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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Sievers, J.: Die Eröffnung der kgl. Nationalgalerie zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0075

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131

Die Eröffnung der Kgl.

Nationalgalerie zu Berlin

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wohnten, pikanten Reiz der Farbe einen Sonderplatz
einnahm. Der nächste Raum vereinigt die Werke
Liebermanns, farbig mit der sandgrauen Wandbe-
kleidung und dem gelben Türvorhang äußerst fein
zusammengestimmt. Ein neuer kühner Liebermann,
die Dünen bei Katwyk, ist hinzugekommen; aber die
Breite des Zimmers reicht nicht aus, um die nötige
Distanz zu gewinnen. Gleichfalls neu sind daneben
noch zwei Bilder von anderer Hand: Von Kallmorgen
ein etwas uninteressantes Hamburger Straßenbild und
von Pankok, dem Zwanzigjährigen, ein verblüffendes
Porträt. Weiter folgt Leibi und seine Schule. Den
schon vorhandenen Schuchs haben sich zwei neue,
erstaunlich farbensatte Arbeiten, von ungemeiner
Schönheit und Abrundung des Kolorits hinzugesellt.
Das eine Stück ein paar Blumentöpfe mit gelben und
violetten Stiefmütterchen, auf der Tischplatte ein
leuchtender Stiel Goldlack, oben glühendrot eine
Rose -— das Ganze in wundervoll warmbraunen
Ton zusammengeschmolzen. Das andere, weniger
bedeutend, ein märkisches Bauernhaus. Neu ferner
das etwas kraftlose Porträt des Barons von Liphart
und der »Vestatempel« von Lenbach, Leibis Porträt
des Bürgermeisters Klein, sowie der Kopf eines Bauern-
mädchens. Von Sperl reiht sich das Äußere eines
Bauernhauses den bereits vorhandenen Arbeiten an.
Trübner, Haider, Eysen und Stauffer-Bern herrschen
im nächsten Kabinett, neu ist eine Landschaft, Wiese
mit Mähern, von Gregor von Bochmann, fein auf
stumpfes Gelbgrün und blasses Himmelblau abge-
stimmt. Von Uhde, der bisher in der Sammlung
nur durch ein Bild vertreten war, in der folgenden
Abteilung ein kleines altmütterlich gekleidetes Mädchen
in erwartungsvoller Haltung, in dünnen grauen und
bräunlichen Tönen angelegt. Auf der Jahrhundert-
ausstellung hatte mancher Künstler, dem unser heutiger
Geschmack nicht mehr recht zu folgen vermag, durch
seine frühen Bilder verblüfft. Ein Beispiel für diesen
Wechsel der künstlerischen Physiognomie bietet eine
jüngst aus dem Besitz Fr. von Defreggers erworbene,
1860 entstandene Almlandschaft dieses Künstlers, die
ungemein frisch und breit hingestrichen, in nichts an
die glatten Werke der Spätzeit erinnert. Noch ein
anderer Münchener Künstler hat sich von einer seiner
besten Arbeiten getrennt: August Holmbergs farben-
sattes altdeutsches Städtebild »Füssen bei Hohen-
schwangau« ist auf der Jahrhundertausstellung er-
worben worden. Desgleichen Wilhelm v. Diez'
»Totes Reh«. —Teutwart Schmitsons urkräftige Kunst
drückt dem nächsten Kabinett ihren Stempel auf. Ein
vortrefflicher Jettel — Mühlen in weiter Landschaft
und flatternde Krähen, die sich scharf von dem
dünnen Blau des Himmels und dem Gelbgrau des
Sandes abheben — ist hinzugekommen. Die beiden
ersten in der graden Flucht liegenden Säle enthalten
speziell die größeren Stücke der älteren Düsseldorfer
Schule, ein vereinzelter neuer Gast erweckt wenig
angenehme Empfindungen: Gustav Wendlings »Bot-
schaft von hoher See«. In der offenen Altantür eines
holländischen Hauses sitzt ein feuerrot gekleideter
Schiffer, der einer jungen Frau soeben einen Brief

gebracht hat. Ein arges Rezeptbild mit Anleihen bei
Claus Meyer wie bei dem seligen Vermeer.

Dafür treten wir jetzt in den Raum ein, der den
vielleicht höchsten Trumpf der wiedereröffneten
Sammlung enthält: Die Reihe Feuerbachscher und
Mareesscher Bilder, mit einer erstaunlichen Anzahl
von Neuerwerbungen. Nur von diesen seien einige
genannt: Feuerbachs wundervoll monumentales Stück
die »Berge von Castell Toblino«, »Im Frühling«
(1867) und das ernste Bildnis seiner Stiefmutter.
Unter den sieben neuen Marees, die sämtlich aus dem
Besitz der Frau Generalmusikdirektor Levi stammen,
sind mehrere, die für das Verständnis der Eigenart
des Künstlers besonders wichtig sind. Den Reformator
der Komposition lernt man in erster Linie in den
»Drei Lebensaltern« verstehen, ihnen gliedern sich
die »Jünglinge in einem Orangenhain« und der
»Orangenpflückende Reiter« an (eine ganz herrliche
Rückenfigur, Mann und Pferd aus einem Guß). Mehr
in koloristischer Beziehung interessant die »Gruppe
an einem Brunnen im Walde«, »Philippus und der
Kämmerer«, der »HI. Martin« und die »Römische
Vigna«: Ein Bild, das freilich der Mehrzahl des Publi-
kums ein Rätsel bleiben wird. Viktor Müllers schöne
»Salome« und ein feiner Stäbli, eine Landschaft mit
Birken, treten dem Vorbesprochenen gegenüber ein
wenig zurück. — Der letzte an die Eingangshalle
stoßende Raum ist, wie früher, nur für Böcklin be-
stimmt. —

An den Wänden der zum Obergeschoß führenden
Treppe ist Feuerbachs »Gastmahl des Piaton« an
seinem alten Platz verblieben: In Pilotys »Abschied
des sterbenden Alexanders« hat es ein Gegenüber
bekommen. Neben dem auf die große Freitreppe
führenden Portal und zu Seiten der Eingangstür in
die Säle hängen ältere Bilder von Max und Scheuren-
berg, Schwinds Rosenmärchen und Feuerbachs »Ri-
cordo di Tivoli«. Unter den Skulpturen des Treppen-
hauses ragt Gauls wundervoller Löwe hervor. In
der Eingangsrotunde ist Schadows Gipsmodell der
beiden Prinzessinnen — hoffentlich nur provisorisch

— aufgestellt. Es wirkt gar zu verlassen in dem
trostlosen Raum, der während der Ausstellung durch
zeltartige Gestaltung einen so intim feierlichen Cha-
rakter trug. Glücklicherweise hat man wenigstens
in sämtlichen Sälen des Obergeschosses die weißen
Wand- und Deckenbespannungen beibehalten können.

— Die beiden Zimmer rechts und links von dem
Kuppelraum sind ausschließlich für Menzel reserviert.
Das Rechte für den »offiziellen« Menzel: Hier hängen
die friedericianischen Bilder, nebst verschiedenen Skizzen
zu diesen und anderen historischen Kompositionen
und das »Eisenwalzwerk«. Als Neuerwerbungen der
»Tanz Heinrichs VIII. mit Anna Boleyn«, ein frühes
Pastellporträt, sowie eine launige Federzeichnung.
Aus der Ecke blickt die charakteristische Menzelbüste
von Begas hervor. Das jenseitige Zimmer ist Menzel
dem »Modernen« geweint. Allem voran steht das
»Theätre Gymnase«, gewiß eine der glücklichsten
Erwerbungen, welche die Galerie machen konnte.
Weiter (ich nenne nur das Wichtigste unter den
 
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