Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0100

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
i83

Bücherschau

184

sind auch die Blätter von Gaston Latouche, eine
Parklandschaft mit junger Dame und Schwan, die
Wiederholung seines letzten Salonbildes und eine
herbstlich bunte Baumallee. Manuel Robbe, Osterlind
und G. Charpentier haben ebenfalls sehr gut aus-
gestellt, und alles in allem macht dieser Salon der
Radierer einen vortrefflichen Eindruck.

Vor einigen Jahren hatte der inzwischen ver-
storbene Charles Bodinier in dem nach ihm genannten
Saale der »Bodiniere« eine merkwürdige Ausstellung
von Gemälden und Zeichnungen vereinigt. Es waren
das lauter Arbeiten von bekannten Schriftstellern und
Dichtern, Zeichnungen, Aquarelle und Ölgemälde von
Verlaine, Raoul Ponchon, den Brüdern Goncourt,
Sardou, Meilhac, Bergerat hingen neben Blättern ver-
storbener Schriftsteller und Dichter, worunter Victor
Hugo, Baudelaire, Musset, Merime und Gautier be-
sonderes Aufsehen machten. Nun hat Emil Bergerat
für sich allein eine Ausstellung von vierzig Aquarellen
veranstaltet, die ich nicht um ihres künstlerischen
Wertes willen, sondern als Kuriosum erwäline, sozu-
sagen als neuen Beweis dafür, daß Frankreich wirklich
die Patrie des Arts ist, und daß hier jedermann bis
zu einem gewissen Grade Künstler ist, — oder sich
wenigstens dafür hält.

In zwei Museen sind augenblicklich interessante
Ausstellungen zu sehen: dauernd ist in dem städtischen
Museum im Kleinen Palais eine Sammlung keramischer
Werke von Carries aufgestellt, vorübergehend hat man
im Luxembourg einige hundert Lithographien von
Toulouse-Lautrec untergebracht. Toulouse ist außer-
halb Frankreichs bekannter als Carries. Das hängt
mit der Natur seiner Erzeugnisse zusammen: Zeich-
nungen und Lithographien lassen sich leichter trans-
portieren als Skulpturen. Indessen-»kennt man ihn
doch immer noch nicht genug. Als Mensch wie als
Künstler war er eine der interessantesten Erscheinungen
unserer Zeit, und den Künstler kann man nicht ver-
stehen, wenn man den Menschen Toulouse nicht
kennt. Die Tragik seines Lebens lag in der abscheu-
lichen Mißgestalt, welche ihm eine böse Hexe bei
der Geburt gegeben hatte. Er war ein Zwerg, aber
kein wohlgebildeter, ehrwürdiger Zwerg wie Menzel,
sondern ein abschreckend häßlicher Kobold, den
greulichen Wechselbälgen gleichend, welche in den
Kindermärchen von bösen Erdgeistern herbeigebracht
und mit den wohlgestalteten Kindern der Menschen
vertauscht werden. Dieses Mißgeschick erdrückte
Toulouse. Zwar spottete er ohne Aufhören selbst
über sein Äußeres, aber in Wirklichkeit war dieser
Spott auch nur eine grimmige Selbstzerfleischung.
Besonders nahestehenden Freunden öffnete er in ver-
trauten Augenblicken sein ganzes Herz, indem er
mit seinem herzzerreißenden hönischen Grinsen, hinter
dem die bittersten Tränen lauerten, sagte: »Das größte
Glück, das mir hätte passieren können, wäre gewesen,
nicht geboren zu werden«.

All seine Ironie und Satire, sein grimmiger,
schneidender, beißender, alles Häßliche und Abscheu-
liche sofort aufgreifender Humor entstammt diesem
pessimistischen Grundzuge seiner Natur, und diesem

Grundzuge paßte sich dann seine ungewöhnlich
große Kunst an. Selbst eine Karikatur, sah er nur
Karikaturen um sich, alles um ihn schien ihm ver-
zerrt, wie er selbst es war. Getragen von dieser
Stimmung hat er dank seiner phänomenalen Begabuug
als Zeichner das höchste erreicht, das sich auf dem
Gebiete des ironischen Pessimismus in der bildenden
Kunst erreichen läßt, und wer dem Menschen Toulouse
näher stand, fühlt die Tränen in diesen Werken, die
dem Fernstehenden wie ausgelassene Witze eines
Clowns vorkommen.

Jean Carries ist der Begründer der neueren Keramik.
Er saß unten im Departement Nievre, wo schon vor
der Römerzeit große Töpfereien betrieben wurden
und wo heute noch die Töpferei neben dem Acker-
bau die Grundlage des Erwerbes bildet. Dort forschte
er an Ort und Stelle allen technischen Verfahren nach
und, geleitet von japanischen Vorbildern, gelangte er
zu jenen Resultaten, die immer noch die schönsten
der modernen Keramik sind, obgleich seit Carries
sich hundert andere Künstler diesem neu erschlossenen
Zweige der bildenden Kunst zugewendet haben.
Carries war nicht nur der größte Techniker unserer
modernen Keramiker, er war auch ihr größter Bild-
hauer und vielleicht ihr größter Kolorist. Seine an
die Fratzen alter romanischer und gotischer Bauten
erinnernden, dabei doch durchaus modernen Masken
aus Steingut, seine Büsten, vor allem sein großes
Portal zeigen ihn als einen der eigenartigsten und
interessantesten Bildhauer unserer Zeit. Er beherrschte
alle Formen und besaß eine unerschöpfliche Phantasie.
Der Saal, den man im Kleinen Palais mit seinen
Arbeiten gefüllt hat, gehört jetzt zu den besuchens-
wertesten Orten für den Liebhaber moderner Kunst.

KARL EUGEN SCHMIDT.

BÜCHERSCHAU

Frühholländer II Altholländische Gemälde im erzbischöf-
lichen Museum zu Utrecht herausgegeben von Dr. Franz
Dalberg. Druck und Verlag H. Kleinmann & Co. Haar-
lem (Holland).

Der Inhalt dieses zweiten Teiles der dankenswerten
Publikation ist dem Kunstforscher noch willkommener als
die schönen Abbildungen der Leidener Altäre im ersten Teile.
Das Material zur Kenntnis der älteren holländischen Malkunst
ist so klein, daß jede Vermehrung höchst erwünscht ist,
und die beachtenswerte Reihe holländischer Bilder aus
dem 15. und der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im
Utrechter erzbischöflichen Museum war noch nicht photo-
graphiert. Freilich, wenn der Kunstforscher jedes dieser
Stücke mit gelehrter Neugierde betrachtet, der Kunstfreund
geht zwar nicht leer aus, findet aber kaum ebensoviel Be-
friedigung. Mit vier oder fünf Ausnahmen zeigen die
großen und guten Lichtdrucke dieser Mappe Gemälde von
geringem Werte. Der Herausgeber ist wohl vorbe-
reitet, diese Dinge zu würdigen und jedem den rechten
Platz anzuweisen, da er sich seit mehreren Jahren energisch
mit dem Studium der älteren holländischen Malerei be-
schäftigt hat. Er übt bewußt eine Kunst aus, indem er
die Malwerke mit originellen, zumeist treffenden, selten
etwas gewaltsamen Wendungen schildert. Er ist nicht
stets dem Fehler entgangen, die publizierten Gemälde zu
überschätzen. Der Leser des dichterisch gesteigerten Textes
 
Annotationen