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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Sievers, J.: Die Eröffnung der kgl. Nationalgalerie zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0076

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Die Eröffnung der Kgl.

Nationalgalerie zu Berlin

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Neuankäufen) »des Künstlers Zimmer in der Ritter-
straße« — durch das Fenster mit den blauen Vor-
hängen der Blick auf Bäume und Häuser (1847) —
»Hinterhaus und Hof« (um 1846), »Bauplatz mit
Weiden« (1846) — ein Ziegelrohbau gegen den
blauen Himmel, vorn grünsilberne im Wind bewegte
Weiden — und eine schöne Wolkenstudie. Ferner
eine Fassung des verschiedentlich behandelten Themas
einer mit Gipsmodellen behängten Atelierwand von
1852, die Skizze zu einem ganz frühen Gemälde
»Der Gerichtstag«, der in Untersicht gesehene Kopf
eines Schimmels (1848), die »Einkehr auf der Reise«
(1851), die Schützenscheibe »Falke auf Taube stoßend«
und ein »Studentenfackelzug« von 1859 — pracht-
voll in seinen undeutlichen Gestalten, die in Qualm
und Flammenschein vorwärts schreiten. Von Porträts
das Gruppenbild der Menzelschen Familie um den
Tisch mit der brennenden Lampe, vorn, vom Rücken
gesehen, der Künstler selbst; ein reizvolles, ganz frühes
Damenbild von 1838, das kleine Porträt der Frau
von Knobeisdorff in ganzer Figur (1849), und das
Brustbild des Herrn C. H. Arnold (1848). Diesem
Kreise will sich das »Ballsouper« (1872) mit dem
Gewimmel unzähliger Gäste eines glänzenden Hof-
festes nicht recht einfügen. —

Unter den Neuerwerbungen der folgenden, speziell
der Berliner Malerschule gewidmeten Kabinette (denn
auch der große Saal hat seine Einteilung mit Scher-
wänden beibehalten) findet sich manches interessante
Stück, sei es nun, daß seine künstlerischen oder
berlinisch-historischen Qualitäten überwiegen. Zu-
nächst die Meister aus der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts — unter ihnen Gussow mit einem treff-
lichen, frischen Porträt einer alten Dame, Knaus mit
der durch zahllose Reproduktionen bekannten »Salo-
monischen Weisheit« und einem kleinen, malerisch
ungleich wertvolleren Stück »Die Falschspieler«. Einige
schon länger im Besitz der Galerie befindliche, aber
erst jetzt ausgestellte Bildchen von Christian Wilberg
(Cappella Palatina, Titusbogen) sind wohl geeignet,
das Andenken an diesen vortrefflichen Koloristen
wieder zu erwecken. Hier und im ersten anstoßenden
Kabinett eine Reihe teils neu gekaufter, teils erst jetzt
gezeigter Bilder, die für die Kunst- und Kulturge-
schichte des alten Berlins von besonderem Wert sind.
So zwei kleine Porträts von H. Weiß, den berühmten
Schauspieler Franz Döring in zwei seiner Paraderollen
darstellend, das Bildnis seiner Eltern von Karl Begas
und verschiedene Ansichten von Plätzen und Ge-
bäuden Alt-Berlins von Eduard Gärtner und anderen.
Durch die Vereinigung fast aller im Besitz der Na-
tionalgalerie befindlichen, aber vor der Jahrhundert-
ausstellung magazinierten Bilder und Ölskizzen Karl
Blechens im zweiten Kabinett, ist diesem bedeutendsten
unter den Berliner Malern des 19. Jahrhunderts ein
würdiges Denkmal gesetzt. Erst jetzt hinzugekommen
und besonders wertvoll ist ein schönes kleines Selbst-
bildnis des Künstlers. Das Weiß der Wände kommt
den farbig ungemein delikaten Arbeiten Blechens
nicht weniger zugute als der stolzen Reihe Wald-
müllerscher Bilder, die das folgende Kabinett schmücken.

Von Steinle ist das prächtige von der Jahrhundert-
ausstellung her bekannte Porträt seines Töchterchens
Karoline (um 1842) erworben, ebenso eine kleine
Madonna und ein Porträt von Schnorr. Gleich
diesen Werken ist das vielleicht erstaunlichste Bild
Spitzwegs: »Badende Frauen am Meer bei Dieppe«
(um 1850) in Berlin verblieben1). Es erscheint uns
so modern in der breiten malerischen Behandlung,
daß die Arbeiten der anderen Münchener Künstler
jener Zeit, der Adam, Bürkel usw., die zusammen
das Vierte Münchener Kabinett einnehmen, recht
trocken wirken. Der Dresdener Kunst ist das letzte
der Kabinette eingeräumt, in erster Linie natürlich
den Werken C. D. Friedrichs. Nur ein feines kleines
Stück, »Junges Mädchen am Fenster« (um 1818)
konnte dem vorhandenen Besitz an Arbeiten seiner
Hand angereiht werden. Den Künstler in seinem
Atelier stellt das hübsche Bildchen G. Fr. Kerstings
— ebenfalls eine Neuerwerbung — dar. Trotzdem
Friedrich den größten Raum innerhalb der Dresdener
Gruppe einnimmt, dominiert doch das einzige Werk
eines anderen Meisters: Des erst in diesem Jahr
»entdeckten« Ferdinand von Rayskis grandioses Por-
trät des jungen Grafen Einsiedel (1855), eine Er-
werbung allerersten Ranges.

Der anschließende, durch Scherwände geteilte
Saal vereinigt speziell die Werke der Frankfurter,
Weimaraner und eines Teiles der Düsseldorfer
Künstler. Von Neubesitz seien hervorgehoben zwei
Arbeiten des ebenfalls erst vor kurzen zu Anerkennung
gelangten Karl Buchholz (Weimar); eine großzügige
Dünenlandschaft mit vereinzelten Sonnenflecken von
Feddersen und eine farbenschöne »Landschaft beim
Wetterhorn« (1835) von dem Darmstädter Heinrich
Schiibach. In dem auf das anfangs genannte rechte
Menzelzimmer führenden Gang sind vor allem ältere
Düsseldorfer Landschaften aufgehängt. —

Bilder von außerordentlicher Größe unterzubringen,
hält wohl in jeder Sammlung schwer. In der National-
galerie war von jeher das Treppenhaus mit seinen
stattlichen Wandflächen der Zufluchtsort derartiger
Riesenleinwände. Seit vielen Jahren ist zuerst jetzt
wieder ein solches Werk eingezogen und nach Um-
hängung der Treppenhausbilder hoch oben neben
dem Makart placiert worden: Francesco Paolo Michettis
»Tochter Jorios«. Allzuviel Freunde dürfte das Bild
nicht finden. Die Gruppe junger Burschen, die der
flott hinschreitenden Maid nachblicken, ist gewiß
von großer Lebenswahrheit, aber die unangenehme
Malweise — ganze Flächen scheinen wie mit
schmutzigem Verputz bedeckt zu sein — und einige
peinlich gesuchte Züge in der Komposition wird

1) Die Redaktion fühlt sich zu der Bemerkung ver-
pflichtet, daß ein Neffe Spitzwegs ihr bei einer Gelegen-
heit ausdrücklich erklärt hat, dieses Frauenbad sei eine
Kopie Spitzwegs nach Isabey. Der illustrierte Katalog der
Jahrhundertausstellung zieht das etwas in Zweifel, weil ein
entsprechendes Bild von Isabey nicht bekannt sei. Da
gerade dieses Stück von Spitzweg in allen eindringenden
Kritiken als besonders remarkabel geschätzt wurde, so sei
der Fall den Wahrheitsuchern hiermit ans Herz gelegt.
 
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