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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Rauecker, Bruno: Die "Arts and Crafts Exhibition Society" in London und ihre Tendenzen
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Matthies, Karl: Die neuen Künstlerschriften der Schriftgiesserei Gebr. Klingspor in Offenbach a. M.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0098

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NEUE KÜNSTLERSCHRIFTEN VON GEBR. KLINGSPOR

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den Kunstgewerbeschulen der Stadt London, wie auch an
der kunstgewerblichen Hochschule der Regierung, dem
Royal College in South Kensington. — Aber, wenngleich
die Arts and Crafts Exhibition Society die Stoßkraft einer
zusammengerotteten Schar von Männern verloren hat, die
der gemeinsame Glaube an eine Idee zusammenhielt,
wenngleich sie in praktischer Tätigkeit die Gewalt gemein-
samen Wirkens nicht mehr ausüben — der Ideenkreis, von
dem wir erzählt haben und in dem die Gesellschaft als

eine Gesamtheit befangen war, ist auch auf den einzelnen
übergegangen: vorauf der Gedanke: Gutes Kunstgewerbe
kann vermittels der Maschine, wie auch der Arbeitsteilung
nicht hergestellt werden. — (Auch die Art und Weise, wie
das Erziehungsproblem im Kunstgewerbe hier in London,
— nicht zum mindesten unter dem Einfluß der ehemaligen
oder jetzigen Mitglieder der Arts and Crafts Exhibition
Society — angefaßt wird, soll in einem gesonderten Artikel
behandelt werden.) n
London, im November 1911.

DIE NEUEN KÜNSTLERSCHRIFTEN DER SCHRIFTGIESSEREI
GEBR. KLINGSPOR IN OFFENBACH A. M.
Von Karl Matthies

WENN wir heute von einer neuen Künstlerschrift
sprechen, so wird kein Kundiger darunter mehr
etwas verstehen, was unbedingt außerhalb der
geschichtlichen Entwicklung geboren sein müßte.
Wie wir uns bei der Baukunst freuen, wenn ein Künstler
den Stil eines vergangenen Zeitalters im Geist unserer Zeit
neu und würdig belebt, so haben wir uns auch bei der
Schriftkunst beschieden und eingesehen, daß es erfolgver-
sprechender ist, die charaktervollsten Formen aus den
Blütezeiten des Buchdrucks verstehen und neuschöpfen
zu lernen. Man kann dieses Verstehenlernen der geschicht-
lichen Stilarten, als ein Ergebnis des Kampfes gegen diese
Stilarten, nennen der um die Jahrhundertwende tobte.
Wenn der Vorstoß sich auch im Anfänge mehr gegen die
verständnislose Kopisterei als gegen die Stilarten selbst
richtete, so gewöhnten die Künstler sich im Laufe der neu-
zeitlichen Bewegung doch immer mehr daran, in jeder
Kunst, die nicht »modern« war, etwas Minderwertiges zu
erblicken. Unter der Beziehung »modern« verstehen wir
heute schon etwas ganz anderes, als vor zehn Jahren, und
auch das ist wieder ein Ergebnis jener Bewegung, in der
so viel junge Kraft vergeudet werden mußte, um der Er-
kenntnis willen, daß die charaktervolle Kunst einer jeden
Zeit Wert und Bedeutung hat und daß die geschichtlichen
Stilarten in inniger Beziehung zu einander stehen und
folgerichtig sich entwickelten. So folgerichtig, daß ihr
Kreislauf in der Moderne sich in kurzem Zeitraum wieder-
holen konnte. Geschmack und Kunstanschauung haben
sich geläutert. Was wir früher verpönten, dient uns heute
wieder als Grundlage für neue Schöpfungen. Künstler,
die früher als »altmodisch« nicht recht für voll genommen
wurden, ich erinnere nur an Otto Hupp und Joseph Sattler,
genießen nun Gleichberechtigung, denn auch die modernsten
unserer Schaffenden fürchten sich vor ein wenig Archais-
mus nicht mehr. °
□ Dieses Klarwerden über die Lebensbedingungen echter
Kunst hat unserer Zeit den Stempel der Wiedergeburt ge-
geben. Wir sind stark genug geworden, Überliefertes in
uns aufzunehmen und umformen zu können; das unter-
scheidet uns von den schwächlichen Nachahmern der Grün-
derjahre. Aus diesem bewußten Zurückgreifen auf die
Kunst der Vergangenheit erblüht unsere Reife und der Stil
unserer Zeit, den wir heute schon im besten Sinne modern
nennen können. □
□ War das Zeichen in den Jahren der Auflehnung gegen
die Überlieferung Gärung und kraftvolle Verrenkung, so
ist es jetzt Abgeklärtheit. Damals Sturm ohne sicheren

Halt, heute ruhige Entwicklung. Wenn wir die Schriften
jener Zeit ansehen, so wirken sie mit wenigen Ausnahmen
wie Karikaturen auf uns. Auf dem Wege des gewaltsam
Neuen sind wir nicht vorwärts gekommen. Die Eckmann-
Schrift (damals RudhardscheGießerei, jetzt Gebr. Klingspor),
in den Einzelbuchstaben meist unschön, in der Gesamt-
wirkung aber von herrlichem Zusammenklang, ist das einzige
moderne Ergebnis von künstlerischem Wert, zu dem sich
kein Vorbild findet. Sie bedeutet Anfang und Abschluß
eines Revolutionsstils. Im gewissen Sinne, nämlich durch
die ihr folgenden Auswüchse, verdanken wir der Eckmann-
Schrift die Rückkehr zur geschichtlichen Entwicklung und
damit die Blüte unserer heutigen Schriftkunst. °
□ Aus der Schriftgießerei Gebr. Klingspor in Offenbach
am Main, die auch die Behrens-Schriften‘herausbrachte,
liegen vier neue Schriften vor. Ihre Urheber sind Künst-
ler von ruhigem Temperament, auf sicheren Pfaden er-
probter Kunst wandelnd: Otto Hupp, Walter Tiemann,
Rudolf Koch. Aber gerade, weil sie das Alte kennen und
lieben, ist das geschaffene Neue so durchdacht, edel und
voll künstlerischem Leben. Archaistisch, gewiß; aber als
Vorzug! □
□ Walter Tiemann hat eine Antiqua geschaffen. »Me-
diaeval« heißt die Schrift in dem Probenheft, eine Be-
zeichnung, die mir nicht gefällt, weil sie unzutreffend
ist. »Mittelalterlich« ist die Schrift von Tiemann nämlich
gar nicht, das sind nur ihre an die Großbuchstaben der
irischen Mönche erinnernden langgestreckten Initialen. Des-
halb werde ich sie ruhig Antiqua nennen. In ihren Formen
und Verhältnissen erinnert die Tiemann-Antiqua an die
edelsten Schöpfungen der Renaissance. Erinnert, sage ich,
und will damit nicht etwa ausdrücken, daß sie ihre Vorbilder,
nicht erreicht hätte, sondern daß sie sich selbständig neben
sie stellt. Durch den gleichmäßigen Schnitt und den
guten Druck wirkt die Tiemann-Antiqua schon zarter als
die Schriften der Renaissance. Obgleich die Großbuch-
staben die klassische Form wahren, zeigen sie doch eigen-
artige Einzelheiten, aber diese allein genügten nicht, um
die Schrift recht unterschiedlich zu machen. Den beson-
deren Charakter, allerdings auch ein wenig Unruhe, bringen
erst die Kleinbuchstaben in die Schrift. Tiemann hat die
Anstriche bei den Oberlängen und bei m und n (merkwür-
digerweise nicht beim u) in einen verhältnismäßig spitzen
Winkel gelegt, auch die Halbkreisformen bei b, d und
anderen Buchstaben absichtlich verschoben. Das sind ge-
wiß alles Kleinigkeiten, aber nur scheinbar, denn sie machen
bei so feststehenden, einfachen Formen wie der Antiqua
 
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