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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Boehn, Max von: Goya
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0042

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Goya

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wiederzugeben. Er teilt die Ruhelosigkeit seines
Temperamentes seinen Bildern mit, er offenbart uns
in der Farbe: Bewegung, Licht, Leben und ohne im
entferntesten sklavische Abschriften der Natur geben
zu wollen oder im einzelnen durch Naturtreue zu
verblüffen, wirkt er immer überzeugend, wenn auch
nicht immer wahr. Er hat stets etwas Eigenes zu
sagen, allen Äußerungen seines Pinsels oder Stiftes
wohnt eine so starke persönliche Kraft inne, sie be-
zeugen eine so mächtige Individualität, daß sie dem
Beschauer des Künstlers Credo suggerieren. Dabei
ist er Maler, er fühlt in Farben und spricht in Farben.
Im Beginn seiner Laufbahn ist seine Palette überaus
reich, ja gelegentlich bunt; mit dem Fortschreiten
seines Könnens reduziert er seine Ausdrucksmittel
auf das wesentliche, er beschränkt sich in der Farbe
mehr und mehr und im Verfolg der von ihm selbst
ausgesprochenen Idee, daß die Natur weder Farbe
noch Linien kenne, sondern nur allein Licht und
Schatten, gelangt er allmählich zu einem summarischen
Verfahren und zu ausschließlicher Verwendung von
Weiß und Schwarz. Die Art aber, wie er sieht, sein
vornehmes Tongefühl und feines Farbenempfinden,
die Keckheit in der Behandlung und das Feuer des
Vortrages, die bravouröse Technik seines Pinsels geben
allem, was er angreift, das charakteristische Gepräge
einer starken künstlerischen Persönlichkeit.

Was er gemalt hat, ist so ziemlich alles, was man
malen kann: Religiöses, Genre, Historie, Porträt. In
allem ist er originell, wenn man auch nicht leugnen
kann, daß seine religiösen Bilder seine schwächsten
sind. Ob er persönlich gläubig war oder nicht, ist
eine Frage, über die viel gestritten worden ist; darf
man aus der Qualität seiner Kirchenbilder einen Rück-
schluß auf die Stärke seines religiösen Gefühls ziehen,
so würde man allerdings sagen müssen, daß er wahr-
scheinlich nicht zu den Gläubigen gehörte, denn diese
Gemälde und Fresken sind recht mittelmäßig. Man
wird in der Pilar zu Zaragoza vergebens die Leistungen
Goyas von denen der anderen Maler zu unterscheiden
versuchen, und seine Staffeleibilder in den Kirchen
Madrids, in den Kathedralen zu Sevilla und Valencia
verraten nirgends die Klaue des Löwen, im Gegen-
teil: sie sind im hohen Grade konventionell. Nur
allein die Fresken, mit denen er die Wände von
S. Antonio de la Florida in den Manzanares-Auen
vor Madrid schmückte, sind eine Leistung von hoher
künstlerischer Kraft. Er hatte hier darzustellen, wie
der heilige Antonius einen Toten erweckt und diesen
Vorwurf bewältigt er in der unbefangensten Weise,
indem er für den Blick das Gewölbe sprengt, ein
Gitter zieht und nun den Vorgang gleichsam unter
freiem Himmel im Marktgewühl einer spanischen
Stadt sich vollziehen läßt. Im hohen religiösen Stil
wäre er an dieser Aufgabe gescheitert; so war er in
seinem Element und in der glänzenden Lösung dieser
ihm gewiß unsympathischen Aufgabe hat er der kirch-
lichen Malerei neue Wege gewiesen. Die übrigen
Fresken dieses kleinen Gotteshauses, welche Engel
darstellen, sind zu unverdienter Berühmtheit gelangt.
Man hat in ihnen Porträts von Madrider Demimondainen

sehen wollen und in ihrer Schilderung geschwelgt;
geistreiche Causeure, die keine Zeile Kunst ohne das
»froufrou seidener Jupons« schreiben mögen, haben
wahre stilistische Purzelbäume geschlagen; wenn es
sich nur amüsant liest, was schadet es dann, wenn es
nicht wahr ist! Wen eine Mutheriade nach S. Antonio
lockt, der wird dort vergebens nach den verheißenen
Laszivitäten suchen.

Goyas ganzes Talent entfaltet sich in seinen
Sittenbildern, hier erst ist er ganz er selbst, in Auf-
fassung und Ausführung Vollblutspanier. So wie er
das Spanien seiner Tage gesehen, so wird es fort-
leben; er hat die Formel gefunden, die seiner Zeit
Unsterblichkeit verlieh, ewiges Leben, so lange es Kunst,
geben wird. Ob er seine Landsleute bei der Arbeit
oder beim Vergnügen schildert, ob aufregende Schau-
spiele sie elektrisieren oder sinnlose Wut sie erfaßt,
ob er Maskeraden oder Straßenkämpfe, die Inquisition
oder den Fasching darstellt, immer faßt er energisch
und eigentümlich zu und weiß die ganze Frische des
ersten Eindrucks auf seine Leinwand hinüber zu retten.
Er vernachlässigt das Detail, um das Wesentliche mit
schnellen Strichen treffend zum Ausdruck zu bringen,
er kennt keinen festen Umriß, mit breitem Pinsel
werden die Farbenflecken in heftigen Kontrasten un-
verrieben nebeneinander hingehauen, seine Technik
ist renommistisch, der Effekt aber ist höchste Lebendig-
keit. Die Anfänge dieses Genres liegen in den Ent-
würfen zu Tapisserien, die der Künstler im Auftrage
des Hofes zu liefern hatte, es sind Szenen im Genre
der Watteau, Lancret, Pater. Wohl sind es Spanier
und Spanierinnen, die wir vor uns sehen, aber sie
leben in Utopien, wo den immer Glücklichen vom
ungetrübten Himmel ein ewiger Sonnenschein lacht,
Spiel und Tanz die einzige Beschäftigung bilden, die
ganze Existenz auf eine heitere Festesfreude gestimmt
scheint. Diese Entwürfe sind außerordentlich dekorativ,
Meisterwerke schafft Goya aber erst, wenn er sich
dem realen Leben zuwendet, das Volk bei der Arbeit
aufsucht; wenn er Scherenschleifer, Wasserträgerinnen,
Milchmädchen, Wäscherinnen oder Mönche, Banditen,
Bauern darstellt, Prozessionen, Jahrmärkte oder gar
Stierkämpfe vorführt. Da ist er stets interessant und
versteht es, durch immer neue malerische Effekte zu
blenden; ja, je schwieriger der Vorwurf, je leiden-
schaftlicher bewegt die Szene ist, um so größer zeigt
er sich, wie er denn die beiden Bilder vom dos de
mayo, wo er den Beschauer mitten in das furchtbare
Gemetzel jener Schreckenstage führt, zu gemalten
Dramen von erschütternder Tragik gestaltet hat.

Auf die volle Höhe der Meisterschaft gelangt der
Künstler aber erst als Porträtist. Weit über ein halbes
Jahrhundert hinaus ist ihm die spanische Gesellschaft
Modell gestanden, er hat der Nachwelt die Züge aller
aufbewahrt, die als Könige, Infanten, Minister, Günst-
linge, schöne Frauen, Gelehrte, Künstler oder Banausen
eine Rolle gespielt. Eine gemischte Gesellschaft, der
die Qualität dieser Bilder entspricht. Hat ihn die
Persönlichkeit oder das malerische Problem interessiert,
so schafft er Meisterwerke; ging seine Kunst aber
nach Brot, da ist er banal bis zum Unerträglichen,
 
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