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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Schleinitz, Otto von: Die Whistler-Ausstellung in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0186

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Die Whistler-Ausstellung in London

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ein von der Lebewelt viel besuchtes Vergnügungs-
lokal, das jedoch schon seit mehr als zwanzig Jahren
einging und auf dessen Grund und Boden jetzt
Häuser und lange Straßenzüge entstanden sind. In
die betreffende Kategorie gehört auch noch »Nocturne
in Green and Gold«, the falling Rocket« (No. 62).
Im Geiste Whistlers, das heißt um zu seiner eigenen
Unterhaltung das Publikum durch einen Scherz irre
zu führen, findet sich im Katalog die Bemerkung
»Dies Bild wurde im Prozeß ausgestellt«. Hierbei
denkt jedermann natürlich an das, hier aber nicht
befindliche Original »The falling Rocket«, welches
ursprünglich den Prozeß zwischen Whistler und
Ruskin hervorrief und mit dem richterlichen Urteil
von einem farthing Schadenersatz für ersteren endete.
Ruskin behauptete bekanntlich, mit diesem Bilde habe
der Künstler dem Publikum einen Farbentopf ins
Gesicht geworfen!

Unter den ausgestellten »Marinen« befinden sich
einige so eigenartige und gänzlich von seinem bis-
herigen Stile abweichende Schöpfungen, daß man
kaum glauben möchte, Whistler sei ihr Urheber.
Hierher gehören vor allem »Küste der Bretagne«
und noch erheblich mehr, »Die blaue Welle«, ein
Gemälde, das wahrscheinlich Courbets Einfluß seiner
Entstehung verdankt. Mit letzterem verbrachte er
nämlich den damaligen Sommer zusammen in Frank-
reich, so daß die obige Annahme wohl fast zur Ge-
wißheit wird.

Zu den Porträts übergehend, nenne ich zunächst
»The white Girl«, welches den Schmetterling als Sig-
natur des Künstlers und neben seiner Unterschrift
außerdem noch den seltsamen Vermerk aufweist
»2 Lindsay House Chelsea«, woselbst Whistler lange
Jahre hindurch sein Heim aufgeschlagen hatte. Dies
Bildnis wurde 1863 im Verein mit Manets »Le Bain«
im Salon des Refuses ausgestellt. Wenn auch einer-
seits das Gesicht nicht das gelungenste in dem
Werke darstellt, so ist doch andererseits der Entwurf
ein meisterhafter, die Hände sind vorzüglich model-
liert und die Nunancierung des Kolorits auffallend
schön. Auch in der Pariser Ausstellung, in der »The
white Girl« in einem obskuren Durchgang der ameri-
kanischen Abteilung hing, wurde das Werk kaum
beachtet. Nur Zola und besonders Chesneau erklärte
aber, daß Whistler in der ganzen Abteilung der
einzige Maler mit ausgesprochener Persönlichkeit sei.
Es wird allgemein bedauert, daß die in den Ab-
messungen kleinere, spätere Version »The little white
Girl« nicht zum Vergleich auf der Ausstellung vor-
handen ist, dem Sachverständige den Vorzug geben.

Einigermaßen ergötzlich ist der Umstand, daß
diese beiden Porträts sowohl vom Publikum wie
auch in der Tagespresse Londons unausgesetzt mit
der »Symphony in White, Nr. 3« verwechselt werden.
Dies von E. Davis der Ausstellung gesandte, 1867
angefertigte Gruppenbild zweier junger Mädchen in
weißem Anzüge, gab die Veranlassung zu den Diffe-
renzen mit Hamerton. Das nächste Jahr, 1868, bildet
sowohl für Whistler wie für Holman Hunt einen
wichtigen Merkstein in ihrer Künstlerlaufbahn, da

beide als Kandidaten für die Akademie, indessen ohne
Erfolg auftraten. Letzterer zog seine Kandidatur noch
rechtzeitig zurück und wurde an seinerStelleOrchardson
gewählt. Wenn man in kühler Ruhe die Zahl all
der abgewiesenen und von der königlichen Akademie
abgelehnten großen Künstler überblickt, so kann man
nicht umhin einzugestehen, daß wie die Engländer
sagen »something wrong« in der Organisation dieses
Instituts sein muß!

Whistlers »Miß Alexander« gilt als ein zu augen-
scheinlich gewollter Velasquez, allein dies vorzüglich
ausgeführte Porträt ist für die jüngere Malergeneration,
namentlich für die Schotten eine Art von Vorbild,
ein Typus geworden, um ein junges Mädchen in
ganzer Figur darzustellen.

Nicht zu übergehende Gemälde auf der Ausstel-
lung sind ferner: »The little blue Bonnet«, »Theodor
Duret«, der Kunstkritiker, der Whistler zuerst in
Frankreich anerkannte, »Dame in brauner Pelzjacke«;
das nach zahlreichen Sitzungen zustande gekommene
Porträt Sarasates in ganzer Figur, geliehen von der
»Carnegie-Kunstgalerie« in Pittsburg, »The Master
Smith of Lyme Regis«, »The little Rose of Lyme
Regis«, die beiden letzteren dem Museum in Boston
gehörig und mehrere Selbstporträts des Künstlers.
Vergleicht man das frühzeitig entstandene Bildnis der
»Mere Gerard« mit den außerordentlich guten Porträts
von »L. A. Jonides«, »Mrs. Huth«, »Rose et Vert,
L'iris«, Miß Kinsella darstellend, und Sir Henry Irving
als Philipp IV. von Spanien, im Stile von Velasquez
gehalten, so kann man nicht umhin, die ungewöhn-
liche Mannigfaltigkeit des Künstlers zu bewundern,
der uns in den genannten Werken zwar Anklänge
an die besten Schulen der früheren Jahrhunderte
gibt, dann aber wieder als der Modernste der Mo-
dernen erscheint. Wenn die »Nocturnes« auch nicht
jedermanns Liebhaberei bilden, so muß man doch
objektiv anerkennen, daß in solcher eigenartigen
Auffassung bisher niemand dieses Genre Whistlers
nachzuahmen vermochte. Ich schließe die Gemälde-
reihe durch Erwähnung des »Piano Picture«, in
welchem Lady Seymour Haden nebst ihrer Tochter
Annie, der späteren Mrs. Charles Thynne, am Klavier
dargestellt sind und des Porträts von Mr. F. R. Leyland
in ganzer Figur, eins der ausgezeichnetsten Werke
des Künstlers, das er überhaupt geschaffen hat. Der
erstere ist der bekannte große Schiffsreeder, für den
Whistler das nunmehr in Amerika befindliche Pfauen-
gemach herstellte. Jenes Bild wurde von Mrs. Val
Prinsep, geborenen Leyland, zur Ausstellung gesandt.
Zu bedauern bleibt es, daß auf der Ausstellung be-
sonders solche Bilder wie die »Princesse du Pays de
Porcelaine«, »Lady Archibald Campbell«, »Le petit
Cardinal« und »Le brodequin jaune« trotz der Be-
mühungen des Direktoriums nicht zur Besichtigung
geboten werden konnten. Ebenso war es unmöglich,
das vorzügliche Porträt »Miß Rosa Corder« zur
Stelle zu schaffen.

Eine so vollständige, nach dem Katalog von
Wedmore geordnete Sammlung von Radierungen
Whistlers ist bisher noch niemals in London gesehen
 
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