Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

DOI Artikel:
Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [2]
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0218

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
419

Nekrologe

420

dischen Meistern, jedoch mit dem Unterschiede, daß
diese malten, was sie wirklich sahen, während die
genannte Künstlerin in retrospektiver Phantasie ent-
wirft, was die alten niederländischen Meister in ihrer
Epoche erblickten. Auch für die »New Gallery« hat
Sargent durch ein Porträt des Gouverneurs Sir Frank
Swettenham zwar ein brillantes, aber doch zum Teil
verzeichnetes Werk geliefert.

Eine in der Regel weniger besuchte Galerie, die
im Osten in Whitechapel liegt, zog zurzeit auch
ein größeres Publikum aus dem Westend an, weil
hier eine Ausstellung arrangiert war, die eine Über-
sicht der englischen Kunst von 1840—1870 geben
sollte. Besonders interessierte sich auch Watts für
dies Kunstinstitut, um dem ärmsten Stadtteile Lon-
dons die Segnungen der Kunst zu erschließen. Wir
finden hier typische Werke von Wilkie, Etty, Mulready,
Dyce, George Richmond, Madox Brown, Rossetti,
Burne-Jones, Millais, Holman Hunt, den Präraffaeliten
mit ihrem Anhang, dann Watts, Landseer, Eastlake,
Turner, David Cox, De Wint, Walter Crane, Walker,
Windus, Arthur Hughes und vieler anderer hervor-
ragender Künstler jener Periode. Der Besuch der
Galerie war ein ungemein reger, doch läßt sich da-
mit kaum beweisen, inwieweit die ärmeren Volks-
klassen daran teilgenommen haben.

Jedenfalls hatte, wie immer auch bei Mitgründung
des obigen Instituts, Watts das Beste für die Ärmsten
der Armen gewollt.

Ein einflußreiches Komitee hat sich in England
gebildet, um dem heimgegangenen Meister ein wür-
diges Denkmal in London zu errichten. Einige Jahre
vor seinem Tode hatte Watts in dem von einem
Kreuzgange eingefaßten Garten der St. Botolphskirche
Tafeln anbringen lassen, die durch Inschriften heroische
Taten von Arbeitern im bürgerlichen Leben verherr-
lichen. Kurz vor seinem Ableben hatte der Altmeister
nun den Wunsch ausgesprochen, daß diese Erinne-
rungszeichen bedeutend vermehrt werden sollten und
hat infolgedessen seiner Gattin Auftrag für 144 solcher
in ornamentaler Weise auszustattenden Tafeln gegeben.
In der Mitte der Anlage wird ein in Terrakotta an-
gefertigtes Bildnis des Künstlers mit seinem Motto:
»The utmost for the highest« Aufstellung finden.
Das genannte Material wurde deshalb gewählt, weil
Schüler der von Watts in Guildford und Limnerslease
angelegten keramischen Schule die Porträtbüste oder
Statue ausführen werden. Nachdem die beiden frühe-
ren Ausstellungen, die von Watts in der Akademie
und von Whistler in der New Gallery, heute in
ihren ideellen und praktischen Resultaten übersehen
werden können, soll zunächst registriert werden, daß
beide Institute noch niemals so glänzende Geschäfte
gemacht haben. Auch im Tode bleibt Whistler das
Haupt der neuen englischen, Watts der Prophet der
alten Schule. Der Zeitgeist steht auf jener Seite!
Beide sind für England, wenn schon diametral ent-
gegengesetzt, so doch schließlich die Leiter in der
Kunstbewegung. Watts ist Lehrer! Whistler sagt um-
gekehrt: der Künstler hat nichts auseinanderzusetzen
und nur für diejenigen zu malen und zu schaffen,

die ebenso wie er sehen. Abstraktionen und Verall-
gemeinerungen des Lebens auf die gesamte Mensch-
heit bezogen, gehen mich gar nichts an! Watts und
Whistler sind entgegengesetzte Pole, aber Whistler
ist schon der Gedanke der Belehrung verhaßt. Trotz
alledem war die Persönlichkeit Watts selbst für
Whistler eine so erhabene, daß jener vielleicht als
der einzige Künstler zu verzeichnen ist, über den
er niemals etwas Ungünstiges äußerte, und das will
für Whistler viel besagen!

Von einer großartigen Schenkung, ja in ihrer Art
vielleicht der bedeutendsten, die je ein einzelner
Privatmann stiftete, ist noch zu berichten, nämlich
von 10000 der vorzüglichsten Kupferstiche aller
Meister und Länder, die Mr. James Stead Edington
der öffentlichen Bibliothek von North Shields in
Northumberland überwies. Außer dem British Museum
vermag sich in England keine Kupferstichsammlung
mit dieser hier zu messen.

Von den vielen im Gange befindlichen Ausstel-
lungen will ich wenigstens noch die in der »Leicester-
Gallery« erwähnen, wo die Herren Brown & Phillips
eine reiche Abwechselung bieten durch Vorführung der
Werke von Denholm Armour, Cameron, Michie und
einer Illustration von »Rip van Winkle« durch Ge-
mälde Arthur Rackhams, der mit Geist und Grazie
arbeitet. Zum Schluß sei noch auf die Goldschmiede-
kunstausstellung Laliques in der Galerie von Agnew
in Bond-Street hingewiesen. o. v. SCHLEINITZ.

NEKROLOGE

Paul Dubois f. Die Größen der französischen Bild-
hauerei scheinen uns alle noch in diesem Jahre verlassen
zu wollen. Es ist keine sechs Monate her, daß Bartholdi
starb, dann verließ uns Barrias, vor sechs Wochen folgte
Guillaume, jetzt ist auch Paul Dubois im Alter von sechs-
undsiebzig Jahren gestorben. Es ist wahr, alle diese zu-
sammen und der ihnen wenig vorausgegangene Geröme
noch dazu, verdienen lange, lange nicht die Bewunderung,
die wir Meunier schulden, aber achtenswerte Künstler
waren sie doch alle fünf, selbst Geröme nicht ausgenommen.
Alle fünf waren freilich Akademiker und demgemäß etwas
kalt und schulmeisterlich korrekt, aber schließlich ist auch
die Korrektheit etwas Gutes. Bartholdi und Geröme ver-
dienen am ersten Vergessenheit, aber wahrscheinlich wird
man länger von Bartholdi reden als von den anderen, denn
er hat die höchst plumpe Riesendame im Hafen von New
York geschaffen, die wohl noch ein paar Jahrhunderte da-
stehen und die Müßigen erfreuen wird. Barrias, Guillaume
und Dubois waren doch tüchtiger als die beiden anderen.
Barrias hat wenigstens zwei vortreffliche lyrische Arbeiten
geliefert, das »erste Begräbnis« und den geigenstimmenden
Mozart, und Guillaumes römischen Vorbildern nachempfun-
dene Büsten und Statuen sind zum mindesten ausgezeichnete
Schularbeiten. Bartholdi und Geröme aber waren wirklich
die reinen Fabrikanten von Schmücke-dein-Heim-Bronze-
figuren. Der jetzt verstorbene Dubois scheint mir der
tüchtigste von den fünfen gewesen zu sein. Seine Jung-
frau von Orleans, die vor der Kathedrale in Reims und
vor St. Augustin in Paris steht, ist eine ausgezeichnete
Statue, sowohl technisch, als auch was den innern, mittel-
alterlich mystischen Gehalt anlangt. Sein florentinischer
Sänger ist zwar durch die zahlreich verkauften Gipsabgüsse
recht banal geworden, aber bei aller Süßigkeit ist das doch
 
Annotationen