. Bellini; andere,
wie Tizians »Irdische und himmlische Liebe«, hatte
er bis zur Niederschrift im Kopfe fertig — wird ein
anderer den schwierigen Studien nach dieser Richtung
nachgehen und dabei der von Ludwig gefundenen
Spur mit derselben Schärfe und Sicherheit folgen
können, wo leider irgendwelche Aufzeichnungen des-
selben über dieses und ähnliche Themata schwerlich
vorhanden sein werden?

Mit welcher Gründlichkeit Ludwig bei seiner
Arbeit zu Werke ging, mit welcher Energie und
Schärfe er die außerordentlichen Schwierigkeiten zu
überwinden wußte, welche gerade die venezianischen
Urkunden dem Verständnis entgegenstellen, wird seine
erste, sehr ausführliche Studie aus dem Gebiet des Kunst-
handwerkes in den Publikationen des »Florentiner kunst-
geschichtlichen Institutes« beweisen, deren Korrektur
er bis in die Sterbestunden besorgt hat. Nicht nur
das Patois des altvenezianischen Dialektes, den Ludwig
durch den Verkehr mit dem unteren Volke zu er-
lernen wußte, vor allem die Mischung und Korrum-
pierung verschiedener Sprachen in zahlreichen tech-
nischen Ausdrücken setzen hier der Forschung
Schwierigkeiten entgegen, die anfangs fast unüber-
windlich erschienen. Manche Gebiete des Handwerkes
waren in Venedig bis weit in die Zeit der Renaissance
durch den Orient beherrscht; zahlreiche Ausdrücke
dafür waren daher aus den arabischen Wörtern ab-
geleitet. Bloß um über alle die Bezeichnungen für
Teppiche, Seidenwebereien, Metallarbeiten, Räucher-
werk und was der venezianische Handel sonst von
Osten bezog, ins klare zu kommen, wußte Ludwig
noch in den letzten Jahren sich das Arabische, soweit
als nötig, anzueignen. Welche Rätsel dabei zu lösen
waren, dafür erwähne ich nach Ludwigs gelegentlicher
mündlicher Mitteilung nur, daß in einem Inventar
eines großen venezianischen Seidenhändlers von etwa
1475, das bei seiner Forschung zu Tage kam, mehr
als 250 verschiedene Sorten von Seide und Sammet
namhaft gemacht sind; für jede dieser auf den ersten
Blick meist phantastisch oder willkürlich klingenden
Bezeichnungen suchte Ludwig der Bedeutung und
Herkunft auf den Grund zu kommen und war selbst
bemüht, sie in den erhaltenen Stoffen nachzuweisen.
Ähnliche Schwierigkeiten, wenn auch nicht in so
umfangreichem Maße, boten ihm hunderte von Ur-
kunden. Die Summe von Wissen, die der Ver-
storbene bei seinen Studien mit seiner eigentümlichen
Zähigkeit und Schärfe und einer divinatorischen Art
sich angeeignet hatte, ist leider mit ihm zu Grabe ge-
gangen; hoffentlich gelingt es aber denen, die zur Ver-
öffentlichung und Verarbeitung der von ihm hinter-
lassenen Urkunden berufen werden, aus der Be-
schäftigung mit den Materien sich diese Kenntnisse
wenigstens teilweise selbst anzueignen und sie richtig
zu verwerten.

Der Kreis, dem Ludwig näher getreten ist, war,
selbst unter den Fachgenossen, nur ein beschränkter;
nicht nur seine Gesundheit, seine Bescheidenheit und
sein ausschließlich sachliches Streben hielten ihn fern
 
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