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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0131

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245

Bücherschau

246

band gefaßte zweite Band. Hier hat der Verfasser in Pa-
rallelabschnitten zum ersten die Rohmaterialien zusammen-
gestellt, auf denen seine Auffassung begründet ist: viel-
fach nur kurze Verweise, häufig — es ist besonders
dankenswert — mit kürzeren oder längeren Belegstellen.
Für einige der Größten hat er unter gewissen Gesichts-
punkten Material über ihr inneres und äußeres Leben zu-
sammengestellt, das vielen willkommen sein wird, so
S. 110 ff. für Leonardo, S. 112 ff. für Michelangelo. Er hat
damit nicht nur ein Hilfsmittel zur ersten Orientierung ge-
boten, auch der Spezialist hat alle Ursache, diese über-
sichtlich geordneten Bemerkungen mit Sorgfalt durchzu-
gehen; es wird sich stets als lohnende Arbeit erweisen.

Endlich hat der Verfasser sich ein Anrecht auf
unseren Dank erworben durch die reiche Bibliographie,
die fast die Hälfte des zweiten Bandes einnimmt und die
historische Literatur für die Renaissancezeit im weitesten
Sinn umfaßt. Wer durch langjährige eigene Beschäftigung
mit dieser Periode weiß, wie schwer es ist, sich rasch über
die Nebengebiete zu informieren, dem wird dieser »biblio-
graphische Versuch«, wie es der Verfasser bescheiden
nennt, eine besonders wertvolle Gabe des Buches sein.

So hat man, unserer Auffassung nach, diese zwei
Bände Saitschicks für eine namhafte Bereicherung unserer
Literatur über Renaissance anzusehen. Ein Recht zur Kritik
hätte nur ein Jakob Burckhardt oder ein ihm Kongenialer;
den Mut dazu aber mag man nur aus engstem Spezialisten-
tum schöpfen. a. or.

Sidney Colvin, Selected drawings from old masters in the
Universily Galleries and in the library at Christ Church,
Oxford. Part II.

Der zweite Teil der von Sidney Colvin geleiteten
schönen Publikation einer Auswahl der in Oxford be-
wahrten Zeichnungen umfaßt fast ohne Ausnahme Stücke
allerersten Ranges; und obschon manche darunter den
Kunstfreunden durch photographische und andere Wieder-
gaben bekannt gewesen sind, so rechtfertigt ihr innerer
Wert und die außerordentliche technische Vollkommenheit
des Reproduktionsverfahrens ihr Wiedererscheinen.

Italienische Kunst hat dieses Mal das bedeutende Über-
gewicht. Den Anfang macht ein Blatt aus der Schule
Mantegnas, Herkules und der nemeische Löwe (PI. 3).
Vergleicht man die etwas grobe Tuschzeichnung mit der
beigegebenen Wiedergabe des Stiches von Giovan Antonio
da Brescia, so kann man nicht wohl zweifeln, daß jene als
Vorlage für diesen gedient hat. Tafel 4—7 reproduzieren
vier der merkwürdigsten Federzeichnungen Leonardos, mit
Allegorien der Herrschaft des Moro, von Tugend und Neid,
von Lust und Leid. Sie gehören nicht zu den Arbeiten
des Meisters, die man uneingeschränkt bewundert; zu
dichtes allegorisches Gestrüpp wehrt den Zugang zum
Verständnis: aber was hat seine Zauberhand selbst aus
diesen Stoffen zu machen gewußt! Colvin trifft in seinem
Zeitansatz — Beginn der Mailänder Periode, noch mit allen
charakteristischen Eigenschaften der Florentiner Zeit — ganz
gewiß das Richtige. Man wird gut tun, den Kopf der
Justitia (PI. 4) mit der in Heft I veröffentlichten Figur der
Keuschheit zu vergleichen.

Sehr wichtig erscheint die Bestimmung eines schönen
Frauenkopfes (Silberstift auf bläulichem Papier) auf den
Namen Boltraffios (PI. 8). Der Vergleich mit dem schönsten
Bild des Meisters, in Budapest, schließt jeden Zweifel aus;
man möchte direkt meinen, es habe dieses Blatt als Vor-
studium für jenen anmutreichen Madonnenkopf gedient.
Da die Sonderung des allgemein unter Leonardos Namen
zusammengefaßten Schulgutes noch ganz vernachlässigt ist,
erscheint Colvins Attribution so glücklich als lehrreich.

PI. 9 vereinigt zwei Federzeichnungen, Vor- und
Rückseite desselben Blattes, von Michelangelo. Sie zeigen
den charakteristischen Duktus, der ihm zu Beginn des
16. Jahrhunderts eigen war, zu der Zeit, da ihn der Karton
mit den badenden Soldaten beschäftigte. Die Vermutung,
die Gruppe der »Maria selbdritt« auf der Vorderseite sei
angeregt worden durch Leonardos Beschäftigung mit die-
sem Stoff zu derselben Zeit, ist zwar unbeweisbar, aber
äußerst ansprechend. Dem Oxforder aufs engste verwandt
erscheint ein Blatt in Wien, mit einer Studie für die Madonna
mit Kind auf der Vorderseite (Albertiner Publikation Nr. 360)
und einem männlichen Akt auf der Rückseite (Nr. 419).
Man gewinnt durch diesen Vergleich eine Datierung für
letztere Studien; diese ist wertvoll, weil sie beweist, daß
Michelangelo das Motiv, das er später in der Madonna
der Mediceerkapelle ausführte, bereits seit vielen Jahren
mit sich herumtrug.

PI. 10 ist der weltbekannte strenge Frauenkopf in
Rötel, von Michelangelo. Ebenfalls unter dessen Namen
erscheint eine Beinstudie (PI. 11) in Rötel, die Rückseite
zu einer Familiengruppe mit scherzenden Kindern (gewiß
nicht einer heiligen Familie), welche alle Stileigentümlich-
keiten Sebastianos zeigt (PI. 12). Warum soll man aber
nicht auch die Beinstudie dem venezianischen Nachahmer
geben? Obschon grandioser, als man es bei ihm gewöhnt
ist, zeigt sie doch eine höchst bezeichnende Eigentümlich-
keit, das Abspreizen der großen Zehe, die man in vielen un-
bestreitbaren Arbeiten Sebastianos findet. Unter Sebastianos
Autornamen hingegen erscheint dieRötelstudie zu einer Kreuz-
abnahme (PI. 13), ein Thema, das den Venezianer intensiv
beschäftigt haben muß, und das bald als Grablegung (Wien,
Albertiner Publikation Nr. 73; vgl. Nr. 63), bald als Pietä
(British Museum, das berühmte Blatt aus der Warwick-
Sammlung, Berenson PI. 147) abgewandelt erscheint. Den
unverkennbaren manieristischen Stilcharakter der michel-
angelesken Epoche des Künstlers kann man an diesem
Blatt aufs beste kennen lernen.

PI. 14 und 15 geben Studien aus Raffaels Florentiner
Zeit wieder, die eine den Entwurf zur »Madonna mit
dem Stieglitz«, doch in einer früheren Stufe der Entwicke-
lung der Komposition, in Einzelheiten noch der »Madonna
im Grünen« verwandt, die andere mit Skizzen für den
Christusknaben der »Belle Jardiniere«.

Soweit von den Italienern. Von den übrigen Tafeln
gehören zwei Albrecht Dürer (PI. 1 und 2). Besonders
die frühe Studie, weltliche Szenen — Turnieren, Schmausen,
ein Bad — in zahlreichen kleinen Figuren darstellend, wird
Gelegenheit zu stilkritischen Auseinandersetzungen geben.
Mit anderen Blättern aus Dürers früher Zeit verglichen,
erscheint die Federführung etwas unsicher. Die zweite
Studie ist das beste Exemplar der mehrfach vorkommenden
Zeichnung eines Grabreliefs, das mit zwei Grabplatten
Peter Vischers in Zusammenhang steht.

PI. 16 ist eine der schönsten Aktstudien von Rubens,
grandios wie Tintorettos Zeichnungen; PI. 17 und 18
zeigen van Dyck in besonders guter Qualität (die Figur
Christi aus der Berliner »Verspottung« und ein männliches
Porträt); PI. 19 vereinigt die farbige, herrliche Sepia-
zeichnung einer Farm von Rembrandt mit einer kleinen,
etwas kleinlichen Ansicht von Amsterdam von der Hand
seines Schülers Furnerius, und endlich PI. 20 ist ein Vieh-
stück von Potter in schwarzer und weißer Kreide.

Auch bei dieser Lieferung kann man_der Qualität der
Reproduktion nur höchstes Lob spenden. Sie ermöglicht
es, jede stilkritische Untersuchung mit diesen Blättern vor-
zunehmen, o. Gr.
 
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