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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0083

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Wiener Brief

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dreißig Jahren so große Verdienste um die Wiener
Kunstförderung hatte, ist von dem unverwüstlichen
H. O. Miethke an Herrn Paul Bacher übergegangen.
Sein künstlerischer Hausgeist ist Karl Moll, diese
Sauerteignatur, die schon so viel Leben in die Wiener
Kunst gebracht hat. Seine erste Ausstellung galt
unserem Altmeister Waldmüller, den er schon auf
der letzten Dresdener Ausstellung, in ihrem denk-
würdigen retrospektiven Teile, in so günstiges Licht
gerückt hat. Bei Miethke hatte er nun 41 Bilder
vereinigt, denen sich dann noch etliche vollwertige
Nachzügler anschlössen. Das größte Aufsehen machte
das figurenreiche Eltzsche Familienbild aus dem Jahre
1835, das durch die Abbildung in meinem Buche
»Österreichische Kunst im 19. Jahrhundert« zuerst
wieder notorisch geworden. Zehn Bildnisse in
schneegekrönter Salzkammergutgegend, die größte
Gediegenheit bis in das kleinste Beiwerk. Es war
mir eine Freude, in Dresden zu sehen, wie dieses
so unbewußt dreinschauende Meisterwerk international
bewundert wurde. Manche Perlen der Ausstellung
waren dem Wiener Kunstfreund seit Jahren geläufig,
aber wer sollte die köstlichen alten Weiberchen und
gewisse ganz erstaunliche Landschaften, wie das
Mauthner-Markhofsche Frühlingsbild, oder das Fürst
Liechtensteinsche Wienerwaldbild (jetzt Moderne
Galerie), oder die kleine Schönbrunner Ruine nicht
gerne wiedersehen? Anderes war dem Gedächtnis
unserer Zeit fremd. So das große Bild: »Badende
Frauen« (1848). Sechs weibliche Akte (Waldmüller
als Aktmaler!) in tadelloser, wenn auch zeitgemäß
zahmer Durchführung. Man erinnert sich an alt-
wiener Tafelaufsätze mit solchen Porzellanfiguren.
Die Antike scheint durch Ferdinand Raimund hin-
durchgegangen und als »Fee« wieder erschienen zu
sein. Dabei unabweisbare Anklänge: eine »medi-
ceische« Geberde, eine deutende Hand Dianas, die
den Aktäon erblickt. Sehr eigen, den grundbürger-
lichen Meister auf dieser Fährte zu sehen. Dann
unter den Genrebildern: »Der Brief«, mit der schönen
Dame in bauschiger weißer Seide, die weiße Marmor-
vase mit mächtigem bunten Blumenstrauß auf der
blumenbunten Tischdecke, bei vorzüglich geführtem
Licht. Welche gediegene Liebe in alledem. In einem
anderen Kabinettstück, wo der Gatte am Schreibtisch
sitzt und die schöne junge Frau ihm den Imbiß
bringt, möchte man partout die Goldschrift auf dem
Rücken der alten Lederbände lesen. Und dabei sieht
all dieses Kleinzeug gar nicht geleckt und gepinselt
aus; es ist so von selbst gekommen, in seiner an-
geborenen Biederkeit, und der Meister verbreitet eine
solche Suggestion von Mühelosigkeit, daß einem nie
peinlich zumute wird, wie den gewissen Putzigmalern
des Kunstmarktes gegenüber. Diese schlichte Wahr-
heit und niemals zaudernde Malfertigkeit macht aus
manchem einfachen Bürgerporträt ein Musterstück, an
dem sich jeder Maljüngling ein Beispiel nehmen
könnte. Ein Rembrandtsches Selbstbildnis aus der
ersten Periode ist so gekommen. Eines der eigen-
tümlichsten Porträts (und ganz unbekannt) ist das
lebensgroße Brustbild des Erzherzogs Franz Karl,

Vaters des Kaisers Franz Josef, aus dessen intimstem
Privatbesitz (1839 gemalt). Waldmüller ist jetzt ein
Mittelpunkt des kunstgeschichtlichen Forschens in
Wien, zunächst im Hinblick auf das große, vom
Unterrichtsminister Dr. v. Härtel angebahnte Wald-
müllerwerk. Dieser Vergangene geht augenscheinlich
einer großen Zukunft entgegen.

Die Herbstausstellung im Künstlerhause hat dies-
mal keinen hervorstechenden Charakterzug. Ein Saal
vereinigt Bilder und Studien des Zimmermannschülers
Adolf Ditschetner (geb. 1846, gest. 12. Januar 1904).
Der bekannte »Maler des Frühlings«, wie ihn der
Prinzregent von Bayern nannte, wegen seiner roten
und weißen Blütenbäumchen, die auf allen deutschen
Ausstellungen kamen und gingen. Ditscheiner war
eine gründlich geschulte, ansprechende Malernatur,
ohne starke Eigenart. Er berührt sich vielfach mit
seinen Schulgenossen, namentlich Schindler und Jettel,
aber auch der Einfluß Pettenkofens, ja Makarts gibt
sich oft genug kund. Der Künstler stand bis ans
Ende auf seiner Höhe. So noch in seinem letzten
Bilde, wo unter blauem Himmel Kartoffelkraut ver-
brannt wird. Mit Pinsel und Palette in der Hand
starb er auch, am Herzschlag, nach anderthalbjähriger
Krankheit. Weiterhin fesseln zwei Kollektionen. Die
eine von A. H. Schräm, der diesen Sommer mit
Rudolf Swoboda zwei Monate in Damaskus verlebt
und eine reiche Ausbeute an Bildern und Studien
mitgebracht hat. Es sind vortreffliche Orientalia dar-
unter, tonige, farbige Sachen, in denen auch die
»süße« Gefahr glücklich vermieden ist. Der andere
ist der Deutschrusse Nikolaus Schattenstein, ein
Michael Beer-Pensionär, den ich voriges Jahr in Rom
und Capri an der Arbeit sah. Er ist entschiedener
Licht- und Luftmensch und hat für diese Probleme ein
ausgesprochenes Talent. Seine Ausstellung ist ein
Erfolg. Ein dritter Raum ist vom »Jungbund« be-
setzt, dessen Schneemaler Friedrich Beck, Otto Barth
und Adolf Groß, neben anderen Talenten, sehr
lebensfähig wirken. Die Berliner Karl Kappstein und
Karl Langhammer zeigen in langen Reihen von
Blättern ihre neuesten Monotypien. Sie malen auf
eine versilberte Kupferplatte sehr rasch mit Ölfarbe,
der ein flüchtiges Öl beigemengt ist, und drucken
auf eigens konstruierter Handpresse, ohne besondere
Kraftanwendung, unter Vermeidung jeder Retusche.
Der Eindruck ist unmittelbar und frisch, jeder Punkt
sitzt fest und wird rein wiedergegeben, die Wirkung
ist angenehm luftig. In dem gemischten Teile der
Ausstellung fallen besonders die Kinderporträts von
John Quincy Adams auf, der sich seit drei Jahren
überraschend vertieft. Die Habitues dieser Abteilung
(Pippich, Geller, Tomcc, Merode, Kinzel, Hessel,
Zetsche und andere) sorgen für den bürgerlichen
Weihnachtsbedarf.

Schließlich sei ein Blick in den Hagenbund ge-
worfen. Seine sehr ansehnliche Herbstausstellung
überraschte vor allem durch einen ganzen Saal voll
Bilder und Studien Max Liebermanns. Von dem
»Kartoffelacker« (1875) an bis auf diesjährige Bilder
(»Bauernhaus in Edam«, vom Unterrichtsminister für
 
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