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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Daun, Berthold: Wittenberg die Geburtsstätte der deutschen Renaissance?, [1]
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Wittenberg die Geburtsstätte

der deutschen Renaissance?

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schon in großer Verschiedenheit auf den ältesten
Bücherdrucken und auch auf Martin Schongauers
Stichen findet. Die sehr dünne und feine Papiersorte
ist, um nur einige Beispiele anzuführen, für den Stich
B. 35 (Maria, das Kind säugend) vom Jahre 1503
benutzt, desgleichen für die Stiche der großen For-
tuna, Amymone, des kleinen Kuriers und für mehrere
im ersten Jahrzehnt entstandene Blätter1).

Wittenberg als die Geburtsstätte der Renaissance
anzusehen, war demnach reine Illusion. — Aber selbst
wenn der Stich Adam und Eva in Wittenberg ent-
standen wäre, würden diese beiden Aktfiguren über-
haupt das erste Zeugnis für die Renaissancebetätigung
in Deutschland sein? Selbst in diesem Falle würden
wir die ersten Renaissanceerscheinungen nicht in
Wittenberg, sondern in Nürnberg finden, so daß Nürn-
berg die Geburtsstätte der deutschen Renaissance ist
und bleibt, denn Dürer war ja nicht der einzige, der
renaissancemäßig zu arbeiten begann. Auch Peter
Vischer der ältere hatte schon um 1504 die Vorzüge
der italienischen Kunst erkannt. Freilich äußerte sich
bei ihm die neue Kunstweise zunächst noch nicht im
Akt, sondern in der Dekoration. Vor allem aber
wurden die Nürnberger Meister mit den italienischen
Formen durch einen Meister, dessen Bedeutung für
die Wandlung der deutschen Kunst keineswegs zu
unterschätzen ist, direkt bekannt gemacht, nämlich
durch Jacopo de' Barbari, dessen zweite Heimat schon
in den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts Nürn-
berg geworden war.

Der Verkehr mit diesem italienischen Meister in
Nürnberg führte den jungen Dürer früh auf das
Studium von Renaissance-Stichen und -Skizzen, die
hier infolge des regen Handelsverkehrs zwischen
Nürnberg und Venedig genugsam in Umlauf waren.
Barbaris Unterrichtsstunden erweckten in Dürer weiter
das Verständnis für den Akt. Die alte Ansicht, daß
Dürer auf seiner ersten Wanderschaft in Venedig mit
Barbari zusammengetroffen sei, ist irrig. Ich be-
haupte: Dürer kam zum erstenmal 1505 nach Venedig
und auf seiner ersten Wanderschaft hat sein Fuß
italienischen Boden nicht betreten. Die Flut der
Entgegnungen glaube ich durch nachfolgende Aus-
führungen abdämmen zu können.

Alle, die in jüngster Zeit über Dürers Verhältnis
zu Barbari geschrieben haben, haben nicht vermutet,
daß ich bereits vor acht Jahren in meinem Krafft2)
die Behauptung ausgesprochen habe: Dürer ist gleich
nach der Rückkehr von seiner Wanderschaft in Nürn-
berg zu Barbari in Beziehung getreten.

Barbari war 1503 mit Dürer nach Wittenberg
berufen und dort bis 1505 tätig gewesen. Auf Kosten
des Kurfürsten wurde Barbari, der gern Universitäts-
professoren bei sich zu Gaste sah, verpflegt. Im

1) Nach 1511 ist dasselbe Papier verwendet, neben
der zweiten Papiersorte der ersten Periode mit gotischem p
als Wasserzeichen. Bei ersten Drucken vom Jahre 1518
wurde Papier benutzt, das einen Ochsenkopf mit Schlangen-
stab darüber als Wasserzeichen hat.

2) Daun, Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit
Berlin 1897; p. 125 — 127.

I Jahre 1504 wurde er zum Hofmaler ernannt. Während
des Wittenberger Aufenthaltes arbeitete er außerdem,
aber wohl immer nur vorübergehend, in den Schlössern
zu Torgau und Lochau. Ferner ist urkundlich be-
kannt, daß er mit Joachim I. von Brandenburg im
Jahre 1508 in Frankfurt a. O. weilte, seit 1510
aber als Hofmaler im Dienste der Statthalterin Mar-
garethe in den Niederlanden weilte. Nachdem er
1511 bereits pensioniert war, wird er 1516 als ver-
storben erwähnt. Weil Neudörffer über diesen wäl-
schen Meister in seinen Aufzeichnungen über Nürn-
berger Künstler berichtet, muß er in Nürnberg bekannt
und beliebt gewesen sein. Neudörffers lobende Er-
wähnung und Pirkheimers Interesse für diesen Meister
lassen einen längeren Aufenthalt in Nürnberg voraus-
setzen1). Vermutlich war er 1498—1500 in Venedig,
wo er an dem bekannten großen Holzschnitt der
Ansicht Venedigs arbeitete. Die Zeit von 1500, wo
er wieder in Nürnberg genannt wird, bis zur Über-
siedelung nach Wittenberg kann für ihn nicht genügt
haben, so festen Fuß in Nürnberg zu fassen; vor
dieser Zeit muß ein längerer Aufenthalt dort statt-
gefunden haben. Neudörffers Bericht befestigt meine
Meinung, denn ihm zufolge ist Hans von Kulmbach
Barbaris Lehrjunge gewesen. Da dieser um 1475
geboren ist, muß seine Lehrzeit bei dem fremden
Meister etwa in die Zeit 1490—1495 fallen, Barbari
mußte also damals in Nürnberg ansässig sein. Hinzu
kommt Dürers wichtige Stelle in seiner Proportions-
lehre, daß er, als er noch jung war, von Barbari in
der Proportion unterwiesen sei. Dürers auffallende
Äußerung in seinen venezianischen Briefen aber lichtet
das Dunkel völlig: wenn er 1506 aus Venedig
schreibt, das »Ding«, das ihm vor elf Jahren gefallen
habe, ihm nun nicht mehr gefalle, so spricht er
damit aus, daß er, nachdem er an Ort und Stelle die
Renaissance gründlich kennen gelernt habe, nun über
Barbaris Kunst anderen Urteils sei. So stimmt auch
Dürers Rechnung, und er hat sich nach Grimms An-
nahme nicht um ein Jahr geirrt. »1495«, gleich nach
seiner Wanderschaft, traf er vor oder nach seinem
ersten kurzen Wittenberger Aufenthalt mit Barbari
zusammen und zwar in Nürnberg! Freilich finden
ich in den frühen Werken Dürers aus den neun-
ziger Jahren manche Anklänge an italiensche Vor-
bilder; dieser italienische Einfluß geht jedoch ein-
fach auf italienische Gemälde, Stiche und Zeich-
nungen zurück, von denen der eifrige Sammler
Dr. Hartmann Schedel gewiß schon eine reiche Samm-
lung besaß. Die Zeichnung Dürers nach dem Apoll
von Belvedere geht sicherlich auch auf eine der
vielen Vorlagen zurück, die er in der Studienmappe
Barbaris vorfand, oder die er sonstwo in Nürnberg
auftreiben konnte. Ebenso verhält es sich mit der
Uffizienskizze des Kindes. Damit erweist sich der
sogenannte erste Aufenthalt Dürers in Venedig als

1) In der Campischen Neudörffer-Ausgabe findet sich
das irrtümliche Todesjahr 1500. Die Zahl wird in der
Campischen Handschrift, deren Abweichung von der ver-
lorenen Originalhandschrift nicht festzustellen ist, erst später
hinzugefügt worden sein.
 
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