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Das Wetzlarer Skizzenbuch und der Giebel des Heidelberger Otto Heinrichsbaues
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artigkeit des Gegenstandes, die verschiedene Zeich-
nungsmanier und der Umstand, daß es allein unter
allen Darstellungen von architektonischen Werken mit
einer Beischrift versehen ist.
Was die Zeichnungsmanier des fraglichen Blattes,
braune Zeichnung, blaue Schatten, anlangt, so ist mir
diese aus jener frühen Zeit nicht bekannt; sie ist aber
um das Jahr 1690—1750 sehr üblich gewesen, was
durch zahlreiche Beispiele sich belegen läßt.
Wenn nun tatsächliche substantielle Anhaltspunkte
ganz zuverlässiger Art fehlen, um das fragliche Blatt
als eine Arbeit jüngerer Zeit zu erweisen, so ergibt
die eigentliche Untersuchung seines Inhaltes diesen
Schluß dagegen als einen ganz notwendigen bis zur
Gewißheit.
Es muß behauptet werden, daß der Zeichner des
fraglichen Blattes den Heidelberger Giebel nie ge-
sehen hat.
Die Zeichnung ist weiter nichts als eine Phantasie,
eine Vermutung späterer oder spätester Zeit, die man,
um sie als Dokument erscheinen zu lassen, in das
Skizzenbuch eines alten Zeichners von 1615—19 auf
ein leeres Blatt eingezeichnet und mit dem Monogramm
und der Jahreszahl der übrigen Blätter versehen hat.
Und zwar ist diese Zeichnung in Heidelberg an-
gefertigt.
Die Gründe für diese Behauptung sind folgende:
Die auf den Stichen von J. U. Kraus (1682) voll-
ständig und mit fast photographischer Treue dar-
gestellten kleinen Giebel des Otto Heinrichsbaues sind
inschriftlich erst 1669 errichtet, unter Karl Ludwig, als
man die großen Doppelgiebel wegen Baufälligkeit und
offenbar auch aus ästhetischen Gründen entfernte.
Die Schädlichkeit der ungeheuren Kehle des Daches
von 22 Metern Tiefe erzwang das an sich. Die Zer-
störung im Dachwerk war nach den Bauakten un-
geheuer.
In demselben Jahr errichtete man auf dem Frauen-
zimmerbau ebenfalls ganz gleichartige kleine Giebel-
aufbauten. Den gläsernen Saalbau überbaute man
damals wegen seiner Niedrigkeit mit einer hölzernen
Laube und brachte so die gesamte Hofarchitektur in
eine große Gleichmäßigkeit der Erscheinung, die all-
gemein gerühmt wurde und den Höhepunkt in der
baulichen Entwickelung des Schlosses bildete.
Die zwei Zwerchgiebel, die damals auf dem Otto
Heinrichsbau neu errichtet wurden, waren mutatis
mutandis getreue Nachbildungen derer von 1606 auf
dem Friedrichsbau; die auf dem Frauenzimmerbau ent-
sprechen ihnen genau, sind nur noch vereinfacht. Unten
zwei gegiebelte Doppelfenster, jonisch, eingefaßt von
Pilastern, dazwischen die Figurennische, oben ein glei-
ches Doppelfenster, korinthisch, links und rechts davon
Schnecken, ganz oben mit einer Figur gekrönter Giebel
mit Rundfenster. — Diese Komposition ist untrennbar
zusammengehörig, — genau wie die der Friedrichsbau-
giebel von 1606. Als diese letzteren errichtet wurden,
standen die großen Giebel auf dem Otto Heinrichs-
bau noch sechzig Jahre lang. — Nach deren Ver-
schwinden wurden 1669 die kleinen errichtet.
Folglich ist es unmöglich, daß die Fenster und
Pilaster dieser jüngeren Giebel (bei J. U. Kraus und
heute noch vorhanden), die nach dem Muster derer
von 1606 errichtet wurden, schon im Giebel von
1560 vorkommen konnten, wie es uns die Zeichnung
»von 1616« glauben machen will.
Die noch stehenden beträchtlichen Reste der
Zwerchgiebel bestätigen das aufs deutlichste; sie
stammen tatsächlich aus Karl Ludwigs Zeit und ent-
behren aller Steinmetzzeichen, die im 16. Jahrhundert
nie fehlten.
Die Einzelheiten der Giebelzeichnung »von 1616«
sind, soweit sie die gleichen sind, wie auf dem Kraus-
schen Stiche von 1682, genau nach diesem gebildet;
die Löwen, die Fenster mit den Giebeln; die seit-
lichen Voluten sind aus dem Barockstil von 1669 in
eine Art Renaissancelinie zurück geformt. Man kann
diese Interpretation genau verfolgen.
Der Stil der Giebelzeichnung ist keineswegs der
der Zeit um 1560. Vielmehr sind die seitlichen
Voluten ohne Ausnahme in der Zeichnung viel
moderner, willkürlich, unecht, im Charakter auch der
Zeit um 1616 nicht entsprechend. Die seitlichen
rechteckigen Fensterblenden sind erst in der Spätzeit
des 17. und im 18. Jahrhundert möglich.
Die Bekrönung durch zwei trompetenblasende
Knaben stammt von der inneren Türe des Friedrichs-
baues, die schon 1669 dorthin aus dem Otto Heinrichs-
bau versetzt wurden. Die beiden Knaben finden sich
dort ganz getreu ebenso vor, — in höchstem Relief,
aber — im Gegensinn, herumgedreht (!). Die frag-
liche Tür ist etwa 1560 entstanden.
Es ist eine Unmöglichkeit, daß diese selben Putten
nochmals als freie Figuren in Überlebensgröße auf
dem Giebel des Otto Heinrichsbaues gestanden haben
können. Aber es entbehrt selbst des Humors nicht,
daß, wo in Wirklichkeit sechs solche Putten notwen-
dig gewesen wären, »ausgerechnet« die zwei, die die
Giebelzeichnung erforderlich machte, nach den zwei
heute noch vorhandenen im Friedrichsbau kopiert
sind. Der sprechendste Beweis dafür, daß der Er-
finder der Giebelzeichnung in Heidelberg seine Motive
nahm, wie er sie fand. Um sie unkenntlich zu machen,
drehte er sie um.
Der Unausführbarkeit dieser Figuren mit ihren
Trompeten in Überlebensgröße als freie Statuen in
Stein sei nebenbei gedacht. Anzunehmen, sie könnten
in Bronze hergestellt gewesen sein, ist gegenüber dem
Steinfigurenschmuck der Fassade krasser Widersinn.
Man weise überhaupt eine einzige Bronzefigur als
Krönung eines Steingiebels in unserer Renaissance
nach.
Wenn nichts anderes, so beweisen also schon
diese zwei Putten die nachträgliche Erfindung des
Giebels unwidersprechlich.
Wo weitere Motive fehlen, wie sie bei J. U. Kraus
respektive heute noch im Schlosse zu finden sind,
versagt die Zeichnung völlig. Die eigentümliche
Bogen- und Füllungsarchitektur der oberen Stock-
werke ist die willkürlichste von der Welt, aber auch
der Zeit um 1560 absolut widersprechend.
Das Wetzlarer Skizzenbuch und der Giebel des Heidelberger Otto Heinrichsbaues
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artigkeit des Gegenstandes, die verschiedene Zeich-
nungsmanier und der Umstand, daß es allein unter
allen Darstellungen von architektonischen Werken mit
einer Beischrift versehen ist.
Was die Zeichnungsmanier des fraglichen Blattes,
braune Zeichnung, blaue Schatten, anlangt, so ist mir
diese aus jener frühen Zeit nicht bekannt; sie ist aber
um das Jahr 1690—1750 sehr üblich gewesen, was
durch zahlreiche Beispiele sich belegen läßt.
Wenn nun tatsächliche substantielle Anhaltspunkte
ganz zuverlässiger Art fehlen, um das fragliche Blatt
als eine Arbeit jüngerer Zeit zu erweisen, so ergibt
die eigentliche Untersuchung seines Inhaltes diesen
Schluß dagegen als einen ganz notwendigen bis zur
Gewißheit.
Es muß behauptet werden, daß der Zeichner des
fraglichen Blattes den Heidelberger Giebel nie ge-
sehen hat.
Die Zeichnung ist weiter nichts als eine Phantasie,
eine Vermutung späterer oder spätester Zeit, die man,
um sie als Dokument erscheinen zu lassen, in das
Skizzenbuch eines alten Zeichners von 1615—19 auf
ein leeres Blatt eingezeichnet und mit dem Monogramm
und der Jahreszahl der übrigen Blätter versehen hat.
Und zwar ist diese Zeichnung in Heidelberg an-
gefertigt.
Die Gründe für diese Behauptung sind folgende:
Die auf den Stichen von J. U. Kraus (1682) voll-
ständig und mit fast photographischer Treue dar-
gestellten kleinen Giebel des Otto Heinrichsbaues sind
inschriftlich erst 1669 errichtet, unter Karl Ludwig, als
man die großen Doppelgiebel wegen Baufälligkeit und
offenbar auch aus ästhetischen Gründen entfernte.
Die Schädlichkeit der ungeheuren Kehle des Daches
von 22 Metern Tiefe erzwang das an sich. Die Zer-
störung im Dachwerk war nach den Bauakten un-
geheuer.
In demselben Jahr errichtete man auf dem Frauen-
zimmerbau ebenfalls ganz gleichartige kleine Giebel-
aufbauten. Den gläsernen Saalbau überbaute man
damals wegen seiner Niedrigkeit mit einer hölzernen
Laube und brachte so die gesamte Hofarchitektur in
eine große Gleichmäßigkeit der Erscheinung, die all-
gemein gerühmt wurde und den Höhepunkt in der
baulichen Entwickelung des Schlosses bildete.
Die zwei Zwerchgiebel, die damals auf dem Otto
Heinrichsbau neu errichtet wurden, waren mutatis
mutandis getreue Nachbildungen derer von 1606 auf
dem Friedrichsbau; die auf dem Frauenzimmerbau ent-
sprechen ihnen genau, sind nur noch vereinfacht. Unten
zwei gegiebelte Doppelfenster, jonisch, eingefaßt von
Pilastern, dazwischen die Figurennische, oben ein glei-
ches Doppelfenster, korinthisch, links und rechts davon
Schnecken, ganz oben mit einer Figur gekrönter Giebel
mit Rundfenster. — Diese Komposition ist untrennbar
zusammengehörig, — genau wie die der Friedrichsbau-
giebel von 1606. Als diese letzteren errichtet wurden,
standen die großen Giebel auf dem Otto Heinrichs-
bau noch sechzig Jahre lang. — Nach deren Ver-
schwinden wurden 1669 die kleinen errichtet.
Folglich ist es unmöglich, daß die Fenster und
Pilaster dieser jüngeren Giebel (bei J. U. Kraus und
heute noch vorhanden), die nach dem Muster derer
von 1606 errichtet wurden, schon im Giebel von
1560 vorkommen konnten, wie es uns die Zeichnung
»von 1616« glauben machen will.
Die noch stehenden beträchtlichen Reste der
Zwerchgiebel bestätigen das aufs deutlichste; sie
stammen tatsächlich aus Karl Ludwigs Zeit und ent-
behren aller Steinmetzzeichen, die im 16. Jahrhundert
nie fehlten.
Die Einzelheiten der Giebelzeichnung »von 1616«
sind, soweit sie die gleichen sind, wie auf dem Kraus-
schen Stiche von 1682, genau nach diesem gebildet;
die Löwen, die Fenster mit den Giebeln; die seit-
lichen Voluten sind aus dem Barockstil von 1669 in
eine Art Renaissancelinie zurück geformt. Man kann
diese Interpretation genau verfolgen.
Der Stil der Giebelzeichnung ist keineswegs der
der Zeit um 1560. Vielmehr sind die seitlichen
Voluten ohne Ausnahme in der Zeichnung viel
moderner, willkürlich, unecht, im Charakter auch der
Zeit um 1616 nicht entsprechend. Die seitlichen
rechteckigen Fensterblenden sind erst in der Spätzeit
des 17. und im 18. Jahrhundert möglich.
Die Bekrönung durch zwei trompetenblasende
Knaben stammt von der inneren Türe des Friedrichs-
baues, die schon 1669 dorthin aus dem Otto Heinrichs-
bau versetzt wurden. Die beiden Knaben finden sich
dort ganz getreu ebenso vor, — in höchstem Relief,
aber — im Gegensinn, herumgedreht (!). Die frag-
liche Tür ist etwa 1560 entstanden.
Es ist eine Unmöglichkeit, daß diese selben Putten
nochmals als freie Figuren in Überlebensgröße auf
dem Giebel des Otto Heinrichsbaues gestanden haben
können. Aber es entbehrt selbst des Humors nicht,
daß, wo in Wirklichkeit sechs solche Putten notwen-
dig gewesen wären, »ausgerechnet« die zwei, die die
Giebelzeichnung erforderlich machte, nach den zwei
heute noch vorhandenen im Friedrichsbau kopiert
sind. Der sprechendste Beweis dafür, daß der Er-
finder der Giebelzeichnung in Heidelberg seine Motive
nahm, wie er sie fand. Um sie unkenntlich zu machen,
drehte er sie um.
Der Unausführbarkeit dieser Figuren mit ihren
Trompeten in Überlebensgröße als freie Statuen in
Stein sei nebenbei gedacht. Anzunehmen, sie könnten
in Bronze hergestellt gewesen sein, ist gegenüber dem
Steinfigurenschmuck der Fassade krasser Widersinn.
Man weise überhaupt eine einzige Bronzefigur als
Krönung eines Steingiebels in unserer Renaissance
nach.
Wenn nichts anderes, so beweisen also schon
diese zwei Putten die nachträgliche Erfindung des
Giebels unwidersprechlich.
Wo weitere Motive fehlen, wie sie bei J. U. Kraus
respektive heute noch im Schlosse zu finden sind,
versagt die Zeichnung völlig. Die eigentümliche
Bogen- und Füllungsarchitektur der oberen Stock-
werke ist die willkürlichste von der Welt, aber auch
der Zeit um 1560 absolut widersprechend.