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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Schur, Ernst: Ferdinand Hodler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0222

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BAYERISCHE QEWERBESCHAU

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den Blumen. Man kann in dieser Art schon den späten
Hodler ahnen, während im übrigen dieses Werk deutlich
den Charakter der Schülerarbeit trägt. □
d Plötzlich meldet sich dann der Einfluß der Japaner, der
ihn lehrt, auf die Eigenart des Ausschnitts zu achten, der
überhaupt das Eigenwillige schärfer aus Holder heraus-
holt und mit der schon in der früheren Periode bemerkten,
bizarren Linie, dem Scharfen, Eckigen zusammengeht. Die
Zartheit der japanischen Naturdarstellung kommt in den An-
sichten neblig verschwommener Berge zum Ausdruck; die
Eigenart des bizarr dekorativen Ausschnitts mit dem tief-
liegenden Vordergrund, den weiten Ausblick auf kleinem
Raum bemerkt man auf zwei Bildern mit sich im Wasser
spiegelnden Wolken. □
a Immer mehr schält sich der Stilist heraus und hier
kommt ihm noch ein Einfluß zu gute, die alten Deutschen,
die Frühgotik mit der Herbheit der betonten Linien, dem
kulissenartigen Aufbau der Hintergründe, dem Rhythmus
durchseelter Innigkeit, Ausdruck geworden durch betonte
Wiederholung von Gesten. □
□ Dieses Streben wäre nicht rein zur Entwicklung ge-
kommen, hätte nicht die dekorative Entwicklung im Kunst-
gewerbe, in der Raumkunst, in der Architektur bei uns
eingesetzt, die gerade das verlangte, wohin Hodler strebte:
die großzügig stilistische Umwertung des Naturmotivs, eine
neue, architektonisch gebundene Flächen- und Freskokunst.
□ Hier nun tritt zum ersten mal der Einfluß der Heimat
in seine Rechte und zwar durch die Natur, die Hodler
plötzlich ganz eigen sieht und mit den Mitteln neuer, deko-
rativer Stilisierung gestaltet. Diese lagernden Steine, diese

aufschießenden, fast vor unseren Augen wachsenden Bäume
haben ein unheimliches, beinah selbständiges Leben.
Das ist belauschte Natur, keine zurechtgemachten Motive.
Und die Farben liegen in praller Sonne, daß sie in Glut
fast weißlich leuchten. Diese Berge ragen massiv in die
Luft, sind geschichtet, gebaut, gefügt wie zu Naturmonu-
menten, und doch bleibt alles grandios regellos, voller Ge-
walt, ja von zupackender Brutalität, ln dieser Weise sieht
und schafft Hodler alles neu. Da ist ein weiß blühender
Baum auf grüner Halde, er steht für sich allein und ist
überschüttet mit Segen, es ist das ganze Glück des Früh-
lings darin. Zwischen riesigen Felsblöcken rinnen Bäche
wie farbige Schlangen, alles schillert, lebt, gleißt, als fühlte
es die Freude der bloßen Existenz; Sonnenschein ist in
ihnen eingefangen, flüssiges Licht. Und dann ein herrlicher
Buchenwald, in dem alles flimmert, mit breiten Sonnen-
flecken auf dem Boden, im Bach und an den Stämmen,
mit Blumen, die in allen Farben blühen und zackigen,
wahllos liegenden Steinen, ein leuchtendes Farbenspiel
das Ganze. □
□ Mit Staunen sieht man, wie Hodler die simpelsten
Naturausschnitte nimmt und nur durch die Eigenart der
Technik, durch die Kraft der Auffassung doch alles neu
sieht und neu gibt. Und so steigert sich schließlich sein
Können bis zur dekorativen Bewältigung der menschlichen
Gestalt. Er benutzt diese Gestalt als Ausdruck. Man
könnte an die Präraffaeliten denken mit den eckigen Ge-
bärden, von hier aus geht ein Weg zu der Frühkunst der
Italiener und Deutschen und ihnen gesellt Hodler sein
ueues, architektonisch-stilistisches Empfinden hinein. Wieder-

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