Münchener Brief
86
schließlich ein wenig damit, daß der Künstler das
mehr als schwierige Problem gar zu äußerlich heral-
disch angefaßt hat. Qeorgis Leonhardiritt ist kaum
mehr als ein zwecklos breit geratenes Plakat. Eine
wirklich satte durchgeführte Malerei und ein Werk
starken monumentalen Zuges ist aber Münzers Karnevals-
Dienstag. Aus dem gestauten Gewühl der Wagen
hebt sich eine hochaufgerichtete Mädchengestalt in
Weiß, in aller Lebenslust doch vornehm, fast ver-
achtend, im Begriff, die weißen Papiergeschosse über
ein
all H' if- ~^s"", uie weinen rapiergescnosse i
bunter6 fe U"ter ihr zu streuen- Gegenüber
Ochse negerartlS angeschminkter Pierrot auf einem
brenne"^ '™ ^'nterSrur|d, >n rötlichem Abendschein
gedacl f Maximm'ansstraße, Münchens am größten
anj 1 e Un<3 am reinsten ausgeführte Architektur-
Bran breiten ovalen Flecken in der Art der
leicht /n en Teppichpalette und doch unter einem
ist d ubigen> alle Töne versöhnenden Silberhauch
Münch al'eS gemali Unverzeihlich, daß die Stadt
ihre een,,c'ieses Stück, das mit solchem Gelingen
gekauft*!! i CSte Angelegenheit heroisiert, nicht an-
nicht h — ßöcklinschen Wegen ging diesmal,
hlaue i!e Fre'heit, Leo Putz. Er zeigt vor tief-
vem "r ere in heller rosiger Farbigkeit sehr stark
Lieh e Muschelschnecken, die in stürmischem
geri £SWerrjen miteinander streiten. Natürlich sind es
q , ß veränderte Menschenkörper, die er aus den
SchaUS6n herauswachsen läßt; bei der weiblichen
"ecke begreift man sogar nicht recht, wie die
PP'ge Frauenfigur in die enge Perlmutterschale
■nein gekommen ist. Aber die nassen, wirklich
lebng-weichen Fühlhörner, die den Fabeltieren aus
en Köpfen wachsen, sind mit schaffendem Natur-
erständnis ersonnen. — — Unter den Deutschen
. erhalb Münchens machten sich die Stuttgarter
urch gute Auswahl und durch sichere Geschlossen-
heit des Auftretens bemerkbar. Mit etwas koketter
Kunst brachte Erwin Ernst Rath Frauenporträts
Vor schwarzem Grunde, aus dem sich dann ein
starkes Karminrosa oder Mattviolett der Gewandung
leuchtend heraushob. Fast unheimlich sprang so aus
dem Rahmen heraus das Bild einer verständnisvoll
lachenden sitzenden Dame. Ein Bildhauer, Karl
ocharrath, bewies guten Sinn für breite, eckige Flächig-
keit, richtige Betonung der Hauptsachen und Berech-
nung der verschiedenen Ansichtspunkte in einer inhalt-
lich gleichgültigen Gruppe: ein Fischer, der einen
halb oder ganz Ertrunkenen aus dem Meer zieht.
Von Ausländern nenne ich rasch noch zwei Italiener:
L. Bianchi, der energisch mit metallischer Kraft der
Zeichnung den Blick auf seinen Studienkopf einer
Frau, die den Mund weit geöffnet hält, hinzwang,
und G. Cairati, der in großen Landschaftsstücken
düstere Häuser vor streifigem Nachthimmel beäng-
stigend stark emporwachsen ließ. Zwei Holländer:
den Maler Cornelis de Moor, der in kleinen Bil-
dern wimmelnd gehäufte uralte Kriegsflotten in matt-
bunten Farben mit eifriger Phantastik, aber ohne
weitschwingende Phantasie auferweckte, und den
Bildhauer Toon Dupuis, dessen Würfelspieler, der
gehockt, zitternd, dem Wurf nachblickt, von herr-
licher Kraft der eckig leuchtenden knochigen Bronze-
flächen ist.
Ein einzelnes, einsam stehendes Kunstwerk über-
wog all die kleinen Erregungen dieser schellenlauten
Ausstellung, ein Stück, das fast mehr wie ein Natur-
gebilde aussah denn wie die Leistung eines Menschen
unserer Zeit, der Zeitungen liest und Cigaretten raucht.
Auf dem Grundstück seines Meisters Hermann Obrist,
weit draußen am Ende der Stadt, war es für einige
Tage aufgestellt; dann soll es fern im fränkischen
Gebirge, einsam auf einem abgelegenen Friedhof als
Grabzeichen eines der mächtigen Arbeitsherrscher
unserer Tage aufgerichtet werden. Ein gewaltiger
Steinmantel erhebt es sich aus der Erde, gegen Wind
und Wetter alle die in ehrfürchtiger Entfernung davor
angesiedelten kleinen Kreuze der Menschen schützend,
denen der Vorstorbene in seinem und ihrem Leben
Arbeit und Brot gegeben hat. Aber auch für die
wölbt sich der Mantel, die kommen werden, um die
abgelegene Grabstätte zu besuchen, und öffnet ihnen
zwei tief sich einsenkende Nischen zum Sitzen. In
der Mitte zwischen diesen beiden Höhlungen springt
schräg die hohe rechteckige Grabplatte hervor, die
in braungriinem handgetriebenen flächig marmorierten
Kupfer sich von dem graugelben Muschelkalkstein
der Fassung abhebt. Die Inschrift »Karl Oertel
1825—1903« hätte ich gerne entweder römisch runder
oder noch runenhaft eckiger gewünscht; so unter-
scheiden sich die Buchstaben nicht gerade wesentlich
von denen auf den Schildern von Eisenbahnstationen.
Vor allem sollte man aber Jahreszahlen auf Grab-
inschriften doch immer römisch machen. Trefflich
starkknochig und ausgreifend wirkt aber das einzige
Ornament des Werkes, eine über der Inschrift auf
der Platte angebrachte sternförmige, ein wenig goti-
sierende Rosette. Kupferne Nägel in den Auskeh-
lungen der Steinbögen leiten von der Inschriftplatte
zu dem Tannengrün der umgebenden Natur über.
Sonst ist alle Wirkung mit den denkbar einfachsten
Mitteln, durch die Abwechselung eckiger und ge-
bogener, glatter und aufgerauhter, ausgewölbter und
eingewölbter Steinmasse erreicht: ein tiefer starker
Dreiklang in der Vorderseite, ein mächtiges, einheit-
liches Hinüberfluten in der Rückseite.
In der Anlage vorgeschichtlich, in der Ausführung
an gotische und barocke Formen anklingend, verrät
das Ganze das in jeder kleinsten Linienbiegung sich
aussprechende nimmermüde Bemühen: nirgends mit
einem überlieferten Zierformenvokabular sich zufrieden
zu geben, sondern eine jede Gestaltung aus den
eigensten Notwendigkeiten der besonderen Aufgabe
herauszuentwickeln. Es ist ein Hügel, ein Tumulus
in einer weiten welligen Gebirgsfläche. Billig genug
ist's, darüber zu spotten, daß wir jetzt Grabmäler in
der Form von versteinerten Seerosen und Seeigeln
bekommen werden, nichts liegt dem Meister dieses
Grabmals ferner, als etwa das kleine Einzelgrab in
der Friedhofsreihe, das Wandepitaph in der Kirche,
den Sarkophag in unterirdischer Krypta in derselben
86
schließlich ein wenig damit, daß der Künstler das
mehr als schwierige Problem gar zu äußerlich heral-
disch angefaßt hat. Qeorgis Leonhardiritt ist kaum
mehr als ein zwecklos breit geratenes Plakat. Eine
wirklich satte durchgeführte Malerei und ein Werk
starken monumentalen Zuges ist aber Münzers Karnevals-
Dienstag. Aus dem gestauten Gewühl der Wagen
hebt sich eine hochaufgerichtete Mädchengestalt in
Weiß, in aller Lebenslust doch vornehm, fast ver-
achtend, im Begriff, die weißen Papiergeschosse über
ein
all H' if- ~^s"", uie weinen rapiergescnosse i
bunter6 fe U"ter ihr zu streuen- Gegenüber
Ochse negerartlS angeschminkter Pierrot auf einem
brenne"^ '™ ^'nterSrur|d, >n rötlichem Abendschein
gedacl f Maximm'ansstraße, Münchens am größten
anj 1 e Un<3 am reinsten ausgeführte Architektur-
Bran breiten ovalen Flecken in der Art der
leicht /n en Teppichpalette und doch unter einem
ist d ubigen> alle Töne versöhnenden Silberhauch
Münch al'eS gemali Unverzeihlich, daß die Stadt
ihre een,,c'ieses Stück, das mit solchem Gelingen
gekauft*!! i CSte Angelegenheit heroisiert, nicht an-
nicht h — ßöcklinschen Wegen ging diesmal,
hlaue i!e Fre'heit, Leo Putz. Er zeigt vor tief-
vem "r ere in heller rosiger Farbigkeit sehr stark
Lieh e Muschelschnecken, die in stürmischem
geri £SWerrjen miteinander streiten. Natürlich sind es
q , ß veränderte Menschenkörper, die er aus den
SchaUS6n herauswachsen läßt; bei der weiblichen
"ecke begreift man sogar nicht recht, wie die
PP'ge Frauenfigur in die enge Perlmutterschale
■nein gekommen ist. Aber die nassen, wirklich
lebng-weichen Fühlhörner, die den Fabeltieren aus
en Köpfen wachsen, sind mit schaffendem Natur-
erständnis ersonnen. — — Unter den Deutschen
. erhalb Münchens machten sich die Stuttgarter
urch gute Auswahl und durch sichere Geschlossen-
heit des Auftretens bemerkbar. Mit etwas koketter
Kunst brachte Erwin Ernst Rath Frauenporträts
Vor schwarzem Grunde, aus dem sich dann ein
starkes Karminrosa oder Mattviolett der Gewandung
leuchtend heraushob. Fast unheimlich sprang so aus
dem Rahmen heraus das Bild einer verständnisvoll
lachenden sitzenden Dame. Ein Bildhauer, Karl
ocharrath, bewies guten Sinn für breite, eckige Flächig-
keit, richtige Betonung der Hauptsachen und Berech-
nung der verschiedenen Ansichtspunkte in einer inhalt-
lich gleichgültigen Gruppe: ein Fischer, der einen
halb oder ganz Ertrunkenen aus dem Meer zieht.
Von Ausländern nenne ich rasch noch zwei Italiener:
L. Bianchi, der energisch mit metallischer Kraft der
Zeichnung den Blick auf seinen Studienkopf einer
Frau, die den Mund weit geöffnet hält, hinzwang,
und G. Cairati, der in großen Landschaftsstücken
düstere Häuser vor streifigem Nachthimmel beäng-
stigend stark emporwachsen ließ. Zwei Holländer:
den Maler Cornelis de Moor, der in kleinen Bil-
dern wimmelnd gehäufte uralte Kriegsflotten in matt-
bunten Farben mit eifriger Phantastik, aber ohne
weitschwingende Phantasie auferweckte, und den
Bildhauer Toon Dupuis, dessen Würfelspieler, der
gehockt, zitternd, dem Wurf nachblickt, von herr-
licher Kraft der eckig leuchtenden knochigen Bronze-
flächen ist.
Ein einzelnes, einsam stehendes Kunstwerk über-
wog all die kleinen Erregungen dieser schellenlauten
Ausstellung, ein Stück, das fast mehr wie ein Natur-
gebilde aussah denn wie die Leistung eines Menschen
unserer Zeit, der Zeitungen liest und Cigaretten raucht.
Auf dem Grundstück seines Meisters Hermann Obrist,
weit draußen am Ende der Stadt, war es für einige
Tage aufgestellt; dann soll es fern im fränkischen
Gebirge, einsam auf einem abgelegenen Friedhof als
Grabzeichen eines der mächtigen Arbeitsherrscher
unserer Tage aufgerichtet werden. Ein gewaltiger
Steinmantel erhebt es sich aus der Erde, gegen Wind
und Wetter alle die in ehrfürchtiger Entfernung davor
angesiedelten kleinen Kreuze der Menschen schützend,
denen der Vorstorbene in seinem und ihrem Leben
Arbeit und Brot gegeben hat. Aber auch für die
wölbt sich der Mantel, die kommen werden, um die
abgelegene Grabstätte zu besuchen, und öffnet ihnen
zwei tief sich einsenkende Nischen zum Sitzen. In
der Mitte zwischen diesen beiden Höhlungen springt
schräg die hohe rechteckige Grabplatte hervor, die
in braungriinem handgetriebenen flächig marmorierten
Kupfer sich von dem graugelben Muschelkalkstein
der Fassung abhebt. Die Inschrift »Karl Oertel
1825—1903« hätte ich gerne entweder römisch runder
oder noch runenhaft eckiger gewünscht; so unter-
scheiden sich die Buchstaben nicht gerade wesentlich
von denen auf den Schildern von Eisenbahnstationen.
Vor allem sollte man aber Jahreszahlen auf Grab-
inschriften doch immer römisch machen. Trefflich
starkknochig und ausgreifend wirkt aber das einzige
Ornament des Werkes, eine über der Inschrift auf
der Platte angebrachte sternförmige, ein wenig goti-
sierende Rosette. Kupferne Nägel in den Auskeh-
lungen der Steinbögen leiten von der Inschriftplatte
zu dem Tannengrün der umgebenden Natur über.
Sonst ist alle Wirkung mit den denkbar einfachsten
Mitteln, durch die Abwechselung eckiger und ge-
bogener, glatter und aufgerauhter, ausgewölbter und
eingewölbter Steinmasse erreicht: ein tiefer starker
Dreiklang in der Vorderseite, ein mächtiges, einheit-
liches Hinüberfluten in der Rückseite.
In der Anlage vorgeschichtlich, in der Ausführung
an gotische und barocke Formen anklingend, verrät
das Ganze das in jeder kleinsten Linienbiegung sich
aussprechende nimmermüde Bemühen: nirgends mit
einem überlieferten Zierformenvokabular sich zufrieden
zu geben, sondern eine jede Gestaltung aus den
eigensten Notwendigkeiten der besonderen Aufgabe
herauszuentwickeln. Es ist ein Hügel, ein Tumulus
in einer weiten welligen Gebirgsfläche. Billig genug
ist's, darüber zu spotten, daß wir jetzt Grabmäler in
der Form von versteinerten Seerosen und Seeigeln
bekommen werden, nichts liegt dem Meister dieses
Grabmals ferner, als etwa das kleine Einzelgrab in
der Friedhofsreihe, das Wandepitaph in der Kirche,
den Sarkophag in unterirdischer Krypta in derselben