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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Sievers, J.: Die Eröffnung der kgl. Nationalgalerie zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0077

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Die Eröffnung der Kgl.

Nationalgalerie zu Berlin

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man kaum verwinden. So die lebensgroße Figur
eines stehenden Mannes, dessen Schultern mit dem
oberen Ende der Leinwand zusammenstoßen, so daß
für den Kopf kein Raum mehr bleibt; ferner den
Rahmen, der, statt die Malfläche abzuschließen, hinter
ihr liegt. — Dem Flur des zweiten Stockwerkes, auf
den die Treppe mündet, ist seine vornehme, weiß-
goldene Bespannung erhalten geblieben. Sie gibt einen
trefflichen Hintergrund für die hier vereinigten Werke
des 18. und beginnenden 19. Jahrhunders. Mehrere
Porträts, so von dem Münchener Edlinger und dem
einstigen Berliner Akademierektor Weitsch, sind neu
hinzugekommen; von besonderer Wichtigkeit erscheint
die Erwerbung des großen Fügerschen Porträts der
Fürstin Galitzin. Auch zahlreiche Skulpturen sind
hier wie in dem anstoßenden Freskenzimmer der
Casa Bartholdy verteilt. Wenn man bedenkt, daß
bei Eröffnung der Sammlung im Jahre 1876 von
Schadow, dem gewiß bedeutendsten Berliner Bild-
hauer, nur ein einziges Werk, im Jahre 1898 deren
fünf vorhanden waren, so wird man den jetzigen
Besitz von insgesamt 35 Arbeiten, von denen eine
Reihe erst in diesem Jahr nach den Originalmodellen
gegossen wurden, doppelt freudig begrüßen. Von
Schadows Lehrer, dem Vlamen Tassaert, zwei gleich-
falls erst jetzt nach den Modellen gefertigte Büsten,
die sprühend lebendigen Köpfe Moses Mendelssohns
und des alten Zieten. — Die Sammlung moderner
ausländischer Kunst, die vor Jahren in das oberste
Stockwerk verbannt wurde, schließt sich (entwickelungs-
geschichtlich ein bißchen unvermittelt!) den vorge-
nannten Räumen an. Aber vor der Bedeutung des
dort Gebotenen wird wohl keiner auf historische
Spekulationen verfallen. Der Eindruck gleich des
ersten Zimmers ist schlagend: In der Mitte auf pracht-
vollem rotem Sockel Rodins »Penseur«, in den Ecken
Büsten Lagaes, an den Wänden erlesene Werke Eng-
lands und Frankreichs. Die kleine bereits vorhandene
Kollektion ist durch hervorragende Neuerwerbungen,
die zum Teil einen außerordentlichen ideellen wie
materiellen Wert darstellen, erweitert. Und fast jedes
Stück ist der Galerie von Kunstfreunden zum Ge-
schenk gemacht! Ein Porträt von Couture, ein Con-
stable, Fantin-Latours Selbstbildnis und zwei ausge-
zeichnete Courbets: »Die Welle«, eine Meeres- und
Himmelsschilderung von eminenter Naturkraft, ferner
ein Tierstück — ein gewaltiger Uhu, der sich über
ein totes Reh hermacht — eine Schöpfung von tiefster
Farbenschönheit. Daneben Daumiers bekannter, gran-
dios-tragischer »Don Quichotte und Pansa«, ein Ge-
schenk des jüngst verstorbenen Alfred Beit. In dem
folgenden schmalen Gang ältere Franzosen und
moderne Belgier, Italiener und Spanier. Ein neues
Bild »Canale grande« von dem auf Turners Spuren
wandelnden Pariser Felix Ziem. In zwei Vitrinen
eine Anzahl belgischer und französischer Kleinplastiken,
die meisten (wie auch verschiedene der französischen
Gemälde) Geschenke des Generalkonsuls Freiherrn
von Merling in Berlin. In der ersten ein fabelhaft
charakteristisches Selbstporträt von Jean Carries —
eine Tonmaske —, vier Statuetten mittelalterlicher

Gewerbetreibender von Julien Dillens, die entzückende
Bronzehalbfigur eines kleinen, in Haube und Jäckchen
eng verpackten Kindes von Charpentier und der Kopf
einer übermütigen Bacchantin von Bourdelle. In der
zweiten Vitrine mehrere Statuetten nackter Frauen von
ungemein lebensvoller Behandlung des Fleisches und
eine in ihrer Strenge an griechisch-archaische Mäd-
chenköpfe erinnernde Büste des neu aufgegangenen
Sternes Aristide Maillol. Neben einer famosen Tier-
bronze »Bulldogge« von Bougatti sei einer köstlichen
Angorakatze von Steinlen, meisterhaft wie eine alt-
ägyptische Plastik stilisiert, gedacht. Im angrenzenden
Saal nimmt ein Teil der herrlichen Sammlung Felix
Koenigs die eine Wand ein, an den anderen ver-
schiedene Neuerwerbungen ersten Ranges. Zwei
Stilleben von Cezanne, ein Landhaus eingebettet in
das Grün des Gartens, von Manet, und ein Monet,
die Kirche von St. Germain l'Auxerrois in Paris
(1866). Staubiges hellgraues Licht liegt über dem
Platz mit den stumpfgrünen Kastanien, aus deren
Schatten sich die Gestalten der Passanten und die
Form der wartenden Wagen plastisch lösen. Von
Renoir, der bisher in der Galerie noch nicht vertreten
war, zwei Werke: Ein »blühender Kastanienbaum«,
farbig fast zu weich zerfließend in seiner roten Blüten-
pracht und das große Stück: »Der Nachmittag der
Kinder in Vargemont«, ein Bild, in dessen lichte,
mit ungeheurem Raffinement auf Grün-Rot-Grünblau
gearbeitete Farbenharmonie man sich nicht leicht
hineinsieht. Schließlich sei noch auf drei ganz köst-
liche Werkchen Vuillards von bestrickendem Farbreiz
hingewiesen. — Außer zwei Skulpturen sind sämt-
liche Gemälde und Skulpturen (Rodins l'äge d'airain
und andere) in diesem Saal, Geschenke von Kunst-
freunden, bezw. rühren sie aus dem Legat Felix
Koenigs her. —

Zwei der nun folgenden vier Kabinette schließen
die Gemäldegalerie ab. In beiden die Fortsetzung
der Sammlung Koenigs; im ersten Klingers Wand-
bilder und seine marmorne Amphitrite, im zweiten
vor allem moderne Engländer und Spanier. Die Zahl
dieser ist durch einen großen Zuloaga — zechende
Bauern — vermehrt. Von dem Kopenhagener
Hammershöi ein sehr feines Bildchen »Sonnige Stube«
(ein großes Biedermeiersofa, dessen poliertes Holz in
Verbindung mit dem Grau der Wand einen unge-
mein vornehmen Farbeffekt ergibt) und von dem in
Holland außerordentlich geschätzten Anton Mauve
ein Werk: »Kühe auf der Weide«.

In den zwei nächsten Kabinetten der Nordflucht
beginnt die Ausstellung der Handzeichnungen, Aqua-
relle usw. Auf die Fülle des überdies noch dem
Wechsel unterworfenen Gebotenen einzugehen, ist im
Rahmen dieser Besprechung nicht möglich. Erwähnt
seien nur Namen wie Signac, Luce, Rodin, Maillol,
Guys, Beardsley, Somoff, van Gogh, Toorop, Jan
Veth, um anzudeuten, welch frischer Wind auch in
diese Abteilung der Sammlung hineingeweht hat.
Mit vollem Recht sind die Arbeiten der glänzenden,
für unsere deutschen humoristischen Blätter arbeitenden
Künstler in stärkerem Maße wie bisher zur Ausstellung
 
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