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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Hermanin, Federico: Die Ausstellung altabruzzesischer Kunst in Chieti
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0246

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475

Die Ausstellung altabruzzesischer Kunst in Chieti

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DIE AUSSTELLUNG ALTABRUZZESISCHER
KUNST IN CHIETI

In diesen Tagen ist in Chieti die Ausstellung alt-
abruzzesischer Kunst eröffnet worden und man kann
wirklich sagen, daß sie zu dem Besten, was uns von
derartigen Unternehmungen geboten worden ist, ge-
hört und daß ihr Besuch für den Laien sehr inter-
essant, für den Kunstgelehrten, der sich mit italieni-
scher Kunstgeschichte beschäftigt, fast unentbehrlich
ist. Eine Menge Arbeiten, besonders aus dem kunst-
gewerblichen Felde, ist da aus allen abruzzesischen
Provinzen zusammengekommen, und zu einem großen
Bilde vereinigt verklären sich die Sachen gegenseitig
und viele verworrene, noch ungelöste Probleme lösen
sich von selbst, und manche bis jetzt halb sagenhafte
Künstlerfigur, z. B. die des Nicola d'Andrea da
Ouardiagrele, des großen Goldschmiedes des 15. Jahr-
hunderts, tritt uns in ihrer ginzen Größe entgegen,
klar und deutlich gezeichnet. Professor Giovanni
Tesorone, Direktor der Kunstgewerbeschule in Neapel
und Ordner der Ausstellung, hat die Sachen so auf-
stellen lassen, daß sie chronologisch einander folgen
und die verschiedenen Abteilungen: Holzskulpturen,
Eisensachen, Teppiche, Majoliken, Goldschmiedekunst,
Stickereien und Spitzen geben einem jedesmal einen
einheitlichen Überblick über den besonderen Kunst-
zweig, so daß man die Entwickelung einer Technik
von ihrem ersten Aufkommen bis zur Blüte und oft
bis zum Verfall verfolgen kann. Die äußeren Ein-
flüsse, die verschiedenen Verzweigungen, Schulen und
Meister treten aus dem Bild hervor und vervollstän-
digen sich gegenseitig. Aus den kleinsten Bergstädt-
chen der drei Provinzen Aquila, Teramo und Chieti,
aus einsamen Kirchen sind Prozessionskreuze, Mon-
stranzen, alte Kirchenteppiche, Holzstatuen geschickt
worden. Einige Dome, wie der von Sulmona und
der von Atri haben alle ihre Kostbarkeiten geschickt.
Die interessanteste und wichtigste Abteilung ist die
der Goldschmiedesachen, weil man dort endlich eine
Richtschnur findet durch die bis jetzt ungelösten
Fragen. Wenn man die verdienstvolle, aber unklare,
lange nicht ausreichende Skizze Leopold Gmelins, die
genauen Detailarbeiten Piccirillis und Balzamos durch-
sieht, so kann man wohl sagen, daß bis jetzt die
Geschichte dieses herrlichen abruzzesischen Kunst-
zweiges überhaupt nicht existierte, denn es war den
Forschern leider nicht gelungen, die Persönlichkeiten
der Meister, sowie auch die einzelnen Schulen von-
einander zu scheiden. Die Abwägung der Schrift-
quellen und ihrer Beziehungen zu den Monumenten
war noch nicht da, so daß die unhaltbarsten Phanta-
sien freien Lauf haben konnten und jeder Forscher
seinen persönlichen Bevorzugungen nachgehend sich
zu den kühnsten Urteilen hinreißen lassen konnte.

Die ältesten Nachrichten sprechen von Beziehungen
der Äbte von Montecassino, wo die byzantinische
Kunst eine feste Burg gefunden hatte, zu dem abruzze-
sischen Kunstgewerbe, und somit wurde die ganze
Goldschmiedekunst bis zum 13. Jahrhundert von by-
zantinischen Meistern hergeleitet. Die Schriftquellen,

aus welchen man entnahm, daß zu Zeiten Karls I.
und Karls II. von Anjou französische Künstler in
Neapel arbeiteten, wie Stephanus Bonus von Auxerre,
Stephanus Godefroy, Wilhelm von Verdelay und
Milectus von Auxerre, brachte einige Kunstgelehrte
auf den Gedanken, daß die spätmittelalterliche und
Renaissance-Goldschmiedekunst in den Abruzzen fran-
zösischen Ursprungs und vieles überhaupt nur ein-
gewandertes Gut sei. Charakteristisch für diese For-
schungen sind die Debatten, ob der Goldschmied
Giovanni da Santomero, der in der zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts an den Hof Johannas II., Königin
von Neapel, berufen worden war, ein Franzose aus
St. Omer in Frankreich oder ein Abruzzeser aus dem
Orte Sant' Omero in der Provinz Teramo gewesen
sei. Andere führten den Maestro Giovanni Siri aus
Florenz an, der dem Giovanni da Sant' Omero in dem
Hofdienste folgte, den Deutschen Johann von Cleve,
für den Johanna II. 1428 ein Reskript erließ, andere
die Amalfitaner Goldschmiede als Vermittler orienta-
lischer Einflüsse. Die Entdeckung des Sulmoner
Stempels Sul, der sich auf so vielen Goldschmiede-
sachen vom 13. Jahrhundert an findet, warf das erste
Licht in das Dunkel der verworrenen Frage und eine
große uralle Sulmoner Schule ward aufgestellt, Sul-
mona wurde überhaupt zum Mittelpunkt der ganzen
abruzzesischen Goldschmiedekunst gemacht, und natür-
lich war es den eifrigen Lokalforschern ein leichtes,
ikonographische und stilistische Gründe zur Bekräfti-
gung dieses Urteils zu finden. Nun hat aber die
Ausstellung das keineswegs bestätigt: die Goldschmiede-
schulen der anderen abruzzesischen Städte sind mit
ihren besonderen Charakteristiken aufgetreten und
man sieht jetzt deutlich, daß das ganze Land an der
Kunst teilgenommen hat. Das fromme, phantasie-
volle Bergvolk, in wilden, weltabgelegenen Gegenden
lebend, hatte das Bedürfnis, die vielen Gotteshäuser,
die kleinen Einsiedlerkapellen, die heiligen Berghöhlen,
wohin sie alljährlich wallfahrten, zu schmücken, und
so bildeten sich in den verschiedenen Tälern ver-
schiedene Schulen und die ältesten Monumente, die
wir von dieser Tätigkeit besitzen, zeigen uns deutlich,
daß die ersten Goldschmiede Einheimische waren,
ganz einfache Menschen aus dem Volk, welche fremde
Elemente benutzend, die sie wohl auf importiertem
Kirchengeräte gesehen hatten, zwischen dem 12. und
13. Jahrhundert neue Formen daraus entwickelten und
einen neuen Kunstzweig, dem im 15. und 16. Jahr-
hundert die herrlichsten Kunstblüten entsproßten. Die
ältesten Produkte dieser allerersten Volkskunstschulen
sind in der gleichen Sektion mit den Sulmoner Sachen
ausgestellt und das haben die Ordner absichtlich ge-
tan, um den Forschern den Vergleich mit den wirk-
lichen Produkten der späteren Schule von Sulmona
zu erleichtern und weil die Meinungen in diesem
Punkt gerade so sehr geteilt sind. Diese ältesten
Stücke sind einfache, nicht sehr große Prozessions-
kreuze aus getriebenen vergoldeten Kupfer und zeigen
in ihrer rohen urwüchsigen Form alle einen orna-
mentalen Charakter, der nachher typisch wird für die
späteren und vollkommeneren Produkte. Auf der
 
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