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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0217

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 27. 2. Juni

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

LONDONER BRIEF

Die Ausstellung in der Königlichen Akademie er-
hebt sich in diesem Jahre nicht über den bisherigen
mittleren Durchschnitt. Ein wirklich hervorragendes
Werk fehlt, so daß kein eigentliches, sogenanntes
»Jahresbild« zu verzeichnen ist. Ein neuer Genius
erschien nicht und die bekannten Künstler haben in
der alten Weise mehr oder minder gut ihren ge-
wohnten Weg verfolgt. Zahlreich vertreten finden
wir das Porträt hochgestellter Personen als Schau-
stücke für »Haupt- und Staatsaktionen«, so nament-
lich das der Königin im Krönungsornat von Luke
Fildes, Kaiser Wilhelms von Cope als englischer
Feldmarschall in ganzer Figur und das Gruppenbild
der Familie des Herzogs von Marlborough für Schloß
Blenheim, gemalt von Sargent. Das letztere ist im
Stile van Dycks gehalten, und wenn auch einzelne
Details gelungen sind, so tritt doch die gewollte
Pose so deutlich hervor, daß schließlich die Gesamt-
komposition als ein Fehlschlag bezeichnet werden
muß. Besser in der Auffassung sind die Porträts
der Gräfin Warwick, Lady Vincents und namentlich
das Bildnis des hundertjährigen Manuel Garcia von
Sargent, ein ruhiges, würdevolles und charakteristisches
Porträt des greisen Sängers.

Alma Tadema lieferte mit der »Auffindung
Moses« eins der umfangreichsten seiner bisher geschaf-
fenen Werke. Die bekannten historischen Zutaten
sind durchaus korrekt wiedergegeben und die stark
in den Vordergrund tretende Blumendekoration
sogar unübertrefflich dargestellt. Sein Bild ist be-
reits für 280000 Mark verkauft. Außer einigen
guten Porträts stellt Hubert von Herkomer seine
»Ratssitzung in Landsberg« aus. Darüber, daß dies
Werk in der engeren Heimat unschätzbaren Wert be-
sitzt, besteht gewiß kein Zweifel; hier fehlt vollstän-
dig das Verständnis für den inneren, psychologischen
Zusammenhang zwischen dem Meister und dem dar-
gestellten Sujet. Außerdem lieben die Engländer es
nicht, wenn ein großer Künstler, den sie sich ge-
wöhnt haben als den ihrigen zu betrachten, plötzlich
seinen fremdländischen Ursprung wieder in Erinne-
rung bringt. Des Meisters begabteste Schülerin, Miß
Lucy Kemp-Welch, ist ebenfalls gut auf der Aus-
stellung vertreten. Dasjenige Bild, welches den
meisten Zuspruch hat und förmlich vom Publikum

belagert wird, betitelt sich »The Cheat«. Der Maler
Colier hat vier Personen, zwei Herren und zwei
Damen, dargestellt, die Bridge spielen und von denen
eine Partnerin die andere mit Recht beschuldigt, sie
betrogen zu haben. Die beiden Herren sind Freunde
des Künstlers, die mitspielenden Damen sollen da-
gegen professionelle Models sein. Der ganze Vor-
gang, wenngleich gerade an sich nicht sehr erbaulich,
wurde stark realistisch und mit dramatischer Gewalt
geschildert.

Am meisten hat indessen die Akademie in
diesem Jahre durch das von sich reden gemacht,
was sie ablehnte! Dieses unbegreifliche und un-
erfreuliche Verhalten kam der »New Gallery« außer-
ordentlich zustatten und verschafft nunmehr für diese
den Hauptanziehungspunkt. Es handelt sich näm-
lich um die Arbeit des Bildhauers Haward Thomas
[ »Lycidas«, eine Statue in Lebensgröße, die hier nur
als Wachsmodell in imitierter antiker Bronze zu sehen
ist. Seit langen Jahren wurde in England nichts ge-
schaffen, was diesem Werke gleichkäme. Dies Werk
darf als das Meisterstück eines wirklichen Künstlers
gelten. Mit seiner Kenntnis des menschlichen Kör-
pers und seinem feinen Gefühl kann er den besten
alten und modernen Bildhauern zur Seite gestellt
werden. Er lebt auf Capri und scheint daher mit
Recht von dem griechisch-römischen Geiste, der die
Kunstschätze des klassischen Neapel durchzieht, be-
einflußt. Lycidas, ein Hirte, ist mit emporgehobenen
Armen dargestellt. Dies ablehnende, keineswegs ver-
einzelt geoffenbarte Verhalten der Akademie einem
solchen Kunstwerk gegenüber zeugt für dort öfters
betätigte, bedauerliche Zurückhaltung gegenüber neuen
Schöpfungen. Diesmal hat sich die Akademie mit der
ganzen Öffentlichkeit in Widerspruch gesetzt und der
betreffende Künstler ist mit einem Schlage durch die
Ablehnung ein berühmter Mann geworden. Aber
selbst Watts wurde im Jahre 1867 gegen seinen Mit-
kandidaten Frost, bei einer Stimmenabgabe von vier-
undvierzig Mitgliedern der Akademie, knapp mit vier
Stimmen Mehrheit in ihren Kreis aufgenommen.

Im übrigen kann man diesmal von der »New
Gallery« sonst nichts Außergewöhnliches berichten.
C. H. Shannon, Reid, Lavery und andere Künstler haben
die Ausstellung mit guten Werken beschickt, ebenso
Lady Alma Tadema. Letztere nähert sich in ihrer
vollendeten Technik immer mehr den alten hollän-
 
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