Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

DOI Artikel:
Vorwort
DOI Artikel:
Hellwag, Fritz: Neuzeitliche Berliner Architektur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0009

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

BERLINER ARCHITEKTUR UND MÖBELKUNST


NEUZEITLICHE BERLINER ARCHITEKTUR
Von Fritz Hellwag

IN diesen problemschwangeren Zeiten des allge-
meinen Wandels und Werdens macht sich wohl
jeder Gebildete im Geheimen irgend eine Vor-
stellung von etwas, was man mit »Zukunftsstaat« am
besten bezeichnen könnte. Auch mir ist es eine der
liebsten Gewohnheiten, meine Empfindungen und
Vorstellungen in stillen Träumen zu einem Gebilde
wachsen zu lassen, um dessen Verwirklichung ich
dann unsere Söhne und Enkel »beneide«. Ich denke
an ein friedlich großzügiges Gemeinwesen, das von
hohen und reinen Gedanken getragen, mit gegenseitiger
sozialer Rücksichtnahme, im öffentlichen Leben, in
Wissenschaft und Kunst einen, alle befriedigenden ver-
einfachten Ausdruck der menschlichen Wünsche und
Leidenschaften zur Schau stellen könnte. Auf dem
Boden solcher, jedem nützenden, niemandem schaden-
den vereinfachten Lebensformel sollte dann das un-
gehinderte Können des Begabten und Berufenen sich
zur schönsten Blüte entwickeln. Ein jeder gäbe nach
besten Kräften der Allgemeinheit zurück, was er von
ihr empfangen hat, veredelt und neu gestaltet durch
sein Allerpersönlichstes, das ja nur dann eine Existenz-
berechtigung haben soll, wenn es sich als Teil eines
großen Ganzen gefühlt hat und auf der allgemeinen
Lebensformel aufgebaut wurde. Also: freie, selbst-

gewählte, nicht erstarrende, immer wachsende Kon-
vention, als fruchtbarster Boden für die Entwicklung
und das Gedeihen der Individualitäten. □
o Das Erwachen aus solchen utopischen Träumen
ist jedesmal bitter. Wo sind die Menschen, die sich
freiwillig einem freigewählten Prinzip wirklich selbst-
los unterordnen? Man mag suchen, wo man will,
immer wird man unter einer idealen Oberschicht das
Allzumenschliche: selbstsüchtige Motive und Aus-
nützung finden. °
° Und doch hat es zu allen Zeiten große, die ganze
Menschheit oder Völkergemeinschaften im Innersten
bewegende Gedanken gegeben, und die Künstler jener
Epochen, die Architekten haben sie in ihren Werken
materialisiert. Die Gotteshäuser der großen Religions-
stiftungen sind uns ein Beispiel dafür, wie sich die
selbslose Unterwerfung unter einen gemeinsamen Ge-
danken ihr Denkmal setzen konnte. Wo sind nun
in unserer Zeit die großen Gedanken, denen sich die
intelligente Menge freiwillig und gemeinschaftlich
unterwirft? Könnte vielleicht das, Millionen von
Menschen einigende Streben nach Besserung der
sozialen Not stark genug sein, sich in einem Bau-
werke von monumentaler Klarheit zu manifestieren?
Man sucht vergebens nach einem ausdrucksvollen
 
Annotationen