KUNSTCHRONIK
WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 15. 10. Februar
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt< monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umraßt 33 Nummern. Die Abonnenten der ^Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petilzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.
EIN KUNSTMINISTER FÜR FRANKREICH
Frankreich hat mit dem neulichen Ministerwechsel
einen besonderen Kunstminister oder doch einen
Staatssekretär für das Ressort der Kunst erhalten.
Ob diese Neuerung vorteilhaft ist, werden wir bald
sehen, aber die Vermutung ist jedenfalls jetzt schon
am Platze, daß alles beim alten bleiben wird. Im
Prinzip ist die Neuerung freilich durchaus zu ver-
werfen. Wie soll in einem Amte Gutes geschaffen
werden, wenn der Inhaber alle sechs oder sieben
Monate, was ungefähr das durchschnittliche Lebens-
alter eines französischen Ministeriums ist, wechselt?
Die frühere Gepflogenheit, wonach ein Direktor an
der Spitze des Kunstwesens stand und an dieser
Stelle blieb, einerlei wer Minister war, ist theoretisch
ohne Zweifel der Neuerung vorzuziehen. Praktisch
aber dürfte alles auf eins herauskommen, denn im
allgemeinen gehen die Geschäfte ruhig ihren Gang,
und es kommt nicht darauf an, wer an der Regierung
ist. Andernfalls wäre ja Frankreich schon längst zu-
grunde gerichtet. Die Minister sind nur die deko-
rativen Figuren, welche den Schnabel des Staats-
schiffes zieren, die Arbeit wird von den Beamten ge-
macht, die nicht kommen und gehen, sondern bleiben
wo sie sind, und deren Routine die gleiche bleibt,
mag der verantwortliche Minister konservativ, radikal
oder gar sozialistisch sein. Gerade im Ressort der
Kunst aber spielt auch die Persönlichkeit des leitenden
Beamten eine starke Rolle, aus dem sehr einfachen
Grunde, daß die Geschmäcker verschieden sind, und
daß dem einen gefällt, was dem anderen abscheulich
erscheint.
In den Ankäufen des Staates, bei denen früher
der Direktor und jetzt der Staatssekretär ein ent-
scheidendes Wort zu sprechen hat, gibt er allerdings
nur selten den Ausschlag. Im allgemeinen herrscht
auch hier die Routine und die Tradition. Diese ver-
langt, daß Leute, die den Rompreis erhalten und auf
Staatsunkosten vier schöne Jahre in der Villa Medici
zugebracht haben, auch später noch aus der Staats-
krippe gefüttert werden müssen. Den ehemaligen
Rompreislern müssen also vor allen Dingen ihre
Bilder abgekauft und neue Bestellungen gemacht
werden. Nach oder neben ihnen kommen die Leute
in Betracht, die politischen Einfluß mobil machen
können. Nachher ist kein Geld mehr da, und für
die anderen gibt es nichts mehr. Vielleicht wird
unter einem ganz und gar politischen Staatssekretär
der politische Einfluß dem der Akademie und des
Rompreises überlegen sein, sonst aber wird es beim
alten bleiben, und nach wie vor wird der Staat
schlechte, langweilige und gleichgültige Sachen kaufen,
die nachher im Speicher der Pariser Museen ver-
modern oder in den Museen der Provinz den Kultus
des Schönen predigen.
Da aber die Person doch auch etwas bedeutet,
wollen wir uns den neuen Kunstherrscher etwas
näher ansehen. Zum Unterschiede von allen früheren
Beamten, welche diesem Ressort vorgestanden haben,
und abgesehen von revolutionären Zeiten, wo Leute
wie David und Courbet das Kunstszepter in Frank-
reich schwangen, ist der neue Staatssekretär selbst
Maler. Von Courbet und David aber unterscheidet
er sich nicht nur dadurch, daß er eben kein Courbet
und kein David ist, sondern auch weil er die Kunst
schon seit fünfzehn Jahren ganz an den Nagel ge
hängt hat, um sich ausschließlich der Politik zu
widmen. Allein aus dieser Tatsache schon könnte
man schließen, daß Herr Dujardin-Beaumetz gerade
kein Adler der Malerei ist, sondern daß er seinen Beruf
verfehlt hatte, so lange er mit Pinsel und Palette
hantierte. Indessen war er doch auch als Maler durch-
aus nicht unbekannt, und seine Bilder sind durch die
illustrierten Blätter in ganz Frankreich verbreitet worden.
Vermutlich mehr um des Gegenstandes, als um der
Malerei willen. Beaumetz gehört zu jenen zahl-
reichen französischen Malern, die hinter und mit
Meissonier, Neuville und Detaille den Krieg durch-
stöberten, nicht um malerische Episoden festzuhalten,
sondern um dem nach Glorie dürstenden Volke zu
schmeicheln. Beaumetz ist nicht der schlechteste von
diesen französischen Militärmalern der letzten dreißig
Jahre, aber er steht auch bei weitem nicht so hoch
wie die drei genannten. Er hat rechtschaffenes
Mittelgut gemalt, wie es paßt für die Stube des
Braven, der seine geistige Nahrung aus der »Patrie«
saugt und dessen Kinder die Gedichte von Paul
Deroulede deklamieren.
So brav und zahm seine Malerei ist, so revolutionär
und kühn sind die Reden und Theorien des neuen
Staatssekretärs. Als er noch nicht Deputierter war
gehörte er zur Tafelrunde Manets und Desboutins,
die jeden Abend beim Aperitif ein paar Kunstgötzen
WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE
Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 15. 10. Februar
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt< monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umraßt 33 Nummern. Die Abonnenten der ^Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petilzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.
EIN KUNSTMINISTER FÜR FRANKREICH
Frankreich hat mit dem neulichen Ministerwechsel
einen besonderen Kunstminister oder doch einen
Staatssekretär für das Ressort der Kunst erhalten.
Ob diese Neuerung vorteilhaft ist, werden wir bald
sehen, aber die Vermutung ist jedenfalls jetzt schon
am Platze, daß alles beim alten bleiben wird. Im
Prinzip ist die Neuerung freilich durchaus zu ver-
werfen. Wie soll in einem Amte Gutes geschaffen
werden, wenn der Inhaber alle sechs oder sieben
Monate, was ungefähr das durchschnittliche Lebens-
alter eines französischen Ministeriums ist, wechselt?
Die frühere Gepflogenheit, wonach ein Direktor an
der Spitze des Kunstwesens stand und an dieser
Stelle blieb, einerlei wer Minister war, ist theoretisch
ohne Zweifel der Neuerung vorzuziehen. Praktisch
aber dürfte alles auf eins herauskommen, denn im
allgemeinen gehen die Geschäfte ruhig ihren Gang,
und es kommt nicht darauf an, wer an der Regierung
ist. Andernfalls wäre ja Frankreich schon längst zu-
grunde gerichtet. Die Minister sind nur die deko-
rativen Figuren, welche den Schnabel des Staats-
schiffes zieren, die Arbeit wird von den Beamten ge-
macht, die nicht kommen und gehen, sondern bleiben
wo sie sind, und deren Routine die gleiche bleibt,
mag der verantwortliche Minister konservativ, radikal
oder gar sozialistisch sein. Gerade im Ressort der
Kunst aber spielt auch die Persönlichkeit des leitenden
Beamten eine starke Rolle, aus dem sehr einfachen
Grunde, daß die Geschmäcker verschieden sind, und
daß dem einen gefällt, was dem anderen abscheulich
erscheint.
In den Ankäufen des Staates, bei denen früher
der Direktor und jetzt der Staatssekretär ein ent-
scheidendes Wort zu sprechen hat, gibt er allerdings
nur selten den Ausschlag. Im allgemeinen herrscht
auch hier die Routine und die Tradition. Diese ver-
langt, daß Leute, die den Rompreis erhalten und auf
Staatsunkosten vier schöne Jahre in der Villa Medici
zugebracht haben, auch später noch aus der Staats-
krippe gefüttert werden müssen. Den ehemaligen
Rompreislern müssen also vor allen Dingen ihre
Bilder abgekauft und neue Bestellungen gemacht
werden. Nach oder neben ihnen kommen die Leute
in Betracht, die politischen Einfluß mobil machen
können. Nachher ist kein Geld mehr da, und für
die anderen gibt es nichts mehr. Vielleicht wird
unter einem ganz und gar politischen Staatssekretär
der politische Einfluß dem der Akademie und des
Rompreises überlegen sein, sonst aber wird es beim
alten bleiben, und nach wie vor wird der Staat
schlechte, langweilige und gleichgültige Sachen kaufen,
die nachher im Speicher der Pariser Museen ver-
modern oder in den Museen der Provinz den Kultus
des Schönen predigen.
Da aber die Person doch auch etwas bedeutet,
wollen wir uns den neuen Kunstherrscher etwas
näher ansehen. Zum Unterschiede von allen früheren
Beamten, welche diesem Ressort vorgestanden haben,
und abgesehen von revolutionären Zeiten, wo Leute
wie David und Courbet das Kunstszepter in Frank-
reich schwangen, ist der neue Staatssekretär selbst
Maler. Von Courbet und David aber unterscheidet
er sich nicht nur dadurch, daß er eben kein Courbet
und kein David ist, sondern auch weil er die Kunst
schon seit fünfzehn Jahren ganz an den Nagel ge
hängt hat, um sich ausschließlich der Politik zu
widmen. Allein aus dieser Tatsache schon könnte
man schließen, daß Herr Dujardin-Beaumetz gerade
kein Adler der Malerei ist, sondern daß er seinen Beruf
verfehlt hatte, so lange er mit Pinsel und Palette
hantierte. Indessen war er doch auch als Maler durch-
aus nicht unbekannt, und seine Bilder sind durch die
illustrierten Blätter in ganz Frankreich verbreitet worden.
Vermutlich mehr um des Gegenstandes, als um der
Malerei willen. Beaumetz gehört zu jenen zahl-
reichen französischen Malern, die hinter und mit
Meissonier, Neuville und Detaille den Krieg durch-
stöberten, nicht um malerische Episoden festzuhalten,
sondern um dem nach Glorie dürstenden Volke zu
schmeicheln. Beaumetz ist nicht der schlechteste von
diesen französischen Militärmalern der letzten dreißig
Jahre, aber er steht auch bei weitem nicht so hoch
wie die drei genannten. Er hat rechtschaffenes
Mittelgut gemalt, wie es paßt für die Stube des
Braven, der seine geistige Nahrung aus der »Patrie«
saugt und dessen Kinder die Gedichte von Paul
Deroulede deklamieren.
So brav und zahm seine Malerei ist, so revolutionär
und kühn sind die Reden und Theorien des neuen
Staatssekretärs. Als er noch nicht Deputierter war
gehörte er zur Tafelrunde Manets und Desboutins,
die jeden Abend beim Aperitif ein paar Kunstgötzen