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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Uebersberger, Hans: Historische Ausstellung russischer Porträts in St. Petersburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0161

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 20. 31. März

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt«: monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

HISTORISCHE AUSSTELLUNG RUSSISCHER
PORTRÄTS IN ST. PETERSBURG

Von Hans Uebersberoer (Wien)

In St. Petersburg wurde soeben eine historische
Ausstellung russischer Porträts eröffnet, deren Pro-
tektor Kaiser Nikolaus H. selbst ist, und deren
Reinerträgnis den Witwen und Waisen der in
Ostasien Gefallenen zugute kommen soll. Moskau
hatte 1868, Petersburg 1870 schon eine derartige
Ausstellung; allein diesmal handelt es sich um eine
offizielle Veranstaltung und von viel größerem Um-
fange als jene. Präsident der Ausstellung ist niemand
Geringerer als der Großfürst Nikolaj Michailovitsch.
Schon daß ein Großfürst an der Spitze steht, würde
ja genügen, den Erfolg einer solchen Ausstellung zu
sichern. Allein der Großfürst Nikolaj Michailovitsch
ist zur Leitung eines solchen Unternehmens noch so
qualifiziert wie selten jemand. Er ist selbst schon
seit Jahren mit der Herausgabe eines großen Porträt-
werkes beschäftigt, das alle russischen Porträts vom
Regierungsantritte der Kaiserin Katharina II. bis zum
Tode Alexanders I. (1762—1825) umfassen soll und
dessen erster Teil in diesen Tagen erschienen ist.
Der Großfürst ist aber auch Historiker, der uns in
seiner vor Jahresfrist erschienenen dreibändigen Mono-
graphie »Graf Paul A. Stroganoff« ein ausgezeich-
netes Werk gelehrter Forscherarbeit geschenkt hat.
Für die Beurteilung der ersten Jahre der Regierung
Alexanders I. und die Reformpläne dieser Zeit ist
dieses Werk von ausschlaggebender Wichtigkeit; die
Fülle von Material aber, die der Großfürst aus Privat-
archiven geschöpft hat und in den Beilagen ver-
öffentlicht, ist auch für den westeuropäischen Ge-
lehrten von größtem Werte.

Als Frucht der Vorarbeiten für diese Ausstellung
liegen drei Kataloge vor, die den Generalkommissär
S. P. Djagilew zum Autor haben und gewissermaßen
Berichte seiner Arbeiten darstellen.

Der erste ist ein Verzeichnis der Aussteller. Wir
finden unter ihnen fast alle historischen Familien
Rußlands. Das Ausland ist etwas schwach vertreten,
allein seit dem Erscheinen der dritten Auflage dieses
Verzeichnisses hat sich dasselbe auch stärker daran
beteiligt.

Der zweite und dritte Katalog umfassen die Por-
träts, die Djagilew auf den Schlössern der russischen

Aristokratie Zentralrußlands und in den Privathäusern
und öffentlichen Gebäuden Moskaus gesammelt hat.
Wenn auch Petersburg und die in dessen Nähe ge-
legenen kaiserlichen Lustschlösser wie Peterhof, Gat-
schina, Oranienbaum, Zarskoje-Selo und Pavlovsk das
Hauptkontingent von Bildern für die Ausstellung
stellen, gewinnt man doch schon aus diesen beiden
Katalogen eine vollständige Übersicht darüber, was
die Porträtausstellung in künstlerischer und histo-
rischer Hinsicht bieten wird.

Das moskowitische Rußland war bei seinem Kultur-
niveau, namentlich aber dem einseitig-religiösen Cha-
rakter seiner allgemeinen Bildung, der ästhetische Ele-
mente vollständig fremd waren, kein Boden für die
Kunst. Selbst in den Prunksälen des Kreml hatte
die Wandmalerei rein religiöses Gepräge; der Stoff
war die Hauptsache und nicht die künstlerische Aus-
führung, denn man verlangte Erbauung und suchte
nicht Befriedigung eines ästhetischen Bedürfnisses.
So begnügte man sich, die einmal aus Byzanz über-
nommenen Typen recht und schlecht wiederholt zu
sehen. Aus dem Westeuropa des 16. und 17. Jahr-
hunderts aber sich Künstler zu verschreiben, darauf
verzichtete man. Wenn man sich schon Ausländer
verschrieb, — und man konnte ihrer trotz der Fremden-
feindlichkeit, die nach der polnischen Invasion am
Anfange des 17. Jahrhunderts aus religiösen und
nationalen Gründen viel heftiger als je geworden
war, nicht entbehren, — so war man dabei von rein
praktischen Gesichtspunkten geleitet. Militärische und
technische Lehrmeister holte man sich vor allem aus
dem Westen. So ging die Heroenzeit westeuropäi-
scher Malerei an Rußland spurlos vorüber. Ein ein-
ziger Vertreter des gewaltigen Kunstschaffens dieser
Zeit, der Architekt Aristoteles Fioravanti aus Bologna
wirkte in Moskau; gerade er aber erfuhr es am
eigenen Leibe, daß man wohl nach Rußland hinein
könne, aber einmal drinnen fast als Gefangener be-
trachtet werde und sich willenlos fügen müsse.

Unter Peter dem Großen wurde es auch in dieser
Beziehung anders. Freilich hatte er mehr Glück mit
den Bildern, die er bei seinen Auslandsreisen erwarb,
als mit den von ihm im Inlande geförderten Künst-
lern, deren Werke heute höchstens einen kulturhisto-
rischen, aber keinen künstlerischen Wert beanspruchen
können. Aber Peter bereitete wie auf anderen Ge-
bieten so auch hier den Boden vor und eröffnete
 
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