Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

DOI Artikel:
Justi, Ludwig: Rembrandts "Triumph der Dalila" im Städelschen Kunstinstitut
DOI Artikel:
Die Ausstellung italienisch-byzantinischer Kunst in Grottaferrata bei Rom
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0210

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
403

Die Ausstellung italienisch-byzantinischer Kunst in Grottaferrata bei Rom

404

schwarz halten); dagegen hat das Formengedränge
rechts, im Interesse der Gewichtsverteilung, mattere
Töne, Gelbbraun, mit einigen größeren Flächen von
Stahlgrau.

Die malerische Durchführung hat nicht die sorg-
same Intimität der kleinen »Holzhackerfamilie«, auch
nicht den magistralen Strich des Braunschweiger
Familienbildes, aber sie ist doch von höchster Meister-
schaft. Und, im Unterschied von einem Rubens
etwa: jeder Zoll ist eigenhändig. Dem Freunde des
Malenkönnens wird es eine Lust sein, zu genießen
wie da alles auf die Leinwand gebracht ist, wie
elastisch die Technik ist, von Rubensscher Glätte bis
zu derber Pastosifät. Wie viele Möglichkeiten von
Reflexen und aufgehellten Schatten sind hier zu sehen!
Allein das Durchschimmern von Dalilas Armen durch
das feine gestickte Hemd: was gibt es da wunder-
bares zu sehen in Licht, Farbe und Technik! Selbst
der Neo-Impressionist findet seine Rechnung: ein
Stück blauen Stoffes unter Simsons rechtem Fuß ist
durch grob darinstehende Komplementärfarbe zu
höchster Brillanz gesteigert. Es läßt sich nicht einmal
andeuten, was alles in einem solchen Bild steckt:
man muß es selbst sehen, und immer wieder sehen,
um stets neue Reize zu finden, Kontraste und Fein-
heiten in Bewegung, Form, Linie, Licht, Farbe und
Technik.

Das Bild ist ausgezeichnet erhalten. (Rechts und links
sind zwei schmale Streifen angesetzt, nicht von Rem-
brandt, an denen die Farbe vielfach abgesprungen ist.)
— Der Landerersche Stich von 1760 nennt das Bild als
Eigentum des Grafen Schönborn in Wien. Neuerdings
sollen archivalische Forschungen ergeben haben, daß
es 1746 aus der Würzburger bischöflichen Galerie
in die Schönbornsche nach Wien gekommen sei.

Es gibt freilich nichts Vollkommenes auf dieser
Erde. In unserem Falle liegt der Mangel im Sujet.
Es ist keineswegs lieblich anzusehen, wie ein Mann
geblendet wird. Daß man damals mit Vorliebe Mar-
tyrien malte, daß Shakespeare derber ist als Gabriele
d'Annunzio, daß man im dreißigjährigen Krieg kein
Neurastheniker sein durfte, all das wird man sich
sagen müssen. Wesentlicher ist, daß der eigentliche
Vorgang der Blendung für den Gesamteindruck des
Bildes in dem mehrfach genannten Formenknäuel
untergeht — im Gesamteindruck ist das Martyrium
gleichsam repräsentiert durch den zusammengekrampften
rechten Fuß Simsons, der in feinster Ökonomie zur
Figur der Dalila emporgehoben ist.

Diese Figur der Dalila gibt den stärksten Eindruck,
die herrschende Note, wie ich schon andeutete. Sie
nimmt genau die Mitte des Bildes ein, und hat am
meisten leere Fläche um sich, jenen schönen Kranz
kühler Farben, von dem vorhin schon die Rede war.
Eine ungewöhnlich elegante Figur, von ungewöhnlich
leichter Bewegung. Das Licht trifft sie von unten
her, zwischen den Armen durch, und erhellt im Ge-
sicht gerade die Stellen, die sonst dunkel sind. Dies
ganz wunderbar gemalte Gesicht hat die Züge der
Saskia, wie wir sie aus dem etwa gleichzeitigen
Dresdener Champagnerbildnis kennen. Freilich hat

sie hier eine ganz andere Rolle. Sie ist, wie Simson,
halb entkleidet, dazu ein wenig derangiert und sehr
erregt. Der Ausdruck des Gesichts ist unvergeßlich:
Sinnlichkeit im starren Glanz der Augen, Triumph
im hochgezogenen Mund — das Weib als reizende
Bestie. Rembrandt zeigt sich in diesem Kopf nicht
bloß als grandioser Maler, sondern auch als Künder
tiefer menschlicher Verborgenheiten (die stets aufs
neue entdeckt werden: Nietzsche über Carmen).

Soll man bei einem solchen Bilde über den Preis
reden? Wir in Frankfurt haben uns freilich monate-
lang mit dem Preis sehr eingehend befassen müssen.
Nach der bisherigen Vorstellung von dem Bilde, die
sich aus der Kasseler Kopie und der schwarzen Lein-
wand bei Schönborn ergab, danach hätten wir vielleicht
zu viel gezahlt. Wer jedoch das Bild im Licht sieht,
wird den Preis mindestens angemessen finden. Von
einem Marktwert kann man ja bei einem so unge-
wöhnlichen Objekt nicht sprechen.

Die Mittel zu diesem Ankauf sind zum größeren
Teil aus Beiträgen von etwa 80 Kunstfreunden be-
schafft worden; auch die Stadt Frankfurt, die noch
nie etwas für die Galerie getan hat, gibt einen Beitrag.
Für den Rest kommt das Institut und der Museums-
verein auf; es steht zu hoffen, daß deren Kaufkraft
kaum geschwächt wird. LUDWIG JUSTI.

DIE AUSSTELLUNG ITALIENISCH-BYZANTINI-
SCHER KUNST IN GROTTAFERRATA BEI ROM

Wenn man die Säle dieser Ausstellung durch-
schritten und hier und da unter vielem Unwichtigen
einige köstliche Stücke bewundert hat, und endlich
in den unteren großen Räumen ankommt, wo die
Nachbildungen von Mosaiken und architektonischen
Fragmenten aus Ravenna und Venedig stehen, so
wird einem eigentlich erst klar, welche hohe kunst-
historische Bedeutung die Ausstellung hätte erreichen
können, wenn die Anordner statt auf das Sammeln
möglichst vieler Sachen, die oft ganz uninteressant
sich hundertfältig wiederholen, sich auf das Zusam-
menbringen möglichst getreuer Reproduktionen byzan-
tinischer Kunstprodukte aus allen Provinzen und ver-
schiedenen Zeiten verlegt hätten. Wenn neben den
herrlichen Reproduktionen der Palermitaner Mosaiken
der Cappella Palatina und von Santa Maria dell'Am-
miraglio die Wiedergaben älterer und neuerer byzan-
tinisch beeinflußter Fresken und Mosaiken aus Unter-
italien, aus Rom, Ravenna und Venedig gezeigt wor-
den wären, in ungefähr chronologischer Folge, so
daß man die Übergänge klar vor Augen gehabt hätte,
wie einzig in ihrer Art hätte diese Ausstellung aus-
fallen können! Die byzantinische Frage ist so schwer
und verwickelt, besonders in Anbetracht der Be-
ziehungen zur italienischen Kunst, daß eine groß-
artige Zusammenstellung rein byzantinischer und ita-
lienisch-byzantinischer Denkmäler, wenn auch nur in
Reproduktionen, viel interessanter ausgefallen wäre als
die jetzige Ausstellung, in der man wohl einige Ju-
welen wie die Bibel von Rossano, das Kreuz von
Cosenza und so weiter bewundern kann, die aber
 
Annotationen