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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Seemann, Artur: Ein Anti-Böcklin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0268

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519

Ein Anti-Böcklin

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Wiederholung sei nach Bayern gelangt, der Fälscher
habe den Namen aufsetzen lassen und vielleicht die
Übermalung mit dem Tode veranlaßt, um die Iden-
tität mit dem Original aufzuheben.

Gegen diese Vermutung spricht jedoch ein wenig
das Unholbeinische der Auffassung des Dargestellten.
Es wäre merkwürdig, wenn Holbein hier der Heiter-
keit so viel Raum gelassen hätte. Das war seine Art
nicht. Läßt man seine Bildnisse in der Erinnerung
vorbeiziehen, so wird man finden, daß sie fast nie-
lächeln. Im Gegenteil, in den meisten Köpfen liegt
tiefer Ernst, höchstens Gleichmut; selbst auf den
Frauengesichtern keimt kaum der Schatten eines
Lächelns. (Wir sprechen von den Gemälden, nicht
von den Handzeichnungen.) Alle Dargestellten sehen
aus, als hätte man ihnen eben das Todesurteil vor-
gelesen, oder als wohnten sie einer Geschworenen-
sitzung bei. Man erkennt das lustige, kußfrohe Alt-
england in diesen Typen nicht wieder. Der Maler
hatte einen Adlerblick, dem nicht das Kleinste entging,
aber er sah seine Modelle mit dem Auge eines Staats-
anwalts. Das lag in Holbeins Natur. Seine Jugend
muß trübe genug gewesen sein; das hat schon Anton
Springer aus dem Lebenswerke des Meisters heraus-
gelesen. Der Holbeintisch in Zürich, das Lob der
Narrheit, der Totentanz, das Totenalphabet, die Ent-
würfe für Luzern und Basel, alles ist düster, voll
schneidender Ironie, voll Grausamkeit, voll Blut und
Leichen. Den toten Christus in Basel, das Bildnis
seiner Frau mit dem vergrämten Antlitz und den ver-
weinten Augen, alles kann man dafür herbeiziehen.

Und nun sehe man diesen Ausbund eines Schatz-
meisters an mit dem vergnügtesten Lächeln von der
Welt, das aus den kleinen Äuglein spricht, auf den
fetten Backen und den vollen, genäschigen Lippen
liegt. Wo Holbein Heiterkeit malt (Bauerntänze), ist
es nur ein ausgelassenes Springen, ein Taumel im
Rausch.

Wie dem nun auch sei, unzweifelhaft ist für den
aufmerksamen Betrachter des Münchener Bildes, daß
der Knochenmann eine spätere Zutat ist, und auf jedes
Bild Holbeins hätte er besser gepaßt, als zu dieser
Darstellung eines seelenvergnügten, genußfrohen Geld-
mannes. Die schreiende Dissonanz hat auch Meier-
Graefe gefühlt und er deduziert daran die Genialität
Holbeins, der absichtlich die grellen Gegensätze auf-
einander platzen lasse. »Woher kommt es nun,«
fährt er fort, »daß man bei dem sanfteren Böcklin
nicht das Unbehagen unterdrücken kann, während
der wilde Holbein zu den Lieblingen des Kunst-
freundes gehört.« Antwort: »Weil der Holbein phä-
nomenal gemalt ist, und der andere nicht.«

Wenn man nun bedenkt, daß der in das Bild
hineingezwängte Tod mit der kläglich gemalten
Sense (so etwas Erbärmliches hat Holbein nie ge-
macht!) ganz und gar nicht zu dem Bilde gehört hat,
so wird man Voll für voll nehmen dürfen, wenn er
sagt:

»Der besprochene Vergleich zwischen Holbein und
Böcklin hat noch ein ganz besonderes Interesse. Meier-
Oräfe gehört gewiß zu jenen, die sich zu einer vorurteils-

losen Auffassung der alten und neuen Kunst bekennen.
Ob ein Bild von Holbein oder von Böcklin gemalt sei,
gibt ihnen, wenn man ihren Worten glaubt, nicht den
Ausschlag bei der Beurteilung des Wertes. Sie behaupten
mit Recht, daß ein vollwertiges modernes Kunstwerk nicht
verliere, wenn man es mit einem erstklassigen alten Meister-
werk vergleiche. Aber ich fürchte doch sehr, daß wir es
hier nur mit einer allerdings sehr guten Theorie zu tun
haben, die in der Praxis nicht befolgt wird. Im gegebenen
Fall wenigstens handelt es sich um ein altes Gemälde, das
von Haus aus wohl nie sehr gut gewesen ist und das in
späterer Zeit sehr unglücklich umgearbeitet wurde. Aber
das Gemälde ist ein Porträt und soll von Holbein d. J.
stammen. Nun kommt die ewig zu beobachtende Be-
fangenheit und jene Art der Beurteilung, die nicht die
vorhandenen Tatsachen klar beobachtet, sondern mit Hilfe
von Vernunftsschlüssen — freilich unvernünftig genug —
den Wert des Kunstwerkes festzustellen sucht. Der Ge-
dankengang ist hier folgender: Das Bild ist nicht bezweifelt;
also echt. Ein echtes Porträt von Holbein d. J. muß immer
gut sein. Also ist das vorliegende Bild gut, womöglich
sehr gut und muß darum bewundert werden. Daran
knüpft sich der weitere Gedankengang: Holbein ist der
Urheber des Totentanzes, der glänzendsten Paraphrase
über den Tod, die der bildenden Kunst überhaupt gelungen
ist. Das Porträt enthält ein Skelett, das jedenfalls auch
von Holbein gemalt ist; denn es ist noch nie bezweifelt
worden. Das Skelett muß aber erstens gut gemalt und
außerdem erschütternd tiefsinnig sein. Indem dann beide
Gedankengänge sich verbinden, entsteht das Schlußresultat
der verschiedenen logischen Operationen: aus dem ent-
stellten Bildnis des Bryan Tuke, das möglicherweise nicht
von Holbein herrührt und niemals sehr bedeutend war,
wird ein Meisterwerk ersten Ranges, gegen das jedes
andere Porträt, auf dem ein Skelett oder Totenkopf vor-
kommt, einen schweren Stand hat. Ist dann gar die These
zu beweisen, das Böcklins Selbstbildnis mit dem fiedelnden
Tod ein schlechtes Bild ist, an dem man bei jedem neuen
Besuch neue Mängel entdecken wird, dann braucht das
Holbeinsche Bild nur resolut gelobt zu werden und der
Böcklin ist in Grund und Boden kritisiert.«

Diese ganze Parallele des Antiböcklinianers Meier-
Graefe hat eine verzweifelte Ähnlichkeit mit den ein-
gangs erwähnten archäologischen Erörterungen und
erweist sich, juristisch gesprochen, als ein Versuch
am untauglichen Objekt. Denn wozu das alles? Um
Hekuba! Um zu erweisen, daß Böcklin kein Maler
war! Gerade das Bildnis Böcklins mit dem geigen-
den Tod gehört zu denjenigen Werken des schwei-
zerischen Künstlers, die auf spätere Geschlechter noch
wirken werden trotz aller Kritik; ebenso wie Schillers
Werke sich erhalten trotz Otto Ludwigs Analyse, oder
wie Meyerbeer immer noch aufgeführt wird trotz des
wilden Gebelfers Richard Wagners. Gerade die Auf-
fassung Böcklins ist gegen die der alten Totentanz-
künstler um so viel fortgeschrittener, moderner, daß
sie unmittelbar bei den Zeitgenossen anspricht. In
jedes gebildeten Menschen Leben kommen Momente
der philosophischen Besinnung, wo er eine Sekunde
innehält und daran denkt, daß er nach jenem dunk-
len Durchgang hinstrebt, um dessen Mund die ganze
Hölle flammt; und alle Freuden, alles Sichtbare, Hör-
bare, Fühlbare werden einen Augenblick Phantom.
Ein solcher Augenblick war es, der dem Baseler
Maler das Bild eingab; es ist weniger geklügelt und
 
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