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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Die Kunstausstellung im Palazzo delle Belle Arti in Rom
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Springer, Jaro: Das Baseler Holzschnittalphabet von 1464 in einer gleichzeitigen französischen Miniaturkopie
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Wolf, August: Neues aus Venedig, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0259

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501

Das Baseler Holzschnittalphabet von 1464 — Neues aus Venedig

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ihren poetischen Reiz wiedergibt und der voriges Jahr
eine wundervolle Tiberansicht brachte, hat drei Bilder
eingeschickt, in denen man wohl den feinen poetischen
Gedanken fühlt, die aber leider zu künstlich aufgebaut
sind. Ernst Noether stellt eine kleine Landschafts-
studie aus, Knüpfer einige Seestücke.

Eine Serie von guten Radierungen des neuerdings
verstorbenen Vanni ist das einzige, was von gra-
phischen Künsten ausgestellt ist. Immer wieder fällt
einem diese Interesselosigkeit in Italien für diesen so
lebendigen Kunstzweig auf.

Die Skulpturen sind nicht zahlreich und auch
nicht bedeutend. Einiges ist aber sehr gut und viel-
versprechend, besonders von dem, was jüngere Künstler
ausgestellt haben. Arturo Dazzi, Stipendiat der römi-
schen Kunstakademie, ist in den apuanischen Bergen
geboren, wo der carrarische Statuenmarmor gewonnen
wird, und dem jungen Bildhauer hat wohl die hohe Phan-
tasie Michelangelos vorgeschwebt, welcher, als er lange in
den Bergwerken verweilte, eines Tages gesagt haben soll,
es müsse doch herrlich sein, dem Marmorberg selbst
die Form einer Göttin zu geben. Arturo Dazzi stellt
einen Entwurf aus, in dem sich der Gipfel des Berges
zu einem großartigen Frauenkopf auswächst, welcher
den Blick auf die mühsam bergabrollenden, mit Mar-
morblöcken bepackten Ochsenkarren senkt. Der Ge-
danke ist großartig; frei und mutig die Modellierung.
Giovanni Prini, der noch zu den Jungen gehört,
hat eine Menge kleiner und großer Gruppen und
Statuen ausgestellt, die einem eine klare Idee seines
kräftigen Talentes geben. Es gefällt ihm, seiner Kunst
einen inneren, traurigen Inhalt zu geben, oft auch
wenn er seine reizenden Kindergestalten mit so viel
Schwung und Grazie modelliert. Zwei Kinder stehen
auf einer eben gemähten Wiese und schauen ernst
auf die große Sense, welche auf den eben getöteten
Blumen und Gräsern liegt. Gestalten verarmter
Künstler, abgehärmte Mütter, oft sehr natürlich dar-
gestellt, aber oft auch zu sehr verzerrt; Menschen,
über die aller Schmerz gekommen ist und jedes Elend.
Schade, daß dem interessanten Künstler oft ein rich-
tiges Verständnis für die wirklich schöne Form fehlt
und er so oft ins Fratzenhafte fällt. Gute Sachen
stellen auch Buemi, Nicolini, Jughilleri, Seeboek und
Quattrini aus. Cambellotti hat eine Serie guter kunst-
gewerblicher Gegenstände gebracht und Frau Lancelot-
Croce einige silberne Vasen mit goldenen Ornamenten,
bei denen die französische leichte Eleganz des
Schmuckes zu den klassischen Formen der Gefäße
nicht stimmen will. FED. H,

DAS BASELER HOLZSCHNITTALPHABET VON
1464 IN EINER GLEICHZEITIGEN FRANZÖSI-
SCHEN MINIATURKOPIE

Im Bulletin du Bibliophile, Heft 7 vom 15. Juli 1905,
wird eine Seite auf einem Livre d'Heures der Pariser
Bibliothek abgebildet, die, verteilt auf vier Zeilen, den
Anfang des englischen Grußes AVE MARIA QRACIA
PLaE enthält. Die Tafel ist Beigabe zu dem Artikel von
Henry Martin über die Miniaturisten auf der Ausstellung
der Primitifs Francais 1904. Die einzelnen Buchstaben der

Inschrift gehören einem sogenannten figurierten Alphabet
an, grotesken Zusammensetzungen von Menschen- und
Tierleibern. Der Verfasser bewundert (S. 335) die phan-
tastische Kunst der Erfindung, erkennt aber nicht den Zu-
sammenhang mit bekannten Werken der deutschen Graphik.
Es sind Kopien nach Kupferstichen des Meisters E. S. und
dem Holzschnittalphabet von 1464 des Baseler Museums.
Vom gestochenen Alphabet des Meisters E. S. hat der Minia-
tor nur das A benutzt, dieses zweimal in Ave und in Maria
das zweite A. Alle übrigen Buchstaben sind dem Holzschnitt-
alphabet von 1464 entnommen. Dieses Alphabet ist wahr-
scheinlich niederländischen Ursprungs und nur in einem
Exemplar in Basel erhalten1). Selbständige Erfindung
gibt der französiche Miniator nur in dem zweiten A des
Wortes Gracia. Links eine Frau, von den Knien an aus
einem Blumenkelch herauswachsend, rechts eine Frau auf
dem Pferd, von vorn gesehen, beide Frauen halten zwi-
schen sich ein Tuch, das den Querbalken des A bildet.
Der Buchstabe ist also ganz nach Analogie des A vom
Holzschnittalphabet erfunden.

Die Handschrift, in dem sich diese interessante Kopie
findet, ist im Besitz der Pariser Bibliothek (ms. lat 1173,
das Blatt mit den figurierten Buchstaben ist Fol. 52). Auf
der Pariser Ausstellung der Primitifs Francais war es unter
Nr. 138 als »Livre d'Heures de Jean le Bon Comte d'Angou-
leme, ou de son fils, Charles« ausgestellt. Die Handschrift
bekam nach dem vorkommenden Wappen der Grafen von
Angouleme den Namen. Jean starb 1467, Charles 1496.
Im Katalog der Ausstellung, 2. Teil, S. 47, Nr. 138, ist be-
merkt, daß sich auf Fol. 52 verso, das muß also die
Rückseite der im Bulletin du Bibliophile publizierten
Miniatur sein, eine Ostertafel findet, die mit dem Jahr
1464 beginnt. Die Herstellung des Manuskriptes ist dem-
nach in dieses Jahr, oder doch in die nächste Zeit nachher,
zu setzen. Daß das vom Jahre 1464 datierte Holzschnitt-
alphabet schon im gleichen Jahr in Frankreich nachgeahmt
wurde, gibt der Kopie besondere Bedeutung.

JARO SPRINGER.

NEUES AUS VENEDIG
Viel hätte nicht gefehlt und die Fresken G. B. Tie-
polos im Palazzo Labia wären, von der Wand gelöst,
nach Paris gewandert. Dem Besitzer des Palastes,
einem Herrn Orefice, ist eine große Summe geboten
worden, und er war, trotzdem er dies jetzt in den
Zeitungen in Abrede stellt, nicht abgeneigt, die gebotenen
250000 Frs. anzunehmen. Dagegen ist es nur den ener-
gischen Vorstellungen des Galeriedirektors Cantalamessa
zu danken, wenn mit Hilfe der Regierung diesem Verluste,
für Venedig von nicht zu unterschätzender Bedeutung, vor-
gebeugt werden konnte. (Bekanntlich behandeln diese herr-
lichen Fresken die Geschichte des Antonius und der
Kleopatra.)

Angesichts dieses und anderer analoger Fälle wird
der im September in Venedig tagende internationale Kunst-
kongreß sich auch mit diesen Fragen zu beschäftigen haben.
Sollte es gelingen, die italienische Regierung zu bestimmten
energischen Maßnahmen zu treiben, solchen Spekulationen
vorzubeugen, so hat der Kongreß nicht umsonst getagt.

Architekt Manfredi, der bisher die Restaurierungs-
arbeiten an der Markuskirche leitete, hat sein Entlassungs-
gesuch eingereicht. Die Arbeiten in der Frarikirche, kurze
Zeit unterbrochen durch unmotivierte Einsprache der hie-
sigen Künstler, nehmen seit einiger Zeit wieder ihren
ruhigen Fortgang.

1) Vergl. meine gotischen Alphabete Tafel XIII—XVI
und Text Seite 3.
 
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