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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Schleinitz, Otto von: Die Watts-Ausstellung in der Londoner Akademie
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Die Watts-Ausstellung in der Londoner Akademie

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»Mary Fox« (spätere Prinzessin Liechtenstein) als Kind
mit ihrem großen Lieblingshund abgebildet. Ebenso
wie die Jonides, in demselben Maße hat die Familie
Fox, das heißt namentlich Lord und Lady Holland,
auf die Jugendperiode des Künstlers günstigen und
ermutigenden Einfluß ausgeübt. Den genannten
Personen muß es zum dauernden Ruhme nachgesagt
werden, daß sie das bedeutende Talent von Watts
sofort erkannten. Es ereignet sich wohl selten, daß
ein großer Meister alsdann, wie es hier bei der Familie
Jonides geschah, Mitglieder von fünf Generationen
porträtierte. Zum Schluß aus der ersten Abteilung
will ich noch in aller Kürze einige Worte über
»Jakob und Esau« (1878) sagen, weil die in dem
Werke ausgedrückte Idee der Versöhnung eine typische
bei Watts ist. Gleich wie z. B. der Künstler in dem
Bilde »Kain kehrt zurück«, »Liebe und Leben« einen
befriedigenden Abschluß für »Kain verflucht« und
»Liebe und Tod« geben will, in eben derselben Weise
geschieht es durch »Esau« und »Jakob und Esau«.
Gegen Ende 1865 entwarf er die gewaltige in Felle
gekleidete und mit einem Speer bewaffnete Figur des
Esau, als Jäger aufgefaßt. Aber schon 1868 ist es
ihm leid geworden, daß er Esau, wenn er auch nicht
die Einsicht besaß, um der Führer eines Volkes zu
sein, unversöhnt als wilden Jäger herumirren läßt.
»Die Begegnung Jakobs und Esaus« ist ein Bild, in
welchem der offene aber ungestüme Charakter Esaus
und der bedächtige, zögernde und überlegende Jakob
unübertrefflich geschildert sind. Wir erkennen aus
der schön und sicher entworfenen Komposition, daß
es sich nicht um das hochmütige, wie eine Beleidigung
wirkende Verzeihen, sondern um das gewinnende
Vergeben handeln soll.

Von den Gemälden in dem zweiten Saale hebe
ich besonders hervor: »Ariadne auf Naxos«, das
Porträt der Schauspielerin Langtry, »Bianca«, »Der
reiche Jüngling«, das Porträt von Burne-Jones, Lord
Tennyson, »Orpheus und Eurydice«, »Diana und
Endymion«, »Die Gattin des Pluto«, »Der Genius
griechischer Poesie« und das Bildnis Millais. Auch
einige Genresujets befinden sich hier, so unter anderen
das anmutige Bild »Glück auf zum Fischfang«. Von
dem dargestellten kleinen Amor sagt Watts: er fischt
in seichtem Wasser!

Das hier zur Anschauung dargebotene Werk
»Pygmalions Gattin« ist eigentlich das einzige Bild
des großen Toten, das im rein antik-klassischen
Sinne aufgefaßt wurde. Dies herrliche, majestätische,
von künstlerischer Höhenluft umwehte Gemälde, das
ohne Zweifel an die vornehmsten Meister der besten
griechischen Epoche erinnert, besitzt trotz seiner
Klassizität doch etwas eigenartig Modernes. Das
Grandiose in dieser Schöpfung besteht meiner An-
sicht nach vor allem darin, daß man fühlt: Der
Künstler hat dem Werk den plastischen Untergrund,
das Stoffliche des Marmors belassen, aber ihm seinen
künstlerischen Geist derart eingehaucht, daß er im
Gemälde, so wie in der alten Mythe zur Wiederbe-
lebung gelangt. Watts zeigt uns nicht wie Burne-
Jones in seinem gleichnamigen Zyklus die Entwicke-

lung, sondern er stellt uns unmittelbar vor das voll-
endete Werk. In seiner großen Bescheidenheit fügte
der Meister dem Titel hinzu: Eine Übersetzung aus
dem Griechischen. Im übrigen hat Watts keine
Griechen und Hellenen, sondern in seinen derartigen
Stoffen, Engländer und Engländerinnen dargestellt.
Watts war der einzige zeitgenössische englische
Künstler, der das moderne Element mit antiker Würde
zu verbinden wußte. Beide Richtungen, ohne eklektisch
zu erscheinen, derartig umgewandelt, zusammenge-
schmolzen und organisch verbunden zu haben, daß
eine dritte, neue Eigenart aus ihr hervorging, das
bleibt eben so sehr das Verdienst, wie das Merkmal
von des Altmeisters Kunst. Die griechische Antike
mußte sich gefallen lassen, in seiner Hand im britisch-
nationalen Sinne umgeformt zu werden, denn er war
vor allem und an erster Stelle ein begeisterter An-
hänger seines Vaterlandes.

Unter den, in dem dritten Saal befindlichen Ge-
mälden erwähne ich zunächst die Porträts von Miss
Pattie, späteren Gräfin Somers und Mrs. Percy Wind-
ham, weil ihre Personen zu vielen seiner Bilder be-
wußt und unbewußt Modell gestanden haben. Sie
sind beide Typen geworden und zwar die erstere
mehr im Beginn, die letztere für die späteren Epochen
in der Kunst des Meisters. Mrs. Percy Windham
ist im Gegensatz zu jener eine mehr unabhängige
und etwas strenge Frauenschönheit. Die Gräfin
Somers wurde von Watts mehrfach dargestellt und
so zuletzt in der Auffassung mit einem Anklang an
alte venezianische Meister. Das hier vorhandene Ge-
mälde »Britomart und der Wunderspiegel«, ein Sujet
aus Spensers »Faierie Queene«, zeigt uns in der Haupt-
figur der Britomart eine merkwürdige Vereinigung
des Typus der Gräfin Somers im venezianischen
Stil mit dem der Mrs. Percy Windham.

In dem sogenannten Aquarellsaal sind eine große
Menge von Zeichnungen aller Art ausgestellt, so unter
anderen die Fragmente des Kartons »Caractacus«,
durch welchen Watts im Jahre 1842 den ersten Preis
in dem Wettbewerb zur Ausschmückung des Parlaments
erhielt. Das Werk selbst gelangte nicht zur Aus-
führung, vielmehr wurde der Karton verkauft und
durch einen Händler in mehrere Stücke zerschnitten.
Namentlich sehen wir hier viele Porträts in Kreide-
zeichnung von Freunden des Meisters, so die Mit-
glieder der Familie Prinsep, Alphonse Legros,
Tennyson, die Gräfin Somers, Lord Leighton und
Studien zu den größeren Ölbildern. Eine ganze
Reihe dieser Arbeiten sind nicht mit dem Namen
»Watts«, sondern »Signor« bezeichnet, eine Signierung,
die für seine intimeren Freunde üblich blieb und auf
seine Lehr- und Wanderjahre in Italien hinweist.
Bis zu seinem Lebensende wurde er von den ihm
besonders nahestehenden Personen »Signor« genannt.

Die beiden nächstfolgenden Säle der Akademie
enthalten als hervorragendste Arbeiten des heimge-
gangenen Künstlers nachstehende Gemälde: Die Land-
schaft Mentone, »Carrara«, »Die Schaffung Evas«,
»Paolo und Francesca da Rimini«, eins der wenigen
Gemälde, das der Meister als »fertig« erklärte, ferner
 
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