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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Picard, Jacob: Hermann Seidler
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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0107

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

1UU

Wohnung entspricht. Die klaren, beruhigenden Räume
unserer jungen Wohnungsarchitektur, als Erholungsstätten
für arbeitgequälte, überempfindliche Nerven notwendig aus
dieser Zeit erwachsen, ertragen nicht gut die unruhige
Kleinlichkeit plastischen oder linear figürlichen Schmucks
der Vasen. Man verstehe mich recht: ich lehne diesen
Schmuck selbstverständlich nicht ohne weiteres ab, das
wäre töricht; aber es ist wichtig zu sagen, daß er wesent-
lich andere Voraussetzungen verlangt, als sie die modernen
Räume bieten. Kein Ver.-tändiger würde es unternehmen,
in ein aristokratisch graziöses Rokokosalönchen einen
Gegenstand von der Art einer Seidlervase zu stellen. Eben-
sowenig gehört letzten Endes die zerrissene Zierlichkeit
eines Stückes von Alt-Meißen oder eines modernen von
ähnlicher Intention in eines unserer guten Zimmer. n
□ Soviel ich weiß, gibt es heute nur in Frankreich Künstler,
die ganz denselben Zielen nachgehen wie Seidler. Und ich
glaube, sie sind ihm auf dem Weg sogar ein wenig voraus.
Bigot ist wohl der Tüchtigste unter ihnen. Von ihm kann
man zurzeit im Luxembourg einige Vasen sehen, bei denen
dem Material das letzte entlockt ist, was es in dieser Hin-

sicht überhaupt zu geben vermag. Aber hier fühlt man
schon wieder die Gegenseite: die Gefahr allzu großer
Glätte, die Gefahr, daß die Stücke zu kleinen, kostbaren
Bibelots werden, ohne dekorativen Wert. □
n So viel über Seidler als Vasenbildner. Außerdem schuf
er Fliesen, bei deren Ausführung er nach denselben Gesetzen
verfuhr. — Dann aber gibt es von ihm Platten und Fliesen,
die er mit einzigartigen figürlichen Darstellungen versehen
hat: mit mystisch seltsamen Fabeltieren, die, zu stummen
Ornamenten erstarrt, doch von wirkender Lebendigkeit sind,
vor allem aber mit Bildern aus der Heiligengeschichte. Es
erscheint mir kaum nötig, zu versichern, daß er hier nicht
leere Symbole einer dogmatisch verholzten Phantasie für
gedankenlos gläubige Beschauer gegeben hat. Die Stimmung
der Bilder, die er mit dem Griffel in den Ton ritzt, ist
dieselbe, deren verzwickter Humor und tiefe Versunkenheit
uns an den Blättern der alten Kleinmeister ergötzt — und
auch dieselbe, um deretwillen wir Meister Thoma lieben;
die beiden sind ja nicht weit voneinander zu Haus, beider
Geist wärmt sich an alemannischem Blut. n

KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

□ München. Kunst- und kunstwissenschaftlicher Unter-
richt auf dem 2. Kongreß der Gesellschaft für Hochschul-
pädagogie. Die Gesellschaft für Hochschulpädagogie, die
nach langen Vorarbeiten sich am 7. Oktober 1911 unter
dem Vorsitze des bekannten Führers der modernen Rich-
tung im Strafrecht und juristischen Unterricht Geh. Rat
Prof. Dr. von Liszt definitiv gründen konnte, hielt vom
18. bis 20. Oktober in München ihre zweite Tagung ab.
Zahlreich war der Besuch der offiziellen Vertreter und
Teilnehmer aus Österreich und Deutschland. Nachdem am
18. abends die internen Angelegenheiten des Verbandes er-
ledigt worden waren, begannen am 19. morgens die öffent-
lichen Versammlungen. Während am Vormittag Geh. Rat
von Liszt, Bornheim-Greifswald und Höfler-Wien über die
allgemeine Vorbildung der akademischen Jugend sprachen,
war der Nachmittag der Reform des Unterrichts in der
juristischen Fakultät gewidmet. Daß der Reformgedanke
nicht nur den Unterricht an den Universitäten berührt,
sondern auch den an der Technischen sowie Kunst-Hoch-
schule, kam in den Vorträgen des folgenden Tages zum
Ausdruck. In dem festlich geschmückten landwirtschaft-
lichen Hörsaal der Technischen Hochschule begrüßte zu-
nächst deren Rektor Professor Günther, der selbst ein Mit-
begründer der Gesellschaft und eifriger Anhänger ist,
warm die Versammlung. Hierauf ergriff der 72jährige,
aber immer noch jugendfrische, lebendige Professor Bruno
Meyer-Berlin das Wort Ȇber den Unterricht in der Kunst-
wissenschaft«. Ausgehend davon, daß er schon vor vierzig
Jahren manche Lanze für »das Aschenbrödel der Wissen-
schaften« gebrochen hatte, behauptet der ehemalige Lehrer
der Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule in
Karlsruhe, daß die Kunstwissenschaft trotz aller Unvoll-
kommenheiten, die man ihrer Jugend zugute halten müsse,
eine Wissenschaft im vollen Sinne und Umfange des Wortes
sei. Der Unterricht in ihr müsse von der Kunstgeschichte
ausgehen, damit der Anfänger nicht gleich durch die Fülle
der Probleme erdrückt werde. Didaktisch sei das zwar
nicht richtig, systematisch aber sehr. Kenntnis der Antike
müsse verlangt werden. Ein Haupterfordernis der Methodik
sei es, vom Kunstwerk selbst als dem wichtigsten auszugehen.
»Lieber 100 Kunstwerke zeigen als 1000 beschreiben.«

Eine große Rolle spielten im Unterricht selbstverständlich
die Photographien und der Projektionsapparat, den Meyer
schon 1873 auf dem Kunstwissenschaftlichen Kongreß vor-
und 1880 in Karlsruhe einführte. Die Künstlergeschichte
dürfe nur nebenbei besprochen werden, die stilistische
Charakteristik sei die Hauptsache. Der Lehrer müsse sich
vor den heute so beliebten »Floskeln« hüten, ebenso vor
einer allzu großen Begeisterung, die eben keine Wissen-
schaft mehr sei. In das Bereich des Unterrichts gehöre
die Technik der Künste, wenigstens ihre fundamentalsten
Kenntnisse. Freilich habe Menzel gesagt: »Es gibt keine
Technik«. Aber Kunst kommt von Können, und »Können«
ist von »Machen« nicht zu trennen. Neben sonstigen zahl-
reichen Hilfswissenschaften wie Sprachen und Geschichte
(wohl auch Geographie? DerVerf.) gehöre noch hierzu als
letzte wichtige Forderung: Ästhetik und Psychologie auf ge-
diegener philosophischer Grundlage. Als nächster Redner
behandelte der bekannte Münchner Kunstgelehrte Professor
Karl Voll mit seinem ebenso bekannten Humor »Die kunst-
geschichtliche Pädagogik an unseren Hochschulen«. Im
Gegensätze zu seinem Vorredner ging Voll von einem
Ausspruche des Archäologen Furtwängler aus: »Die heutige
Kunstwissenschaft ist keine Wissenschaft.« Vielleicht sei sie
es vor zwanzig Jahren unter Springer, Woltmann u. a.
gewesen. Jetzt herrsche aber heillose Verwirrung und Un-
kenntnis besonders der technischen Fragen vor. Allerdings
sei auch das Schülermaterial anders als vor zwanzig Jahren.
In unserer heutigen Kunst läge so viel Artistisches und
Dekoratives, mit dem die jungen Kunsthistoriker rechnen
müßten, daß sie leicht Gefahr liefen, zwar breite aber
oberflächliche Kenntnisse sich anzueignen. Eine große
Schuld trüge die »Eigenbrödelei« der Lehrer, indem jeder
auf seine Faust lese. Hier müsse das Kultusministerium
einsetzen. Wie jede Disziplin (Philologie, Jurisprudenz)
eine Art von Schulplan habe, so müßten auch wir vom
Kulmsministerium einen solchen erhalten. Hierzu wäre
der vorherige Zusammenschluß der Lehrer nötig. Solange
Forscher sich von Tageswerten und -Worten der Kunst-
händler und Snobisten am Gängelbande führen ließe, wie
der »Fall Greco« bewiese, — »dieselben Probleme, die
Greco zu lösen sucht, hat Tizian viel reiner behandelt«
 
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