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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 18. 10. März

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

===== LITE RAT U

L'Exposition des Primitifs Fran^ais, par Georges La-
fenestre, Membre de PInstitut. Paris, Oazette des Beaux-
Kr% 1904.

Dieses Buch des Leiters der Louvregalerie, aus Auf-
sätzen der Oazette des Beaux-Arts hervorgewachsen, führt
in lebhafter und eingehender Schilderung und in zahl-
reichen Abbildungen das meiste und wichtigste vor von
dem, was an französischer Malerei etwa der Jahre 1350
bis 1550 erhalten ist. Den Anlaß gab, wie schon der
Titel sagt, jene denkwürdige Ausstellung, die im vorigen
Jahre im Pavillon de Marsan des Louvre abgehalten wurde,
doch sind auch einzelne Stücke, die dort nicht erscheinen
konnten, vor allem die Kostbarkeiten des Musee Conde in
Chantilly, mit herangezogen.

Durchblättert man die Bilder des Buches, die von
jenem brutal lebenswahren etwa 1360 entstandenen Profil-
porträt des Königs Johann II. (Paris, Bibliotheque Nationale)
bis zu den von zartester Distinktion überhauchten Zeich-
nungen Francois Clouets führen, in denen Männer und
Frauen vom Hofe Karls IX. und Heinrichs IV. lebendig
bleiben (Paris, Cabinet des Estampes), so wird man von
neuem an fast all diesen Stücken die hohe technische
Qualität, die Klarheit und Eindringlichkeit des Ausdrucks,
das untrügliche Raum- und Zweckgefühl und besonders
die feine Geistigkeit der letztaufgesetzten Akzente be-
wundern — Eigenschaften, die man wohl als im besten
Sinne französisch ansprechen kann. Auf der anderen Seite
wird man freilich mit Staunen gewahren, wie wirr die Fülle
der sich kreuzenden Einflüsse des Auslandes erscheint und
wie wenig selbst unter den Erzeugnissen eines und des-
selben Landstrichs, ja bisweilen eines und desselben Künst-
lers eine klare, zusammenhängende Entwickelungslinie zu
erkennen ist.

Wie gering ist z. B. die französische Nachfolge jener
starken Kolonie flandrischer und holländischer Künstler,
die zu Anfang des 15. Jahrhunderts im Dienste des fran-
zösischen Königshauses, besonders aber auch in dem der
burgundischen Herzöge arbeitete! Die drei Brüder van
Limburg schmücken seit 1410 ein Stundenbuch für den
Herzog von Berry, jedes Blatt ist voll neuester Entdeckungen
in seelischem Ausdruck, Körperbeobachtung, zartem und
richtigem Sehen der landschaftlichen Dinge: Anordnung
und Motive dieser Miniaturen kehren in dem ein Jahr-
hundert später ganz von Niederländern ausgemalten Breviario
Qrimani wieder, aber die Buchmalereien des 1482 ver-
storbenen Jehan Fouquet von Tours gehören einer ganz
anderen Welt an. Mit Recht gilt als eine der schönsten
Arbeiten jener »flandrisch-französischen« Gruppe das dem
burgundischen Hofmaler Jan Malouel (Maelwel) zuge-
schriebene Rundbild im Louvre, der tote Christus von
Gottvater und Maria gehalten, von klagenden Engeln um-

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geben: weder den Rausch der schwellenden Wellenlinien
in der Zeichnung, noch den zarten Lyrismus in der Stimmung
dieser Bilder finden wir aber bei den nächsten Generationen
der französischen Maler.

Das »Ereignis« der Ausstellung war wohl die etwa
1470 anzusetzende Pietä des Hospizes von Villeneuve-
les-Avignon, für die Lafenestre mit Vorsicht den bisher
nur urkundlich bekannten Namen »Jean Changenet aus
Langres« in Vorschlag bringt. Ich stehe nicht an, diese
scharfkantig und breit, mit verblüffender Vernachlässigung
des Details auf Goldgrund hingesetzte Komposition über
Rogers berühmte Kreuzabnahme zu stellen. Welche Ge-
walt in dem wie vom Blitz getroffen den Arm herab-
schnellenden Christus, dessen dunkelumhaartes Haupt
sich doch, schießende Strahlen aussendend, halb erhebt,
in den zu feierlicher Pyramide aufgerichteten Köpfen
der drei Leidtragenden, welche kirchlich sichere Ruhe in
dem unverdrossen anbetenden, bäurisch-kräftigen Priester!
Nur Mathes Grünewalds Kolmarer Werke können neben
solcher Macht bestehen. —■ Aber kein einziges Bild aus
der gleichen Gegend führt zu diesem Werke hin oder von
ihm aus weiter. Die 1453—1454 gemalte Krönung Maria
von Enguerrand Charonton, an dem gleichen Orte bewahrt,
ist eine überladene, in tausend Einzelheiten zerflatternde
Arbeit, etwa nach Art der Himmelsglorien Fra Angelicos
aufgebaut, mit einer chinesisch lächelnden, schmalfingerigen
Hauptgestalt, freilich auch mit einem erstaunlich nüchtern
und sachlich gesehenen Landschaftsstreifen am Boden.
Einer wieder ganz anderen Richtung gehört Nicolas Fro-
ment aus Uzes an. In seiner 1461 datierten Erweckung
des Lazarus gibt er mit großem Fleiß grelle Farben,
statistenhaft karge und dabei verrenkte Gebärden, fünfzehn
Jahre später zeigt sein Triptychon »Der brennende Dorn-
busch« (Kathedrale von Aix-en-Provence) nicht eine Ent-
wickelung, nein eine völlige Verwandlung des Künstlers.
Ein angenehmer braunrot-grünlicher Ton liegt über dem
Ganzen. Der die Schuhe anziehende Prophet und der ver-
kündende Engel sind stark und würdig bewegt, alle Linien
aufs trefflichste gegeneinander abgewogen, die Tiere der
Herde ausgezeichnet beobachtet. — Neben alledem finden
wir in den Gemälden des südlichen Frankreichs auch starke
Einwirkungen einzelner holländischer Meister, Züge, auf
die zum Teil bereits O. Hulin (in einer bei H. Floury in
Paris erschienenen Broschüre voll sicherster Logik des
Sehens) und Karl Voll (in zwei Aufsätzen der Beilage zur
»Münchener Allgemeinen Zeitung«) hingewiesen haben.
Das Verkündigungsbild der Magdalenenkirche in Aix hat
in der Malerei der Kirche und der Gestalten manches,
was an den Haarlemer Ouwater erinnert, sowohl Gebärde
und Faltenwurf der lebenden Menschen, wie auch die nach-
gebildeten Pfeilerstatuen, verraten außerdem deutlich die
 
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