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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Schur, Ernst: Ferdinand Hodler
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Segmiller, Ludwig: Der moderne kunsthistorische Unterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0223

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DER MODERNE KUNSTHISTORISCHE UNTERRICHT

O 1 A
Z10

holungen der Gebärden und Gesten ergeben einen Rhyth-
mus und die Bezeichnungen der Bilder erheben die Dar-
stellung ins Symbolische. Und immer freier wird der Geist,
er entsagt auch der inhaltlichen Deutung und die Gestaltung
sieht nur die große Darstellung männlicher und weiblicher
Akte im Freien von prachtvoll durchgefiihlter Form. a
□ Von Etappe zu Etarpe geht dieser Weg, immer auf-
wärts führend. Es gibt sogar kleine Zeichnungen von
Hodler, halb Karikaturen, momentane Notizen, von einer
Schlagkraft und Treffsicherheit in der Charakteristik, daß
man unwillkürlich an Busch denken muß. An Eigentüm-
lichkeiten ist dieser Künstler reich; bisher sah man nur
das Ende, die letzte Station der Entwicklung. Hier nun
— und das ist das Wichtige — erscheint er differenziert,
man sieht die Einflüsse. Man hat von Hodler daraufhin
gesagt, er nutze nur die augenblickliche Konjunktur aus;
er rekonstruiere daraufhin alte Bilder und es zeuge nicht
von Reichtum, sondern von schnellfertiger Manier, wenn
er Motive mehrere Male wiederholt oder den Holzhacker

des einen Bildes als Mäher auf einem anderen in genau
der gleichen Pose erscheinen läßt. □
□ Gewiß scheint Hodler leicht zu arbeiten und er ist Ein-
flüssen schnell zugänglich. Aber er ist und bleibt darum
doch ein Eigener, der nichts Fremdes äußerlich annahm,
sondern der wurde, was er innerlich war. Das Fremde
diente nur zu seiner Entfaltung. Nie wurde seine Art
Manier, nie sein Wesen Pose. Wir überschauen nun seine
Entwicklung im Einzelnen, aber wir verlieren darum nicht
die Achtung vor seinem Können. Denn das eine unter-
scheidet ihn von vielen anderen, die vielleicht ebenso und
noch mehr nach neuen Anregungen jagen und sich allen
Einflüssen schnell hingeben: Diese nehmen wirklich
nur an und drapieren sich mit fremdem Gewände. Der
Hodler aber ringt und verarbeitet alles, bei ihm spürt
man die innere Arbeit. Intellekt und Können steckt da-
hinter — und darum versagen wir ihm, als dem ernst und
sachlich strebenden Talent nicht die Achtung. □

DER MODERNE KUNSTHISTORISCHE UNTERRICHT
Von Professor Ludwig Segmiller, Pforzheim-München

IM April 1910 hatte ich Gelegenheit, mich im Heft 7
der vorliegenden Zeitschrift über Mängel zu äußern,
die dem kunsthistorischen Unterricht, wie er heute
noch an den meisten Kunstgewerbe-, Gewerbe- und
Technischen Hochschulen, sowie ähnlichen Anstalten ge-
lehrt wird, anhaften. Ich wies damals besonders auf die
viel zu wissenschaftliche Vortragsweise hin, die an Insti-
tuten der Praxis mehr schadet als nützt, ferner auf das
Theoretisieren, das dem Schüler den Unterricht verleidet,
und endlich auf die wenig vorteilhafte Art der Vorführung
des Anschauungsmaterials. □
□ Meine Forderungen gingen dahin, daß zunächst der
kunsthistorische Unterricht nicht wie bisher als eine Wissen-
schaft außerhalb des ganzen kunstgewerblichen Unterrichts
stehe, sondern vielmehr in denselben hineingestellt werde.
Lassen wir die reine Wissenschaft den Universitäten; für
das Kunstgewerbe jedoch werden erst dann die befruch-
tenden Schätze der alten Meisterwerke erschlossen werden,
wenn wir sie in der Weise der Alten betrachten — prak-
tisch, handwerksmäßig. Form, Farbe, Komposition,Material-
verwertung, Technik, das ist es, dessen unser Schülerkreis
bedarf. Der Kunstgewerbler will erkennen, wie jene Fak-
toren in den verschiedenen Stilepochen verwertet wurden,
er will erfahren, aus welchen Moventien sich die stilistische
Entwicklung ergab. Dieses Studium weckt und bildet das
Stilgefühl, die stilistische Empfindung, der Schüler gewinnt
das richtige Verhältnis zu unseren gegenwärtigen Anschau-
ungen und wird im Sinne des Alten Neues schaffen. Ich
möchte sogar die weitere Forderung aussprechen, selbst
an unseren anderen Mittelschulen, Gymnasien, Realschulen
usw. den gleichen Unterricht verknüpft mit den zeichne-
rischen und geschichtlichen Lehrfächern einzuführen. Aus
den Kreisen, welche diese Institute erziehen, geht der
größte Teil unserer Käufer hervor; das Verständnis für
Kunst undKunstgewerbe wird ein tieferes. Daß es daran
mangelt, beweisen jene kunstgewerblichen Scheußlich-
keiten, die dem Publikum noch angeboten werden dürfen.
□ Wir kommen aber erst in dem Augenblick von dem zu
weit gehenden Theoretisieren hinweg, in dem wir den Schüler

auch auf dem Gebiete der Kunstgeschichte zur wirklichen
Arbeit veranlassen. Mit dem Zeichenstift, dem Pinsel, dem
Modellierholz soll der werdende Architekt und Kunst-
gewerbler jeder Art an den kunstgeschichtlichen Unterricht
herantreten. Dann hört sich alle dilettantische Schön-
geisterei seitens Lehrer und Schüler, die wir in der Praxis
nicht gebrauchen können, von selbst auf. Es ist die Tat-
sache nicht von der Hand zu weisen, daß es manchen
kunstgewerblichen Zweig gibt, der nicht nur gründliche
Kenntnis, sondern auch Entwurf und Ausführung in histo-
rischen Stilen erfordert. Hier ist das Bedürfnis eines
Arbeitsstudiums erst recht gegeben. Vereinzelt fand sich
wohl schon früher ein Dozent, der die stets unterschätzte
Mühe auf sich nahm, Vorlagen groß zu zeichnen, um diese
von seinen Schülern unter Korrektur skizzieren zu lassen.
Diese wenigen Lehrer hatten dann allerdings die Genug-
tuung, daß das Interesse der Hörer bis zum letzten Vortrag
rege blieb. Wollte man vorwärts kommen, so mußte vom
pädagogischen Standpunkt aus hier angeknüpft werden.
Erhebliche Nachteile hingen dieser Methode noch an. Ab-
gesehen von der geringen Verbreitung derselben mangelte
es vorerst an der genügend großen Anzahl der Vorlagen
oder es mußten kleine photographische Nachbildungen als
Vorbild gewählt werden. Es war sodann unmöglich, die
ganze Hörerschaft den Gegenstand, der kurz vorher erklärt
wurde, gleichzeitig skizzieren zu lassen. Durch geeignete
Einbeziehung des Projektionsapparates ändert sich die Sach-
lage mit einem Schlag. Das Zeichnen und Modellieren
nach Lichtbildern in der Art, wie es früher an dieser Stelle
besprochen wurde, behob die Mängel des bisherigen Ver-
fahrens auf dem Gebiete des kunsthistorischen Unterrichts.
Das Skizzieren wurde zum Massenunterricht und die Dar-
bietung eine unerschöpfliche, da alle Meisterwerke der be-
deutendsten Museen und Sammlungen als Vorbild heran-
geholt werden können; außerdem ist man imstande, genau
jene Motive skizzieren zu lassen, welche der Eigenart der
Lehranstalt entsprechen. Damit ist freilich nicht gesagt,
daß diese Art des Studiums ein solches im Nationalmuseum
in München oder im Landesgewerbemuseum in Zürich zu
 
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