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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Schmerber, Hugo: Samsons Hochzeit von Rembrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0058

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Samsons Hochzeit von Rembrandt

100

Ermitage zu Petersburg zum Ausdruck1). Es ist noch
nicht das eigentliche Festmahl gekommen, der Notar
schreibt erst den Kontrakt, aber schon tanzen die
Gäste, ein guter Trunk hat schon seine Wirkung in
allen Tonarten getan, doch neue Krüge werden her-
geschleppt, jung und alt ist toll vor Freude, nur die
Braut mit der Krone am Kopfe hat die Hände auf
den Tisch gelegt und starrt mit großen weitgeöffneten
Augen auf das tolle Treiben.

Mit diesem Werke wäre auch das »Hochzeitsmahl«
von David Teniers dem jüngeren Nr. 677 der Ermi-
tage zu vergleichen. Genau dieselben Sitten scheinen
auch in Kreisen, die um eine Stufe sozial höher stehen,
üblich gewesen zu sein. Jan Steen malt eine Dorf-
hochzeit (Amsterdam, Reichsmuseum Nr. 1368), wo
es nicht gar so einfach zugeht, und doch ist das
früher geschilderte Zeremoniell beibehalten. Hinter
dem Sitz der Braut ist ein Teppich gespannt und
auf dem aufgelösten Haar balanciert sie würdevoll
ihre Krone. Einige angeheiterte Herren bedrängen
mit Schmeicheleien die Schöne, aber trotz aller An-
griffe bewahrt die Braut ihre Ruhe und sitzt — wie
der bon ton es erfordert — mit übereinander ge-
schlagenen Händen und halbgesenkten Augen.

Die Festgebräuche waren den Künstlern so ge-
läufig, daß sie von ihnen sich auch dann nicht los-
sagen konnten, wenn es sich nicht um eine Hoch-
zeit der Zeitgenossen, sondern um jene handelt, von
der die Bibel erzählt.

Auf dem Bilde von Jan Steen »Hochzeit zu Kana«
(Dresden Nr. 1725) freuen sich Gäste und Spielleute
mit deutlichen Gebärden über das vollzogene Wunder,
nur die Braut sitzt ruhig mit gefalteten Händen in
der Mitte der Tafel, die im Hintergrunde des Bildes
sichtbar ist. —

Manche der niederländischen Hochzeitsgebräuche
fanden sich auch in Deutschland'2), wie ein Stich von
Hans Sebald Beham zeigt, der das gleiche biblische
Motiv zur Darstellung bringt3). Dieses kleine Werk
ist ein Juwel in seiner Art. Echt bodenständige
nordische Sitte, deren herbe Art von dem Hauch der
italienischen Renaissance gemildert ist, spricht an-
heimelnd aus diesem Stich.

In drei weiten Bogenfenstern öffnet sich der Raum
nach rückwärts, links spricht drängend mit erhobenen
Händen die Mutter zu Christus, der ruhig und ge-
lassen auf die großen Gefäße deutet, in welche der
Schenk des Hauses Wasser gießt; rechts eine kleine,

1) Nr. 1692, vergleiche auch den Katalog von Somof.

2) Über deutsche Verhältnisse vergleiche A. Schultz,
Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker, be-
sonders S. 167 u. 172: »Sammlung von Brautkronen besitzt
das Nationalmuseum in München, das Oermanische Museum
in Nürnberg.« Ferner Weinhold, Die deutschen Frauen
in dem Mittelalter, I2, 387: »Verbreitet im Süd und Nord
des deutschen Landes war auch die heute noch vielfach
getragene Brautkrone, ein kronenartiger Aufsatz von glänzen-
dem Drahtflitter und Perlen, an dessen Stelle auch das
niedrigere Krönl oder Schäpele getreten ist oder ein Kranz
von künstlichen Blumen.« Ferner S. 389: »Die Braut saß
auf dem Ehrensitz des Tages, in dem brutstuol.«

3) Pauli, Beham, Nr. 25.

erregte Gruppe, von der eine Gestalt intensiv das
Gebahren des Heilands studiert; zwischen beiden
Szenen die Braut, eine breite, üppige Figur, mit der
Krone auf dem Haupte; die Hände übereinander-
geschlagen, sitzt sie phlegmatisch und traumversunken,
blinzelnd sieht sie in die Ferne und beachtet weder
das Treiben zur Linken noch das Wunder zur Rechten.
Von Hans Sebald Beham und von Peter Brueghel
führt im allgemeinen wohl kein Weg zu Rembrandt,
aber Samsons Hochzeit erscheint in einem anderen
Licht, wenn man die zitierten Bilder um das Dresdener
Werk gruppiert. — Nur mit Mühe schält man aus
der »Nachtwache« die althergebrachten Gruppenbild-
nisse heraus, wo sich ehrsame Spießbürger für einige
Silberlinge konterfeien ließen; so phantastisch das
Bild erscheint, es ist gelungen, die Fäden, die es mit
der Wirklichkeit verbinden, loszulegen1). Überhaupt
hat die Rembrandtforschung mit viel Geschick schon
oft gezeigt, wie der Meister auf heimischem Boden
groß wird, ob er nun ein Bildmotiv oder eine volks-
tümliche Szene mit jenen klugen, halbgeöffneten
Augen studiert, welche uns aus gemalten und radierten
Selbstporträts entgegenleuchten. —

Die Erzählungen, welche von der Heldengestalt
Samsons überliefert sind, haben ihn schon vor 1638
beschäftigt. Der historische Faden bedurfte aber noch
eines realen Einschlages, eines sinnlichen Eindruckes.
Ein großes Modellarrangement war nicht Rembrandts
Sache, aber die Hochzeit, die er selbst erlebt2) oder
im Kreise seiner Freunde beobachtet hatte, brachte
die bleiche Vorstellung vor dem Bericht über die
jüdische Heldengestalt zum Leben. Die stillen, sitt-
sam träumenden Bräute, in der Mitte einer sinnen-
und weinerregten Umgebung thronend, boten sich
ganz ungezwungen als geduldige Lichtträger — und
so erklärt sich ganz einfach das seltsame Gehaben
von Samsons Braut.

Ist es bei einer derartigen Auffassung des Dresdener
Bildes von Rembrandt noch nötig, an Brueghels
Bauernhochzeit in Wien zu denken? Von der Haupt-
person (Braut) soll nicht mehr die Rede sein, aber
es gibt noch einige Details; so zeigt die zweite Figur
links von der Braut bei Brueghel eine ganz ähnliche
Handbewegung und Kopfhaltung wie die Frau neben
der Braut bei Rembrandt und der Mann neben dem
Essenden, der scharf nach rechts sieht, korrespondiert
mit der zweiten Figur neben der Braut am Dresdener
Bild. Schließlich könnte man auf das intensive Ge-
spräch verweisen, das am rechten Ende der Tafel der
Franziskanermönch mit dem als Jäger gekleideten
Herrn hält, womit bei Rembrandt die Rätselsszene
zu vergleichen wäre. Es ergeben sich die Vergleiche
ganz ungezwungen, und daß sie nur als anregende
Motive gedacht sind, ist selbstredend. Obgleich nun
Rembrandt für Bauernbilder Interesse empfand — in
dem Inventar seiner Sammlung ist eine Reihe von

1) Neumann,' 1. c.

2) C'est encore Saskia qui a servi de modele pour
le personnage principal d'un tableau inspire egalement par
Ia Bible et date de l'annee suivante, le festin de Samson . . .
Michel, Rembrandt, S. 227.
 
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