KUNST CHRONIK UND KÜNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIETZB
NR. 11 10. DEZEMBER 1920
KUNSTSCHULREFORM
VON CURT GLASER
T^\IE Reformbedürftigkeit der Kun ff [chufen iff nicht erff feit der Revofution
-L^ erkannt worden. Aber es find durch die UmfAiAtung innerhalb del-
egierenden Parteien Möglichkeiten praktifAer Verwirklichung eröffnet worden,
die vordem außerhalb des BereiAes der Denkbarkeit gelegen waren. Die
erlfen Wochen und Monate der neuen Zeit brachten bereits Programme und
fogar Experimente zutage, die weit über die nädiftliegenden und wünfAbaren
Ziele hinausführten. Der Begriff der Revolution als folAer wirkte gleichfam
beraufchend, und er wurde von dem politifchen unbedenklich auf das kul-
turelle Gebiet hinübergetragen.
Der gefunde Kern, der allen Neuerungs vertu dien zugrunde lag, war der
Gedanke der Rü&führung der Kunff auf das Handwerk. Aber er wurde in
einer romantifch verftiegenen Form aufgenommen, die mehr eine längff ver-
funkene Vergangenheit als die realen Verhältniffe der Gegenwart im Auge
hatte. Kunft — im höAffen Sinne des Wortes — läßt ßch nicht lehren.
Aber es gibt auA in der Kunft Lernbares, es gibt Dinge, die der SAüler
lernen muß, wenn er zum Meiffer werden will.
Und über dem Preis des Kunffhandwerks wurde diefes eigentliAe Hand^
werk der Kunft veraAtet und vergeffen. Das Genie wäAff nur auf dem
Boden des Tafentes, und das Tafent bedarf der SAufung. Genie iff niAt
Fleiß, wohl aber iff Fleiß eine feiner Vorausfetzungen. In FrankreiA hat
noA jeder der Kunffrevolutionäre von heute feine fiAere akademifAe SAu-
lung hinter ßA. Wie der Mufiker dur A Fingerübungen, fo hat er dur A
AktzeiAnen die SiAerheit der Hand erworben, die erff eine Freiheit geffattet,
die niAt mit ZuAtloßgkeit verweAfelt werden darf. Den wirkliA zum Künftler
Berufenen mit ornamentalen und dekorativen Aufgaben zu plagen, iff ebenfo
finnlos, wie ihn femefferlang Anatomie und Perfpektive lernen zu laffen. Aber
der UnterriAt im Handwerk der Malerei darf niemals auf eine vorausbe-
ffimmte Stilform abzielen, die erff aus dem Zufammenwirken der eigen-
fAöpferifAen Kräfte der PerfönfiAkeit mit den Strömungen der Zeit fiA
bilden foil.
Das Hauptproblem des KunffunterriAts wird immer das der Auswahf
der Begabten fein, denn die ZüAtung eines Kunffproletariats ffeht als Drohung
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
BERLINER REDAKTION: CURT GLASER WIENER REDAKTION: HANS TIETZB
NR. 11 10. DEZEMBER 1920
KUNSTSCHULREFORM
VON CURT GLASER
T^\IE Reformbedürftigkeit der Kun ff [chufen iff nicht erff feit der Revofution
-L^ erkannt worden. Aber es find durch die UmfAiAtung innerhalb del-
egierenden Parteien Möglichkeiten praktifAer Verwirklichung eröffnet worden,
die vordem außerhalb des BereiAes der Denkbarkeit gelegen waren. Die
erlfen Wochen und Monate der neuen Zeit brachten bereits Programme und
fogar Experimente zutage, die weit über die nädiftliegenden und wünfAbaren
Ziele hinausführten. Der Begriff der Revolution als folAer wirkte gleichfam
beraufchend, und er wurde von dem politifchen unbedenklich auf das kul-
turelle Gebiet hinübergetragen.
Der gefunde Kern, der allen Neuerungs vertu dien zugrunde lag, war der
Gedanke der Rü&führung der Kunff auf das Handwerk. Aber er wurde in
einer romantifch verftiegenen Form aufgenommen, die mehr eine längff ver-
funkene Vergangenheit als die realen Verhältniffe der Gegenwart im Auge
hatte. Kunft — im höAffen Sinne des Wortes — läßt ßch nicht lehren.
Aber es gibt auA in der Kunft Lernbares, es gibt Dinge, die der SAüler
lernen muß, wenn er zum Meiffer werden will.
Und über dem Preis des Kunffhandwerks wurde diefes eigentliAe Hand^
werk der Kunft veraAtet und vergeffen. Das Genie wäAff nur auf dem
Boden des Tafentes, und das Tafent bedarf der SAufung. Genie iff niAt
Fleiß, wohl aber iff Fleiß eine feiner Vorausfetzungen. In FrankreiA hat
noA jeder der Kunffrevolutionäre von heute feine fiAere akademifAe SAu-
lung hinter ßA. Wie der Mufiker dur A Fingerübungen, fo hat er dur A
AktzeiAnen die SiAerheit der Hand erworben, die erff eine Freiheit geffattet,
die niAt mit ZuAtloßgkeit verweAfelt werden darf. Den wirkliA zum Künftler
Berufenen mit ornamentalen und dekorativen Aufgaben zu plagen, iff ebenfo
finnlos, wie ihn femefferlang Anatomie und Perfpektive lernen zu laffen. Aber
der UnterriAt im Handwerk der Malerei darf niemals auf eine vorausbe-
ffimmte Stilform abzielen, die erff aus dem Zufammenwirken der eigen-
fAöpferifAen Kräfte der PerfönfiAkeit mit den Strömungen der Zeit fiA
bilden foil.
Das Hauptproblem des KunffunterriAts wird immer das der Auswahf
der Begabten fein, denn die ZüAtung eines Kunffproletariats ffeht als Drohung