Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

DOI Artikel:
Dülberg, Franz: Münchener Brief
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0052

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
87

Bücherschau

88

Formensprache behandeln zu wollen. Wer zuerst
vor das Obristsche Werk tritt, dem ist, als tue der
mächtige Kiefer der Erde sich auf, um den Menschen,
den sie zu kurzem Tanze aus sich herausgelassen,
wieder in sie hineinzunehmen. Eine pantheistische
Grundstimmung ist hier nicht mit Symbolen und
Allegorien, sondern nur durch die reine einfache
Form hervorgerufen, und dies, die beherrschende
Stimmung nicht durch Darstellung eines dieser Stim-
mung besonders naheliegenden Gegenstandes, viel-
mehr durch die Wahl von Ausdrucksmitteln zu er-
zeugen, die in sich selbst bereits das leitende Gefühl
enthalten, diese musikalische Unmittelbarkeit ist wohl
das ernsteste Ziel aller Kunst. Noch sind die neuen
Formen nicht sehr reich und vielgestaltig entwickelt,
noch sind sie nicht von leichter heiterer Lebendigkeit,
aber es sind unsere Formen. Die plastisch-farbige
Grammatik der Gefühle unserer Zeit beginnt sich zu
bilden.

* *
*

Seit einigen Monaten kann man die Räume wie-
der sehen, in denen einer der paar großen Künstler
jener eben kaum abgelaufenen Epoche zu schaffen
pflegte, in der man vor dem eigenen Schlachten- und
Handelslärm gern in eine vergangene Zeit zurück-
flüchtete, die man für schöner hielt als die eigene,
weil es nur ihr Schmuckwerk war, mit dem man
sich umgab. Das Atelier Franz von Lenbachs. An
einer römischen, von Seerossen getragenen Fontäne,
an altvenezianischen Zisternen geht man vorbei. Viel-
leicht begegnet man den Kindern des Meisters. Sie
spielen, aber die Älteste trägt Schwarz. Oben sieht
man eine Muschelgrotte, in der das Wasser langsam
tropft. Ein goldener Sessel steht dabei, über den
recht absichtlich ein schweres seidenes, karminrotes
Gewand geworfen ist. Schwere, staubige alte Stoffe
in allen Räumen. Dazwischen überall Bilder, eigene
Werke des Künstlers, alte Originale und viel Kopien
nach Alten. Als Prunkstücke zwei Porträts, Philipp II.
und Franz I., die man für eigene Arbeiten des großen
Tizian von Cadore hält: charakteristischerweise beides
mattfarbig-bräunliche, breitfleckige unvollendete Male-
reien. Es gab keine »Vente Lenbach«, dazu war
man zu fürstlich. Das schönste unter den so zurück-
behaltenen Werken des Meisters ist wohl das Bild
Josef Joachims mit der Geige: wie hat doch dieser
ernst-schwere Zauberer viel Verwandtes im Blick mit
seinem Maler! Im Hauptraum sind dann noch mehr
als zwanzig Lenbachbilder übereinander aufgestaffelt:
fertige und unvollendete, liebevoll gerahmte und als
verfehlt in die Ecke geworfene. Ein wunderbar
lachendes Kind im Hut, mit viel Rot und Gelb
leuchtet aus der ersten Reihe heraus. Aber ganz
hinten ragt in die Höhe ein nicht fertig gewordenes
Kniestück Kaiser Friedrichs. Drohend, wie aus dem
Totenreich beschworen, reckt sich der Kopf mit durch-
dringendem Blick. Wie leuchtendes Blut hebt sich
das Purpurrot an den Aufschlägen der hellen Kürassier-
uniform.

Beim Weggehen fällt der Blick auf ein paar |

Schaukästen mit den wundervollsten in allen Farben
der Blumen und Metalle glühenden fremdländischen
Schmetterlingen und Käfern. Merkwürdig, auch im
Hause Richard Wagners sieht man einen Schautisch
mit einer edlen Sammlung dieser schimmernden
Herolde konzentriertester Daseinspracht. Hätte nur
Franz Lenbach sich rechtzeitig und tief in die un-
gebrochen leuchtenden Farben dieser Insektenwelt, in
die wunderbare Gesetzmäßigkeit ihrer Gestalten ver-
senkt, vielleicht hätte er den Glauben an den Wert
reiner starker Farbtöne und einer genau von unten
herauf aufbauenden Zeichnung gefunden, eine eigene
Formensprache sich in hartem Kampf errungen und
sich nicht begnügt, mit seinem heißen Empfinden,
mit seinem durchdringenden menschensichtenden,
menschenrichtenden Blick sich in die abgelegten
Kleider der Rubens und Tizian, der Velazquez und
Rembrandt zu hüllen.

BÜCHERSCHAU

The Work of George W. Joy. Cassell & Company,
London 1904.

Das vorliegende, prächtig ausgestattete Werk verdient
seinen Namen nicht nur, weil es alle wichtigen Werke des
englischen Malers in vortrefflichen Abbildungen gibt, sondern
auch weil der ganze Text von dem Maler selbst geschrieben
ist. Das nun hat seine Vorteile und seine Mängel. So
erfreut wir sind, wenn Künstler in Vorträgen oder Auf-
sätzen ihre Ansichten über ihre Kunst aussprechen, so
schwer ist die Aufgabe, nicht nur des Künstlers, sondern
überhaupt jedes Menschen, der über sich selbst reden soll.
Dabei ist man entweder so bescheiden, daß die über-
triebene Bescheidenheit der unangenehmsten Eitelkeit ähn-
lich wird, oder aber man erinnert an das naheliegende
Sprüchlein vom üblen Gerüche des Eigenlobes. George
W. Joy hält sich zumeist auf der goldenen Mittelstraße,
und wenn er hie und da etwas viel Wohlgefallen an seinen
Arbeiten verrät, so ist das im Grunde nur, wie es sein
soll: der Künstler, der an seinen Schöpfungen kein Ge-
fallen findet, wird kaum etwas wirklich Gutes leisten.

Das Buch enthält also zunächst eine kurze Lebensbe-
schreibung, aus der wir erfahren, daß Joy seine Kindheit
auf dem Kontinent verlebt hat und als Junge besser
deutsch, französisch und italienisch als englisch sprach,
daß er am liebsten Soldat geworden wäre, aber durch
einen Unfall, der ihm beinahe den Fuß gekostet hätte, von
diesen Plänen abgelenkt wurde, daß er in der Royal Art
Schoo! unter Millais, Leighton und Watts und nachmals in
Paris unter Jalabert und Bonnat studiert hat, seither in
England lebt und ein patriotischer Engländer ist, der in
seiner Kunst am liebsten seine patriotische Gesinnung aus-
spricht. Dieser »autobiographical sketch« folgen einige
»technical notes«, die nur für den Fachmann bestimmt sind
und den handwerklichen Rahmen, den ihr Titel anzeigt,
nirgends überschreiten. Eine besondere Abhandlung über
»das nackte in der Kunst«, worin der Verfasser sozusagen
für mildernde Umstände plädiert, ist derartig auf die uns
kaum verständlichen englischen Zustände bemessen, daß
wir sie eigentlich nur mit einiger Befremdung lesen können.
Es kommt uns fast komisch vor, wie hier ein gefeierter
Künstler beinahe zugibt, daß das Nackte an sich allerdings
leicht unmoralisch sein könne, daß es aber, von einem
wirklichen Künstler gesehen und wiedergegeben, seine Be-
rechtigung habe. Den Beschluß des Textes macht eine
detaillierte Beschreibung der einzelnen Werke des Malers,
 
Annotationen