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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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nommen hier — ebensowenig, wie in der späteren Kunst
— Ikonographie und Formengeschichte absolut trennen
können. Denn das Gegenständliche, die Typen, haben zwar
als solche ihre besondere Geschichte, ebenso wie die
literarischen Texte; aber niemand wird das Verhältnis der
Form zum Inhalt in einem Kunstwerk verstehen, wenn
er nicht den »Inhalt« verstanden hat, und oft wird man sich
sogar sagen, daß das, was man als Inhalt und Gegenstand
der Kunst bezeichnet und zunächst der Form — als dem
spezifisch künstlerischen — gegenüberstellt, in vieler Hinsicht
gar nichts anderes ist als ein Produkt gerade des — Formen-
gefühls der betreffenden Epoche. Deshalb ist jede gute
ikonographische Untersuchung ein unentbehrlicher Beitrag
zu der Psychologie des künstlerischen Schaffens; aber hierin
liegen zugleich auch die Schranken der ikonographischen
Methode.

Eine der gründlichsten, exakten ikonographischen Unter-
suchungen bietet die vorliegende Arbeit J. A. Endres'. Eine
solche zu liefern, war Verfasser als vorzüglicher Kenner
und Forscher auf dem Gebiet der kirchlich-mittelalterlichen
Literatur und Philosophie besonders berufen. Und es darf
von vornherein gerühmt werden, daß Verfasser sich im
wesentlichen beschränkt auf das, was er vom Standpunkt
seiner Wissenschaft für die Frage beibringen kann, daß
er alle dilettantischen Übergriffe in das engere Gebiet der
kunstgeschichtlichen Forschung vermeidet, ohne die es sonst
selten abgeht, wenn sich die Wege anderer Gelehrter mit
denen des Kunsthistorikers kreuzen. Zudem verfügt Ver-
fasser über eine vertraute Kenntnis der lokalen Bedingungen,
der Ordensverhältnisse usw., die die Geschichte des Denk-
mals, das im Mittelpunkt seiner Untersuchung steht, be-
treffen.

Dieses Denkmal — der Skulpturenzyklus des Portals
der Schottenkirche in Regensburg— hat die ikonographische
Exegese schon oft beschäftigt. Denn so verworren das
Einzelne auch scheint, war es nicht schwer zu bemerken,
daß das Ganze nicht nur ein Spiel der künstlerischen Laune,
der Phantasie und Phantastik sein könne. Schon die bloße
Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Disposition in diesem
Zyklus mußte ja darauf führen, daß hier ein bestimmter
Sinn, eine bedeutungsvolle Absicht zugrunde liegt. Aber
es war ein weiter Schritt von den ersten Erklärungsversuchen
der romantischen Zeit, die hier eine Art Götterdämmerung
erblickten, bis zu der exakten Methodik, der Ad. Goldschmidt1)
in einer grundlegenden Arbeit diesen Zyklus unterwarf.
Stellt man die verschiedenen Erklärungsversuche zusammen,
so ist man überrascht, wie sich in der Beurteilung eines ein-
zelnen Denkmals die künstlerischen Gesinnungen des ver-
flossenen Jahrhunderts in ihrem Wandel widerspiegeln.

Die Ausführungen Endres' gehen zunächst nicht von
den Portalskulpturen aus, sondern von einer literarhisto-
rischen Untersuchung über Honorius Augustodunensis, spe-
ziell über dessen Kommentar zum hohen Liede. Von
speziellem kunstgeschichtlichen Interesse ist hierbei der
Nachweis eines eigenartigen Illustrationszyklus, der in an-
nähernd gleicher Redaktion in mehreren Handschriften dieses
Traktates aus dem 12. Jahrhundert erhalten ist. Für den
Kenner romanischer Malerei ist es auf den ersten Blick er-
sichtlich, daß dieser Zyklus der bayrischen Schule angehört,
deren Stil in dieser Zeit durch die beiden Zentren Salz-
burg und Regensburg bestimmt wird. Dieser stilistische
Befund gibt die beste Bestätigung für die Schlüsse, die Endres
durch scharfsinnige Beobachtungen aus der Untersuchung
der Texte zieht. Denn aus diesen ergibt sich nicht nur
eine allgemeine Beziehung des Honorius Augustodunensis

1) Der Albanipsalter in Hildesheim und seine Bezie-
hungen zur symbolischen Kirchenskulptur. Berlin 1895.

zu Süddeutschland und zur Kongregation der Schotten-
mönche, sondern es gelingt dem Verfasser für zwei Schriften
des Honorius Augustodunensis die Addressaten in der
Person zweier Äbte gerade des Regensburger Schotten-
klosters mit größter Wahrscheinlichkeit festzustellen: Für
den Psalterkommentar den Abt Christian, für den Kommen-
tar zum hohen Liede dessen Nachfolger Gregor. Dieser
letztere ist nun aber zugleich der Erbauer der Regens-
burger Schottenkirche St. Jakob mit jenen dunklen Bild-
werken. Diese Beziehungen legen es nahe, nun auch in
den Skulpturen Gedanken aus dem hohen Liede zu suchen,
und zwar erklärt Verfasser den ganzen Zyklus aus der
theologischen Auffassung, in der das romanische Mittelalter
die alttestamentarische Dichtung auslegt: Vorstellungen
aus dem hohen Liede spielen ja gerade in der Ikonographie
des 12. Jahrhunderts, dem die Schottenkirche angehört, eine
große Rolle. Und in der Tat: die Hauptfiguren links und
rechts wurden bereits von Goldschmidt als sponsus und
regina im Sinne des hohen Liedes aufgefaßt, und jener
Mönch im Innern, mit dem Schlüssel und dem mächtigen
Torriegel in beiden Händen kann nicht ansprechender
erklärt werden, als durch die Worte Cant. Cant. V, 6:
pessulum ostii mei aperui dilecto meo. Entsprechend
werden nun auch die übrigen, weniger klaren und zum
Teil auch untergeordneten Darstellungen des Portals von
Endres auf das hohe Lied, so wie jene Zeit es verstand,
bezogen und gedeutet.

Bekanntlich hat dagegen Goldschmidt in seinem Albani-
psalter den Skulpturenzyklus aus bestimmten Vorstellungen
erklärt, die das Mittelalter aus dem Psalter entnahm, und
man wird von dem Kritiker erwarten, daß er zwischen
beiden Ansichten entscheidet. Beide Erklärungsversuche
sind exakt durchgeführt und ergeben einen geschlossenen
Gedankenkreis; dazu kommt bei der Auffassung Endres'
als besonderer Vorzug, daß sie von zwei entscheidenden
Hauptfiguren ausgeht — sponsus und regina —, und daß
sie die speziellere ist. Trotzdem soll hier nicht entschieden
werden, wie weit ihm bis in die Details zu folgen ist.
Nicht um die Schwierigkeiten zu umgehen, sondern weil
eine solche Abrechnung bis an die Wurzeln des künst-
lerischen Denkens und Empfindens im Mittelalter führen
müßte. Denn es findet hierin seine Ursache, wenn beide
Erklärungen, so verschieden sie sind, in den letzten
Grundgedanken des Programms sich doch berühren. Nach
Goldschmidt ist es die Errettung aus den Gefahren, die
Erlösung von dem Bösen, die die Kirche bringt; nach
Endres die Erlösung durch die Vereinigung mit Gott.
Auch werden trotz des verschiedenen Ausgangspunktes
bestimmte Figurengruppen von beiden Erklärern identisch
gedeutet; andere Teile wieder, wie des Tympanon, sind
ohne weiteres aus der laufenden Typenentwickelung ab-
zuleiten, so daß zum mindesten ihre Erfindung nicht aus
dem angegebenen literarisch-theologischen Zusammenhang
erklärt zu werden braucht. Merkwürdig auch, daß, obwohl
hier Ideen aus dem Hohen Liede zur Darstellung gebracht sind,
eine Beziehung zu den bildlichen Darstellungen — und auch
zu dem speziellen Gedankengang — gerade des Kommen-
tars, der in Beziehung zu Regensburg, zu den Schotten,
zum Erbauer der Kirche entstanden ist, nicht vorliegt.
Dies ist weniger als Einwand gemeint, sondern als be-
zeichnend für das ganze Problem. Denn wenn wir auch
Exaktheit erstreben, so ist doch weder die den Stoff
bildende Auslegungsweise des Mittelalters, noch die künst-
lerische Formensprache jener Zeit in diesem unserem Sinne
exakt. So sind die Grundgedanken nicht auf dieses oder
jenes Werk beschränkt, sondern sie entsprechen dem
Denken und Empfinden der Zeit, sie treten nicht nur in
der Literatur und Theologie, sondern auch in der Lithurgie
 
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